Manchmal kommt ein Pferd unter dem Sattel nicht richtig zum durchatmen, es hält in Lektionen oder auf dem Weg zum Sprung die Luft an. Woran liegt das? Was hat das für Auswirkungen? Noch viel wichtiger: Was kann man dagegen tun?
Wenn man in den Sattel steigt, ist das Ziel, das Pferd so zu trainieren, dass es durchlässig die geforderten Aufgaben absolvieren kann. Manchmal ist es aber angespannt, es stockt in den Bewegungen, verhält sich im Außengalopp, springt die fliegenden Galoppwechsel nicht in gewohnter Qualität oder ist nach kurzer Zeit nicht mehr konzentriert. Der Grund dafür kann die Atmung des Pferdes sein: Es hält in den Lektionen die Luft an oder atmet im Training nicht richtig durch. Ursachen dafür gibt es einige.
Gesundheitliche Probleme können die Atmung des Pferdes erheblich beeinträchtigen. Beim Equinen Asthma beispielsweise sind die Atemwege aufgrund von Reaktionen auf Allergene und Krankheitserreger entzündlich verändert. Werden sie nicht rechtzeitig behandelt, kommt es zu einer dauerhaften Veränderung des Lungengewebes und teilweise zu erheblichen Leistungseinbußen. Auch ein zu eng verschnallter Gurt kann dafür sorgen, dass das Pferd die Luft anhält. Die Atemmuskulatur wird durch den straffen Gurt eingeengt und kann infolgedessen nicht ideal arbeiten. Genauso kann es daran liegen, dass das Pferd nicht optimal geritten wird, sodass es sich unter dem Sattel nicht losgelassen bewegen kann.
Das passiert bei einem Atemzug
Um eine Lösung zu finden, sollte man sich zunächst die Funktionsweise der Atmung vor Augen führen. Anatomisch besonders ist bei Pferden zum einen der Umstand, dass sie einzig durch die Nase atmen können. Grund dafür ist das lange Gaumensegel, das den Weg der Luft durch das Maul blockiert. Zum anderen sorgt der anatomische Aufbau der Nüstern selbst dafür, dass die Atmung bei erhöhter Belastung erschwert wird. Verstärkt sich die Atmung, wird das Weichteilgewebe durch das Fehlen von Knochen und Knorpeln eingesogen und verengt damit den Weg der Luft (siehe Kasten „Nose Stripes“ auf Seite 55). Zu vergleichen ist dies mit einem Strohhalm, der beim Saugen immer enger wird. Insgesamt liegt deshalb 50 Prozent des Widerstandes beim Einatmen an den Nüstern. Beim Ausatmen ist es umgekehrt: Hier liegen 55 Prozent des Widerstandes in den Lungen. Bei stärkerer Belastung verdoppelt sich der Widerstand, weshalb die Atemmuskulatur zusätzlich beansprucht wird. In starken Arbeitsphasen kann sie bis zu zehn bis 15 Prozent der Pumpleistung des Herzens benötigen.
Insgesamt atmen Pferde zwischen acht und 16 Mal in der Minute ein und aus. Dabei bewegen sie pro Atemzug in Ruhe etwa vier bis sechs Liter Luft – dieses Volumen kann sich bei Belastung auf bis zu 15 bis 20 Liter pro Atemzug steigern, und auch die Atemfrequenz kann entsprechend steigen. Generell gilt: Je kleiner das Pferd, desto öfter atmet es ein und aus (bedingt durch das geringere Lungenvolumen). Während des Einatmens strömt die Luft über die Bronchien in die Lungenbläschen, dort gelangt der Sauerstoff ins Blut, und das Kohlenstoffdioxid wird zurückgegeben. Dieses wird dann beim Ausatmen abgeatmet. Ist die Atmung des Pferdes allerdings beeinträchtigt, hat das häufig einen höheren Energieverbrauch und eine mangelnde Sauerstoffversorgung zur Folge. Je höher die Belastung, desto mehr Sauerstoff wird benötigt. Fehlt dieser, kann das zu einer Übersäuerung der Muskeln, Leistungsabfall und im schlimmsten Fall zu Schäden am Bewegungsapparat führen. Denn mit der Atmung hängen eine ganze Reihe von Prozessen im Pferdekörper eng zusammen. Sowohl die generelle Leistungsfähigkeit als auch das Herz-Kreislauf-System, die Lunge, der Wasser- und Elektrolythaushalt, die Thermoregulation sowie der Energiestoffwechsel sind an die Atmung gekoppelt. Auch der Bewegungsapparat wird beeinflusst. Deshalb ist das Aufwärmen so wichtig: Wird das Pferd ausreichend warmgeritten, werden Kreislauf und Milz aktiviert und infolgedessen genügend rote Blutkörperchen durch die Milz freigegeben. Dadurch kann bei höherer Belastung entsprechend mehr Sauerstoff gebunden werden. Ist dies nicht der Fall, fehlt benötigter Sauerstoff in der Belastung, und die Atmung verstärkt sich, um diesen Sauerstoffmangel auszugleichen. Die Pferde sind schneller aus der Puste und müde. Zusätzlich lockern die Pferde während der Lösungsphase ihre Muskulatur, was wiederum das Atmen erleichtert. Häufig mit einem losgelassenen Pferd assoziiert ist das Schnauben. Aber nicht jedes Schnauben ist gleich. Ein tiefes Durchatmen, bei dem alle Muskeln einmal kurz nacheinander entspannen, kann lockernd wirken. Das Pferd lässt dann im wahrsten Sinne des Wortes los. Gegenteilig wirkt es jedoch, wenn Pferde nervös anfangen, häufig kurz hintereinander zu schnauben. In diesem Fall ist das Schnauben ein Indikator für Anspannung. Ein Wert, der Aufschluss über die Sauerstoffversorgung gibt, ist der Laktatwert. Ist er bei Belastung im Blut deutlich erhöht, weist dies auf eine zu geringe Sauerstoffaufnahme hin. Ebenfalls interessant ist eine Blutgasanalyse. Bei der Untersuchung arteriellen, also mit Sauerstoff angereicherten Blutes kann überprüft werden, ob a) genügend Sauerstoff aufgenommen und b) das entstandene Kohlenstoffdioxid vollständig wieder abgeatmet werden kann. Ist dies nicht der Fall, bedeutet das häufig Probleme mit der Atmung. Die Atemmuskulatur des Pferdes lässt sich übrigens nicht trainieren. Denn Forscher konnten nachweisen, dass sich die Atemkapazität bei untersuchten Pferden mit sportlicher Belastung auch über sechs Monate hinweg nicht veränderte.
Atmung und Bewegung
Das Zwerchfell spielt bei der Atmung eine große Rolle, sowohl bei den Pferden als auch bei den Menschen. Da Menschen jedoch aufrecht gehen und Pferde Vierfüßler sind, ist die Funktionsweise jeweils deutlich anders. Wir Menschen nutzen das Zwerchfell für die Bauchatmung, die mit dem Alter eine zunehmend große Rolle spielt. Das Zwerchfell spannt sich zwischen Brust- und Bauchhöhle auf und ist nach oben gewölbt wie eine Kuppel. Atmen wir über den Bauch ein, spannen wir das Zwerchfell an, die Kuppel wird flacher, sinkt also gewissermaßen ein, und der Brustraum samt den daran anhaftenden Lungenflügeln dehnt sich nach unten aus. Dadurch wird der Platz für die Baucheingeweide geringer. Sie werden nach unten verlagert – was nicht weiter problematisch ist, weil die Schwerkraft die Eingeweide ohnehin nach unten zieht.
Die Vierbeiner-Problematik
Genau hier unterscheidet sich das System von Mensch und Pferd erheblich, denn beim Pferd müssen die Eingeweide nach hinten verschoben werden, damit die Lunge Platz hat, um sich auszudehnen. Dabei hilft das Zwerchfell. Das Problem: In der Stützbeinphase drücken die Eingeweide durch die Schwerkraft wieder nach vorne unten. Das ist insbesondere im Galopp relevant. Gegen 250 Kilogramm Eingeweidegewicht kann das Pferd nicht anatmen. Darum ist der Atemrhythmus im Galopp vorgegeben: ausatmen in der Stützbeinphase, einatmen in der Schwebephase. Denn in der Schwebephase bewegt sich die Vorhand wieder aufwärts, und die Eingeweide rutschen nach hinten. Je mehr Bergauftendenz der Galopp hat, je weiter das Pferd unterspringt und je größer der Raumgriff ist, desto tiefer kann das Pferd einatmen. „Aber was ist dann im Renngalopp?“, mag man sich fragen. Denn der ist ja raumgreifend, hat aber keine Bergauftendenz. Der Physiotherapeut Stefan Stammer erklärt dies so: „Hier wird das Zwerchfell durch den Ziehharmonikaeffekt der Bewegung unterstützt, bei der das Pferd sich einerseits extrem zusammenzieht, andererseits aber auch extrem streckt.“ Was dazu führt, dass Pferde auch hier nur in einem bestimmten Rhythmus atmen können. Im Trab ist die Atmung flexibler. Allerdings gilt grundsätzlich auch hier: ausatmen in der Stützbeinphase, einatmen in der Schwebephase. Im Schritt unterscheidet sich das Atemschema hingegen nicht signifikant von der Atmung in Ruhe. Mit einer Ausnahme: Es fällt dem Pferd deutlich leichter, wenn es über den Rücken an den Zügel herangeritten wird. Das hängt mit der Biomechanik in der Bewegung zusammen, die bei einem korrekt ausgebildeten Reitpferd mit der Atmung synchronisiert wird.
Entlarvende Probleme
Durch die Positionierung des Zwerchfells ist die Atmung unmittelbar an das Gerittensein des Pferdes gekoppelt. Es setzt nämlich am Brustbein an und spannt sich dann auf bis zur Lendenwirbelsäule. Das Zwerchfell verbindet das vordere und das hintere Bewegungszentrum des Pferdes miteinander. Dementsprechend geht es bei der Synchronisierung von Atmung und Bewegung darum, das Pferd so zu reiten, dass das Zwerchfell sich ausdehnen und wieder zusammenziehen kann. Dann ist eine ungehinderte Atmung unter dem Sattel möglich. In der Praxis bedeutet das: Wenn das Pferd sich in der Kruppe senkt und das Becken nach hinten kippt, muss sich das vordere Bewegungszentrum, also der Brustkorb, anheben, damit die Spannung, unter der das Zwerchfell steht (das ja eine muskuläre Struktur ist), erhalten bleibt, aber nicht zu groß wird. Von außen betrachtet, bewegt das Pferd sich im Gleichgewicht. Wenn das gegeben ist und die Muskulatur sich regelmäßig an- und abspannt, das Pferd also losgelassen ist, kann es frei und rhythmisch unter dem Reiter atmen. Das kann man hören.
Dreht sich das Becken jedoch beispielsweise nach hinten, ohne dass sich das vordere Bewegungszentrum anhebt, oder zieht der Reiter dem Pferd den Kopf auf die Brust bzw. zwischen die Beine, ohne dass es sich nach vorne strecken kann, ist die Spannung auf dem Zwerchfell zu groß, und das Pferd kann nicht mehr durchatmen. Wenn das Pferd sich nicht senkt, die Vorhand jedoch mit der Hand nach oben gezogen wird und das Pferd quasi ein Hohlkreuz macht, ist die Spannung auf dem Zwerchfell zu gering. Das Pferd muss die Bauchmuskulatur zuhilfe nehmen, um atmen zu können. Stefan Stammer kommentiert: „Diese Pferde erkennt man an ihrem sogenannten Heubauch.“ In beiden Fällen wird das Pferd Probleme bekommen, wenn es sich anstrengen muss. Ein Springpferd hat nicht mehr genügend Sauerstoff, um Hindernisse zu überwinden. Ein Dressurpferd wird Fehler in Lektionen machen. Man sieht das häufig zum Beispiel in Serienwechseln. Eine Zeitlang kann das Pferd die Luft anhalten. Aber die fliegenden Galoppwechsel werden immer hektischer und flacher, und schließlich passieren Fehler. Das kann natürlich auch andere Gründe haben. Aber nur ein Pferd, das im Galopp rhythmisch ein- und ausatmet, wird in der Lage sein, eine Diagonale lang fliegende Wechsel ohne Fehler zu springen.
„Atme mit deinem Pferd!“
Die Olympiaspringreiterin Luciana Diniz verrät, die richtige Atmung von Pferd und Reiter sei essenziell für den Erfolg im Sattel. Sie selbst nutzt das kontrollierte Atmen, um ihre Nervosität auf Turnieren in den Griff zu bekommen. Und sie verbindet sich über die Atmung mit ihren Pferden. Dafür lässt sie das Pferd entspannt stehen oder auch Schritt gehen – Hauptsache, es kommt zur Ruhe. Dann atmet sie tief ein und wieder aus und stellt sich vor, wie die Luft durch sie und ihr Pferd auf- und wieder absteigt. So lernen die Pferde ihrer Erfahrung nach, sich der Atmung des Menschen anzupassen. Luciana sagt: „Die Pferde spüren, ob man tief Luft holt oder flach atmet, und sie machen es nach.“ Wenn man also nach einer Galoppreprise selbst tief ausatmet, sollte das Pferd auch ausatmen. Wenn Luciana es mit ihren Pferden vormacht, klingt es fast wie ein Seufzen. Wenn das funktioniert, kann man das Thema Atmung im Parcours angehen. Schon beim Abgehen sucht sich Luciana Diniz drei bis vier „Atempunkte“ aus, bei denen sie tief Luft holt und wieder ausatmet. Das muss man üben, denn es hilft dabei, bis zum Ende des Parcours konzentriert und fokussiert zu bleiben. „Ich hatte oft einen Fehler am letzten Hindernis“, sagt Luciana Diniz. „Die Atemtechnik hat mir dabei geholfen, bis zum Ende des Kurses aufmerksam zu bleiben.“ Das kann und sollte man jeden Tag zu Hause üben. Solche „Atempunkte“ im Parcours kann man sich zum Beispiel vor besonders schwierigen Linien suchen, etwa einer Kombination. Diniz: „Mein Pferd spürt meine Aufmerksamkeit, aber auch dass ich relaxt bin. Dann können wir beide zusammen die dreifache Kombination als Beispiel bestmöglich springen.“ Ein Tipp noch von der Olympiareiterin: Beim Abreiten auf Turnieren springt sie immer so wenig wie möglich, je nachdem, wie sicher das Pferd sich anfühlt. Wenn es etwas unsicher ist, lieber einen Sprung mehr. Doch zur optimalen Vorbereitung auf einen Parcours gehört für sie auch, das Pferd auf dem Abreiteplatz falls möglich auch mal eine etwas längere Strecke schnell galoppieren zu lassen, damit Atmung und Herzfrequenz auf das Tempo vorbereitet sind, das im Parcours zu reiten ist. Dann kann das Pferd körperlich „hochfahren“, behält aber dank der gezielten Atemübungen seinen mentalen Fokus.
Text: Gloria Alter, Laura Becker, Hannah Scherf, Dominique Wehrmann Foto: www.Slawik.com