Pferde sind Energiesparer von Natur aus. Sie wählen in der Regel die Gangart, das Tempo, die Trittlänge und die Haltung, die sich gerade am angenehmsten anfühlt. Reiter können sich den Energiesparmodus der Tiere im Training zunutze machen und von ihm lernen

Faultiere bewegen sich langsam, fast wie in Zeitlupe. Sie erreichen gerade einmal Geschwindigkeiten von 1,9 km/h. Es dauert, bis sie ihren Kopf heben, um ein Blatt zu fressen oder sich zu einem anderen Ast hangeln. Die meiste Zeit über sind die amerikanischen Baumbewohner inaktiv, dösen halb wach vor sich hin oder schlafen. Doch eigentlich sind sie gar nicht faul. Sie müssen nur besonders gut mit ihren Kräften haushalten, da ihre Ernährung fast ausschließlich aus einer energiearmen Blätterkost besteht. Gleiches gilt für Koalas, die nur Blätter und Rinde sowie Früchte bestimmter energiearmer Eukalyptusarten fressen. Sie sparen Energie, indem sie ebenfalls stundenlang auf Bäumen rasten und schlummern. Auch Zugvögel müssen mit ihrer Energie sparsam umgehen, wenn sie ihre anstrengende Reise bewältigen wollen. Vielen großen Arten, wie etwa dem Weißstorch, gelingt das nur, indem sie lange Strecken im Gleitflug zurücklegen. Gänse oder Kraniche fliegen in einer V-Formation und profitieren so vom Auftrieb, der von Wirbeln des Vordervogels erzeugt wird.

Schlaue Energiesparer

„Es gibt bei allen Lebewesen eine allgemeine Tendenz, Energie zu sparen, Konflikte – wenn möglich – zu vermeiden und den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Wenn sie sich bewegen, versuchen sie, es auf die angenehmste Art und Weise zu tun, mit dem geringsten Kraft- und Energieaufwand“, so Dressurausbilder Dr. Thomas Ritter aus Portugal. Ebenso sucht sich Wasser das niedrigste Energieniveau, indem es bergab, durch Öffnungen hindurch und um Hindernisse herumfließt. „Es ist ein Naturgesetz, das man täglich in zahllosen Manifestationen beobachten kann“, erklärt der Ausbilder. Auch Pferde wählen am liebsten den bequemsten Weg. So verwundert es nicht, dass im Reitunterricht oft ein energischerer Schritt, Trab oder Galopp gefordert wird. Dann heißt es oft: „Reite mehr vorwärts!“ Allerdings führt dieser Ratschlag meist nur zu einer erhöhten Geschwindigkeit. Für den Ausbilder beginnt Vorwärtsreiten im eigentlichen Sinne, wenn das Pferd bereits vorwärts „denkt“ – auch im Halten und Rückwärtsrichten. Nur dann führt der Vorwärtsgedanke zu der gewünschten Energie und damit zu mehr Ausdruck.

Energie ist aber weder ein Bestandteil der Ausbildungsskala noch eine konventionelle Trainingskategorie. Aus der offiziellen Terminologie kommt ihr der Begriff Schwung am nächsten. Die Richtlinien Band 1 der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) definieren ihn als den energischen Impuls aus der Hinterhand über den schwingenden Rücken auf die Gesamt-Vorwärtsbewegung des Pferdes. Weiter heißt es: „Ein Pferd geht im Trab und Galopp schwungvoll, wenn es energisch abfußt und in der Schwebephase mit seinen Hinterbeinen gut nach vorne durchschwingt.“ Hinzu kommen eine freie Bewegung der Vordergliedmaßen aus der Schulter heraus und eine ausgeprägte Schwebephase. Nicht zuletzt drückt sich Schwung in der Gehfreude aus, wobei der Reiter das Gefühl hat, von seinem Pferd in der Vorwärtsbewegung flüssig mitgenommen zu werden, notieren die Verfasser. Thomas Ritter bezeichnet Schwung als Produkt aus Gleichgewicht, Geraderichtung und Geschmeidigkeit, kombiniert mit Energie. Letzteres sei für ihn ein Parameter des Ganges, welcher sich – bildlich gesprochen – mit der Drehzahl oder dem Drehmoment eines Motors vergleichen lasse. Es geht dabei um den energetischen Aufwand, mit dem das Pferd arbeitet, und die Mühe, die es sich im Training gibt. „Manche Pferde besitzen von Natur aus nur sehr wenig Energie, was sich meist auch in einem geringen Muskeltonus niederschlägt. Andere sind Energiesparer, weil sie nur mit 50 Prozent ihrer eigentlichen Kapazität arbeiten, wenn man sie gewähren lässt – genau wie manche Menschen. Und andere wiederum engagieren sich zu 100 Prozent in ihrer Arbeit“, erläutert der Ausbilder.

Balance erhalten

Ist die Energie oder die Kraft, mit der sich das Pferd fortbewegt, zu gering, zieht das negative Konsequenzen nach sich: Der Reiter spürt u.a. keine weiche und sichere Verbindung zu den Zügeln. „Die Impulse der Hinterbeine können das Gebiss nicht erreichen. Das Pferd wird mehr oder weniger auseinanderfallen und über oder hinter dem Zügel gehen. Der Rücken hängt durch, und die Hinterbeine bleiben relativ ungebeugt und steif“, erklärt Thomas Ritter. Wenn man jedoch mit Remonten oder Reha-Pferden arbeite, müsse man sich zunächst mit einer geringen Menge an Energie zufriedengeben, um die Losgelassenheit und die Gleichgewichtssituation des Pferdes nicht zu gefährden. „Erzeugt man zu viel Schubkraft, werden die Beugemuskeln nicht kräftig genug sein, um den Körper in der Landung aufzufangen. In diesem Fall verliert das Pferd seine Balance, wird eilig und legt sich wahrscheinlich schwer auf die Zügel. Manches Pferd fängt an zu bocken, wenn es Gefahr läuft umzufallen, da es durch ein paar Bocksprünge seine Hufe wieder unter seinen Körper bekommt und so aufrecht bleiben kann“, gibt der Experte zu bedenken.

Aber auch bei einem weiter ausgebildeten Pferd dürfe nicht von Anfang an verlangt werden, dass es unter Aufbietung all seiner Energiereserven mit dem Reiter zusammenarbeitet. „Wir könnten das Pferd mit unserem eigenen hohen Energieniveau in Angst und Schrecken versetzen oder eine Explosion auslösen, sodass wir die Kontrolle über das Tier verlieren, weil es sich nicht mehr ausbalancieren kann, wenn die Energie ein bestimmtes Limit übersteigt“, warnt Thomas Ritter. Jedes Pferd hat seine individuelle Ober- und Untergrenze, die in den einzelnen Ausbildungseinheiten unterschiedlich ausfallen kann. „Gibt es Ihnen heute von sich aus genug Energie? Müssen Sie es auffordern, sich mehr anzustrengen, weil es sich träge und uninspiriert anfühlt? Oder geht es mit zu hohem Energieaufwand, sodass es sich hart und verspannt anfühlt? Müssen Sie folglich den Schwerpunkt auf Ruhe und Losgelassenheit anstatt auf Kraft und Energie legen? Vieles hängt vom Temperament und dem gegenwärtigen Ausbildungsstand des Pferdes ab“, weiß der Trainer. Generell lässt sich das Energieniveau des Pferdes vom Reiter positiv beeinflussen. Schnelle Abfolgen von Übergängen zwischen den Gangarten und innerhalb einer Gangart, kombiniert mit scharfen Wendungen und einigen Tritten in Seitengängen, erhöhen beispielsweise das Energielevel. Ein meditativer Schritt oder längere Reprisen im ruhigen Trab auf weich fließenden Hufschlagfiguren verringern es. Auch Bügeltrittsequenzen haben eine beruhigende Wirkung. Bei einem Bügeltritt übt der Reiter einen leichten Druck mit den Zehen oder dem Fußballen auf den Steigbügel aus (wenige Gramm genügen meist schon), wodurch das gemeinsame Gewicht von Reiter und Pferd vermehrt auf einem Pferdebein lastet. Dieses verbleibt etwas länger auf dem Boden. Durch diese Art der Gewichtshilfe wirkt der Reiter u.a. auf das Tempo ein. „Zu einem gewissen Grad wird das Pferd auch Ihre eigene Energie widerspiegeln. Wenn Sie Ihr eigenes Energieniveau anheben, werden die meisten Pferde ihre Energie ebenfalls anheben. Senken Sie dagegen Ihre eigene Energie, wird das Pferd Ihnen in der Regel darin folgen“, ergänzt Thomas Ritter.

Text: Inga Dora Schwarzer         Foto: www.Slawik.com 

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