Leider sehen wir es viel zu häufig – das eng eingerollte oder das sich heraushebende Pferd. Warum neigen manche Pferde zu diesen Anlehnungsfehlern, und wie können sie abgestellt werden? Die Trainerinnen Dr. Britta Schöffmann und Verena Voß wissen Rat

Mein Pferd: Was genau meint man mit „Einrollen“?

Verena Voß: Unter dem Begriff „Einrollen“ versteht man die zu enge und tiefe Kopfhaltung des Pferdes beim Reiten. Es handelt sich hierbei um einen Anlehnungsfehler zwischen Reiterhand und Pferdemaul. Das Pferd tritt nicht sicher an das Gebiss bzw. die weiche, stetig federnde Verbindung zur Hand heran. Die Stirn-Nasen-Linie ist deutlich hinter der Senkrechten. Auch typisch für Pferde, die sich gerne „einrollen“, ist es, während der Arbeit nach unten „wegzukippen“ und mit dem Gebiss zu klappern, statt leicht darauf zu kauen. Die korrekte Aufrichtung geht verloren, die Paraden kommen nicht mehr sensibel durch, das Pferd ist nicht mehr kontrollierbar bzw. schwieriger zu kontrollieren, das Reiten von Hufschlagfiguren und Lektionen fällt immer schwerer.

Ist damit das gleiche gemeint wie mit „Rollkur“?

Nein, das sind zwei auseinander zu haltende Begriffe. Bei der „Rollkur“ wird das Pferd durch zu starke Zügelhilfen des Reiters in eine zu tiefe und enge Kopfhaltung gebracht, meistens einseitig, um kurzzeitig den Hals des Pferdes zu dehnen. Beim „Einrollen“ entzieht sich das Pferd den jeweiligen Hilfen und ist zu eng, zu tief und zu lose, auch ohne Krafteinwirkung des Reiters. Trotzdem stehen die Begriffe auch manchmal im Zusammenhang. Durch eine immer wiederkehrende starke Zügelhilfe des Reiters, um das Pferd „tiefer und enger“ einzustellen, können auch Anlehnungsprobleme wie das „Einrollen“ entstehen, weil das Pferd das Vertrauen verloren hat, sich an der Reiterhand weich anzulehnen.

Aus welchem Grund rollt sich das Pferd ein?

Es gibt einige Gründe warum Pferde sich einrollen. Häufig liegt das Problem des Reiters in der Abstimmung der Hilfen. Durch fehlendes Vertrauen tritt das Pferd nicht an die Reiterhand heran. Die Stirn-Nasen-Linie bleibt hinter der Senkrechten. Da das Pferd den Zügelhilfen „nach hinten“ ausweicht, hat die Reiterhand keinen beständigen Kontakt mehr zum Pferdemaul. Einer der häufigsten Gründe ist die mangelnde Aktivität der Hinterhand und die mangelnde Rückentätigkeit des Pferdes. Ein häufig gesagter Merksatz in der Reitstunde lautet: Schubkraft ist die Kraft, die Anlehnung schafft. Das bedeutet, mit sicherem Schub aus der Hinterhand, verbessern wir die Anlehnung. Weitere Gründe können auch unsensible Zügelhilfen sein bzw. Handfehler wie zu hohe Hand und festgestellte Handgelenke. Dies äußert sich in einer unflexibel federnden Verbindung, heruntergedrückten Händen bei zu kurzem Zügelmaß, zu langem Zügelmaß oder zu unruhigen Händen durch einen nicht ausbalancierten Grundsitz. Der Reiter hat beim „Einrollen“ eine wesentliche Grundlage für eine harmonische Kommunikation mit dem Pferd verloren.

Kommt es bei bestimmten Pferdetypen häufiger vor als bei anderen?

Ja, bei Pferden, die besonders leicht im Genick sind, tritt dieser Fehler vermehrt auf. Auch ein zu tief oder zu hoch angesetzter Hals, fehlerhafte Muskulatur, zu langer oder zu kurzer Hals, sind leichte „Problemzonen“, bei denen es den Pferden etwas schwerer fällt, in relativer Aufrichtung zu bleiben. Durch den Zuchtfortschritt werden die Pferde mit der Zeit immer leichter im Genick und verzeihen eine unruhige Hand nicht mehr.

Hat es auch was mit dem Alter zu tun? Oder mit der Ausbildung? Was wurde falsch gemacht?

Nein, bei reeller Ausbildung hat dieses Problem nichts mit dem Alter zu tun. Allerdings sollte schon beim Anreiten viel Wert auf eine korrekte Anlehnung gelegt werden. Weil besonders junge Pferde ihr eigenes Körpergewicht ausbalancieren müssen und nach dem Anreiten auch noch uns Reiter ausbalancieren sollen, ist es für diese Pferde zu schwierig, von unerfahrenen Reitern mit evtl. unruhiger Zügelführung ausgebildet zu werden. Das Vertrauen, sich an unserer Hand anlehnen zu dürfen, muss erst über Monate wachsen. Dort wird der Grundstein gelegt. Wenn Pferde erst einmal Angst vor der Reiterhand haben oder sich von Anfang an entziehen dürfen, ist es schwierig diese Anlehnungsfehler wieder zu beheben. Die wesentlichste Ursache sind nämlich mangelnde Losgelassenheit und Dehnungsbereitschaft in Verbindung mit mangelnder Schubkraft aus der Hinterhand. Das alles muss über einige Zeit entwickelt werden. Die Dehnungsbereitschaft des Pferdes führt dazu, dass der Reiter eine beständige Verbindung zum Pferdemaul spürt.

Was kann man dagegen tun?

Nicht jede Anlehnungsschwierigkeit muss sich der Reiter zuschreiben. Zahnprobleme, Zerrungen, Wirbelblockaden und Kissing Spines sollten ausgeschlossen werden. Falls keine gesundheitlichen Probleme vorliegen, sollte sich jeder Reiter fragen: Warum hat das Pferd Schwierigkeiten mit der Anlehnung? Was mache ich falsch? Was kann ich tun, um das Problem zu lösen. Das Vertrauen zur Reiterhand muss wiederaufgebaut werden. Nur ein losgelassenes Pferd wird sich an die Hand des Reiters herandehnen, aber auch nur eine weiche Hand wird das Pferd zur Losgelassenheit bringen. Es gibt eine Übung, die sich auf alle Punkte in der Ausbildung eines Pferdes positiv auswirkt. Dies sind Übergänge: Durch das Reiten vieler Übergänge – also halber, aber auch ganzer Paraden – wird das Pferd optimal zwischen Kreuz-Schenkel und Reiterhand eingespannt, schiebt sich dabei zusammen und nimmt Last auf. Beim jungen Pferd geschieht das für einen Moment, beim ausgebildeten Pferd über eine längere Strecke. Auch das „Zügel aus der Hand kauen lassen“ wird die Anlehnung des Pferdes verbessern, Überstreichen, energisches Vorwärtsreiten – besonders im Galopp bei weicher Reiterhand – wird das Pferd dazu veranlassen, sich vertrauensvoll anzulehnen.

Gibt es auch Ausrüstung, die bei dem Problem hilft?

Ein weiches Reithalfter und ein weiches Gebiss sind die Grundvoraussetzung. Egal ob Wassertrense, Olivenkopf, einfach oder doppelt gebrochen. Bei diesem Thema ist Ausprobieren gefragt, weil nicht jedes Pferd das gleiche Gebiss toleriert. Es gibt zurzeit so viele verschiedene Reithalfter, welche den Druck vom Genick oder des Nasenrückens anders verteilen. Da muss Gebiss und Reithalfter individuell auf das Pferd abgestimmt werden.

Zügel springen lassen oder überstreichen, hilft das?

Ein springender Zügel schafft kein Vertrauen, viele Pferde wissen nichts damit anzufangen und bekommen Angst. Das „Überstreichen“ hilft bei allen Anlehnungsproblemen und sollte in die tägliche Arbeit miteinbezogen werden. Es dient zur Verbesserung der Losgelassenheit, aber auch zur Überprüfung der Anlehnung. Bleibt das Pferd dabei immer noch hinter der Senkrechten, ist dieses sofort das Alarmzeichen, dass der „Motor von Hinten“ nicht stimmt und der Reiter das Pferd durch energisches Treiben wieder vermehrt von hinten nach vorne an die Hand heran treiben muss.

Mein Pferd: Was sind die Ursachen für das Herausheben aus der Anlehnung?

Dr. Britta Schöffmann: Das Herausheben kann viele Ursachen haben. Die häufigste liegt im Reiter begründet, das heißt in seinem fehlerhaften Zusammenspiel von Kreuz, Hand und Schenkel sowie in allgemeinen Sitzfehlern. Versucht der Reiter, den Kopf seines Pferdes mit Händen und Zügeln herunterzufummeln, statt es über die treibenden Hilfen von hinten nach vorn in einen Rahmen zu reiten, dann wird es sich früher oder später gegen eine solche fehlerhafte Einwirkung wehren. Pferde, die nur über die Oberarmkraft des Reiters „rund“ gehalten werden, zeigen spätestens beim Überstreichen oder beim Zügel-aus-der-Hand-kauen-Lassen durch Herausheben, dass einiges falsch läuft. Auch ein Reiter, der noch mit seiner Balance und dadurch mit Sitzfehlern zu kämpfen hat, stört die Anlehnung des Pferdes oder macht sie sogar unmöglich.

Kann es auch körperliche Ursachen haben  – zum Beispiel Rückenprobleme?

Außer dem Reiter gibt es auch andere Gründe, die ein Pferd dazu bringen, sich herauszuheben. Zum Beispiel die Ausrüstung, sprich Trense, Gebiss oder Sattel. Ist die Trense falsch verschnallt oder liegt das Gebiss falsch im Maul oder passt überhaupt nicht, dann wird sich ein Pferd dagegen wehren. Auch ein nicht passender Sattel, der in die Schulter des Pferdes oder in den langen Rückenmuskel drückt und damit verhindert, dass die treibenden Reiterhilfen – und seien sie noch so gut – von hinten nach vorn durchkommen, können Herausheben zur Folge haben.

Heben sich junge Pferde häufiger raus?

Ja, denn sie haben meist ihr Gleichgewicht mit dem Reiter auf dem Rücken noch nicht wieder gefunden. Das, was dann aber oft vom Reiter als Herausheben gewertet wird, ist nichts anderes als der Versuch des Pferdes, seinen Hals als Balancierstange einzusetzen. Dieses Balancieren sollte man einem jungen Pferd zugestehen. Eine sichere Anlehnung muss es sich erst suchen. Also keine Panik, wenn das junge Pferd vorübergehend auch mal zu weit über den Zügel kommt. Es gilt vielmehr immer: Bewegung steht vor Form.

Bei einem jungen Pferd: Woran erkenne ich, dass sich das Pferd aus fehlender Kraft heraushebt?

Anlehnung hat für mich weniger was mit Gehorsam zu tun, sondern mit Balance und korrekter reiterlicher Einwirkung. Deshalb würde ich auch nicht sagen, dass sich ein Pferd aus Ungehorsam heraushebt. Es versucht lediglich, sich auszubalancieren. Es weiß ja nicht, dass dies mit einem leicht gewölbten Hals bei tätigem, gut vorfußendem Hinterbein besser funktioniert. Es muss dies erst ausprobieren und mit der Zeit lernen. Dazu gehört auch der entsprechende Kraftzuwachs, der auch nicht in ein paar Tagen zu erreichen ist.

Was kann ich tun, damit das Pferd weiter in der Anlehnung läuft und sich nicht heraushebt?

Treiben. Egal, was passiert: Die erste Reiterreaktion sollte immer vermehrtes Treiben sein. Treiben heißt ja nicht „Gas geben“, Treiben bedeutet vielmehr „Einfluss nehmen aufs Hinterbein“. Der alte Spruch „Der Motor des Pferdes sitzt hinten“ ist absolut zutreffend. Nur die Aktivität der Hinterhand ermöglicht den notwendigen positiven Spannungsbogen der Oberlinie des Pferdes und somit eine stete, weich federnde Anlehnung.

Gibt es Pferdetypen, die damit häufig ein Problem haben?

Probleme mit der Anlehnung können auch typbedingt sein. Pferde mit einer schwierigen Anatomie, beispielsweise einem dünnen, tief angesetzten Hals oder einem ausgeprägten Unterhals oder aber einer anatomisch bedingten eher nach hinten heraus arbeitenden Hinterhand, tun sich oft schwerer als Pferde mit einem günstigen Exterieur. Auch sehr nervöse Pferde, die dazu neigen, ihrem Reiter unter dem Hinterteil wegzulaufen, wehren sich schneller mal gegen die Reiterhand.

Gibt es auch Equipment, das bei der Lösung des Problems hilfreich ist?

Auch wenn einige hier aufschreien werden: Es gibt Hilfszügel, die in solchen Fällen durchaus Sinn machen können. Der Dreieckszügel beispielsweise kann einem Pferd mit einer ungünstigen Halsung den Weg in die Tiefe weisen und ihm dabei helfen, besser in die Balance zu kommen. Wie bei jedem Hilfszügel ist es aber auch hier das Ziel, dass der Zügel so bald wie möglich überflüssig wird. Ein Hilfszügel soll helfen, nicht dem Pferd den Kopf runterziehen.

Interview: Lara Wassermann     Foto: privat

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