Montenegro – wo liegt das noch mal? Richtig, es war früher ein Teil Jugoslawiens und liegt zwischen Kroatien und Albanien am Adriatischen Meer. Das kleine Land fasziniert mit einer abwechslungsreichen und unberührten Natur: Berge, Wälder, Meer und Strand – alles, was das Herz begehrt. Wir durften uns von der Schönheit der Balkanrepublik auf einem sechstägigen Wanderritt selbst überzeugen
Huf für Huf klettern unsere Pferde einen schmalen und steilen Pfad empor. Zwischenzeitlich reiten wir an einem sehr tiefen Abhang entlang, und während dem einen oder anderen eventuell etwas mulmig zumute ist, behalten die Pferde die Nerven und laufen konzentriert weiter. Streckenweise besteht der Weg aus losen Felsen und glatten Steinen, doch das ist alles kein Problem für die montenegrinischen Pferde. Nach einer anspruchsvollen Kletterpartie haben wir etwa 500 Höhenmeter überwunden und schlussend- lich einen der Berggipfel erreicht. Wir genießen den wundervollen Ausblick über die zerklüftete Berglandschaft Montenegros, während sich unsere Pferde kurz erholen dürfen – obwohl sie nicht sonderlich erschöpft wirken. Wenn ich an die Pferde in Deutschland denke, habe ich das Gefühl, dass diese die Strecke nicht ohne Weiteres gemeistert hätten. „Unsere Pferde sind ausdauernde Shagya-Araber und zum Großteil montenegrinische Bergpferde, die für harte Arbeit – insbesondere zum Holztransport – gezüchtet wurden. Sie sind zäh, ausdauernd und mutig“, erzählt die Rittführerin Jann. Obwohl die Vierbeiner sehr gutmütig sind, sollte man für den Montenegro-Berg-Trail über eine gewisse Reiterfahrung verfügen, da teilweise anspruchsvolle Wegstrecken auf Pferd und Reiter warten. Aus diesem Grund empfehlen Jann und Istvan, die Organisatoren und Eigentümer von Mountain Riders, das Tragen einer Sicherheitsweste, die vor Ort kostenlos zur Verfügung gestellt werden kann. Ich sitze im Sattel einer stämmigen Scheckstute mit dem Namen Sarah. Ursprünglich hieß sie einmal „Šarac“ was übersetzt so viel wie Schecke oder mehrfarbiges Pferd bedeutet. Da die Montenegriner verhältnismäßig unkreativ bei der Namenssuche für Pferde sind, hatten noch drei weitere Pferde auf dem Hof denselben Namen. Deshalb wurden Istvan und Jann aktiv und fanden individuellere Namen für ihre Tiere: Aus den vier Pferden mit denselben Namen wurden Sarah, Hatschi, Heston und Texas.
Montenegro: Zwischen Felsen und Blütenmeeren
Es hat mich schon immer gereizt, ein mir unbekanntes Land vom Pferderücken aus zu entdecken. Bei dem Montenegro-Berg-Trail von PFERD & REITER konnte ich auch endlich die Faszination des Wanderreitens selbst erleben.
Sechs Tage lang erkundeten wir im Sattel gut ausgebildeter Wanderreitpferde zwei Bergregionen Montenegros: Zum einen das Hochgebirge im Norden mit einsamen Hochplateaus, sanften Hügeln und mächtigen Bergen, und zum anderen den Süden, eine felsige Küstenregion mit idyllischen Wäldern und wunderschönen Ausblicken auf das Adriatische Meer. Jeden Tag verbrachten wir zwischen fünf und sechs Stunden im Sattel, um zu unserer nächsten Übernachtungsmöglichkeit zu gelangen.
Der Norden Montenegros besteht aus scheinbar endlosen Hügeln und Bergen – teilweise felsig und schroff, teilweise grasbewachsen und sanft – sowie menschenleeren Hochplateaus und Tälern, die nur so nach einem schwungvollen Trab oder einem schnellen Galopp verlangen.
Wanderreiten: Ganz im Rhythmus der Pferde
Die drei Tage in der nördlichen Bergregion lassen sich vor allem mit einem Wort zusammenfassen: Ruhe. Im Hintergrund zirpen die Grillen, Vögel zwitschern, ein Pferd schnaubt, die Sättel knarzen leise, und wir geben uns völlig dem Rhythmus der Pferde hin, während wir uns, mal langsam und mal schnell, durch die Bergwelt Montenegros bewegen. Dabei wechseln sich bizarre Felsformationen und grüne Täler ab – immer wieder bestaunen wir Meere aus Wildblüten in allen erdenklichen Farben und genießen ihren Duft. Der richtige Moment, um die Seele baumeln zu lassen und einfach abzuschalten. Die nördliche Region fasziniert mit ihrer unberührten Natur, nur wenige Menschen wohnen dort ganzjährig. Die meisten verbringen nur die Sommermonate in kleinen Hütten, um die Schaf- oder Rinderherden zu hüten. Zu diesem Zweck dienen teilweise die sogenannten Katuns, traditionelle zeltförmige Hütten mit Metalldach, als temporäre Unterkunft.
Auf schmalen ehemaligen Militärstraßen, die ihre besten Tagen schon hinter sich haben, tragen unsere Pferde uns in fleißigem Schritt die Berge rauf und runter, rauf und runter. Immer wieder treffen wir nichtnur auf die Ruinen verlassener Häuschen und ganzerDörfer, sondern auch aufumzäunte Äcker undFelder, auf denen dieMenschen auch heutenoch Gemüse anbaen – trotz der hartenBedingungen. Absoluttrittsicher, vorsichtig undausdauernd überwindenunsere Pferde nicht nur zahreiche Streckenkilometer, sondern auch etliche Höhenmeter. Jeder Gipfel bieteteine faszinierende Aussicht,und jedes Tal hält eine neueMöglichkeit für einen aus-gedehnten Trab oder einenfleißigen Galopp bereit. Wir verbringen zweiNächte in der Abgeschiedenheit der Berge, weit weg von jeglicher Zivilisation: nur wir, unserePferde und unsere Gastgeber. Auch inder wundervollen Bergpension spürt man die Ruhe der Natur und die Einsamkeit – in Sichtweite befinden sich, über das Tal verstreut, höchstens noch zehn weitere Häuser. Bei einem traditionellen Abendessen mit gefüllter Paprika, Schinken, Käse und Brot erzählt uns der Eigentümer des achteckigen Holzhauses, wie er darauf kam, genau an diesem Ort eine Pension zu bauen: „Ich habe von diesem Ort und diesem Holzgebäude geträumt. Als ich herausfand, dass das Land meinen Vorfahren gehört hatte und sie vor langer Zeit einmal eine einfache Hütte auf diesem Berggipfel besessen hatten, beschloss ich, eine kleine Pension zu bauen.“ Bevor es uns auf die einfachen, gemütlichen Zimmer zieht, lassen wir die Erlebnisse des ersten Reittages Revue passieren. Unsere Pferde verbringen die Nächte angepflockt auf der Wiese vor der Pension und werden liebevoll umsorgt – auch eine Decke für die mitunter sehr kalten Bergnächte darf nicht fehlen.
Über Stock und über Stein
Die südliche Bergregion, in der wir anschließend reiten, ist etwas dichter besiedelt und hier wird die freundliche und zuvorkommende Art der Montenegriner deutlich: Hirten grüßen uns mit einer Zigarette im Mundwinkel, Anwohner machen Fotos von unserer Reitgruppe, und wir bekommen verschiedene Einladungen zu einer Tasse Kaffee oder einem kleinen landestypischen Snack. Der Süden ist felsiger und anspruchsvoller für Pferd und Reiter und bietet weniger Raum für ausgedehnte Galoppstrecken. Bei den Kletterpartien, den schmalen Gebirgspässen und steilen Auf- und Abstiegen wird etwas Schwindelfreiheit und Abenteuergeist benötigt. Außerdem erwarten uns im Lovćen-Nationalpark urige Wälder, spektakuläre Bergformationen sowie malerische, teilweise verlassene Steindörfer. Immer wieder bieten sich wunderschöne Aussichten auf das Meer und die Küste.
Nach den Tagen und Nächten in der menschenleeren nördlichen Bergregion, kommt es einem Kulturschock gleich, plötzlich wieder in Städten wie Cetinje oder Kotor zu übernachten und von verhältnismäßig vielen Menschen umgeben zu sein. Diese Reiseplanung ist jedoch notwendig, damit neben den abwechslungsreichen Ritten durch die faszinierende Berglandschaft Montenegros auch ein kulturelles Rahmenprogramm angeboten werden kann. Neben Stadtführungen in der Residenzstadt Centinje und der wundervollen Küstenstadt Kotor, steht auch eine Bootsfahrt zu der bekannten Kirche „Lady of the Rocks“, die auf einer Insel in der Bucht von Kotor liegt, auf dem Programm. Und auch eine kurze Abkühlung im Meer durfte bei 30 Grad Lufttemperatur natürlich nicht fehlen. Ein Highlight für mich war die Besichtigung eines traditionellen Landhauses mit angrenzenden Weinbergen: Der Gastgeber erklärte uns zunächst anschaulich die Besonderheiten der Weinproduktion, bevor wir den vollmundigen Rotwein bei einem traditionellen Abendessen verkosten durften.
Text & Foto: Nicole Audrit