Text: Inga Dora Schwarzer       Foto: www.Slawik.com

Die offene Hallentür, ein voller Trainingsplatz oder Zuschauer an der Bande: Pferde spüren, wenn dem Reiter eine Situation Stress bereitet, und reagieren dementsprechend. Wer etwas verändern möchte, sollte bei sich selbst anfangen. Dann verändert auch der Vierbeiner sein Verhalten

Unangenehme Gedanken wollen immer das Eine: Karussell fahren. Sie drehen sich im Kreis, immer und immer wieder. Leider lässt sich das Gedankenkarussell nicht so einfach anhalten, wenn es einmal Fahrt aufgenommen hat. Manchmal kann man das Gefährt stoppen, aber oft nur für eine kurze Zeit. Dann fährt es von alleine wieder los, und wir sind erneut Beifahrer auf dem Weg in die Unendlichkeit. Stundenlang spielen wir im Kopf bestimmte Situationen in allen denkbaren Facetten durch. Wir stellen uns wiederholt die gleichen Fragen und verheddern uns in einem engen Geflecht aus Hätte, Könnte und Sollte, anstatt zu einem Ergebnis oder einer Entscheidung zu kommen.

„Ich kann mir jetzt eine Hand vorstellen, die mich stoppt, oder ein rotes Stoppschild. Aber was kommt danach? Was mache ich, damit das Karussell nicht wieder von vorne losgeht? Das ist viel wichtiger“, sagt Annika Thode, DOSB-Trainerin B (Leistungssport) und Trainerin B der Deutschen Mentaltrainer Akademie aus dem niedersächsischen Salzhausen. Mentaltraining kann uns dabei unterstützen, den Schalter umzulegen, um aus dem Karussell aussteigen zu können. Mehr noch: Es kann verhindern, dass wir das Ticket für die Karussellfahrt überhaupt lösen.

„Stress lässt sich bereits frühzeitig an einer veränderten Atmung erkennen“, erklärt die Expertin. In Situationen, die uns Unbehagen bereiten, schüttet der Körper des Menschen Botenstoffe aus, die unter anderem die Herz- und Atemfrequenz sowie die Spannung der Muskulatur erhöhen. „Die Atmung wird schneller und flacher. Wir atmen nicht mehr bis in den Bauch hinein, sondern nur noch in den Brustkorb. Muskelverspannungen nehmen zu, und unsere Konzentration nimmt ab“, ergänzt sie.

Stress verändert die Hilfen

Unter Stress verändert sich die Hilfengebung des Reiters. „Wir sind nicht mehr in der Lage, unsere Zügel-, Schenkel- und Gewichtshilfen so einzusetzen wie im entspannten Zustand. Meist wenden wir sie unbewusst zu stark an. Oder wir geben bestimmte Hilfen gar nicht mehr, weil wir uns der Situation ausgeliefert fühlen“, erläutert Thode. Hier zeigt sich der sogenannte Carpenter-Effekt: Das menschliche Gehirn macht in der Aktivität kaum Unterschiede, ob ein Bewegungsablauf wirklich stattfindet, also körperlich vom Menschen durchgeführt wird, oder nur in Gedanken passiert. Deshalb sendet bereits die reine Vorstellung eines Bewegungsablaufs einen Nervenimpuls an die an der Bewegung beteiligten Muskeln, sodass diese aktiviert werden – wenn auch nur in mikromotorischer Form.

Die kaum wahrnehmbaren körperlichen Veränderungen des Reiters registrieren unsere feinfühligen Pferde sehr wohl und zeigen daraufhin bestimmte Verhaltensweisen. Stellt die offene Hallentür für den Reiter eine Herausforderung dar, guckt sein Pferd dort möglicherweise häufiger oder springt sogar zur Seite. Bedeutet eine volle Reithalle Stress, läuft der Vierbeiner in dieser Situation eventuell unkonzentrierter als sonst. Ist der Reiter auf einem Ausritt durch einen entgegenkommenden Traktor irritiert, scheut sein Pferd unter Umständen. Das heißt: „Alle Themen, die wir mit unseren Pferden haben, haben immer etwas mit uns selbst zu tun. Die Tiere spiegeln uns nur“, meint die Trainerin.

Mehr Informationen finden Sie in der aktuellen Mein Pferd- Ausgabe.

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