Alex Madl ist Pferdetrainer, der durch die Warmblut-Zucht seines Vaters geprägt wurde. Einige Pferde brachten ihn an seine Grenzen, weshalb er nach neuen Wegen der Pferdeausbildung suchte. Ein „roter Faden“ aus Wissen, Ethik und Motivation ist es, der ihm bei der Ausbildung von Problempferden hilft              

Mit dem Blick zurück meine ich nicht nur das offensichtliche Entstehen eines Problems mit all seinen schleichenden oder plötzlich auftretenden Ereignissen. Ich meine nicht das Bereuen einer vermeintlichen Fehlentscheidung, Selbstvorwürfen oder die Suche nach Schuldigen. Was ich meine, ist ein klarer, puristischer Blick zurück, mit dem Willen zu lernen und zu forschen – verbunden mit der Liebe zu Tier und Mensch. Nur wenn es gelingt, Geschehnisse und Vergangenes zu betrachten, ohne sich oder andere zu verurteilen, lässt sich Verhalten korrekt bewerten und ein guter Lösungsweg finden.

Im Folgenden möchte ich einen Einblick geben, welche Erkenntnisse und Werte ich in meiner Arbeit mit Korrekturpferden gewonnen habe – und wie sie mein Training bis heute beeinflussen.

Gesundheit

In den vergangenen 20 Jahren durfte ich mit mehr als 1.500 Pferden arbeiten. Das gab mir die Möglichkeit, diverse Verhaltensauffälligkeiten kennenzulernen und zu korrigieren. Zusammenhänge, die mit auftretendem Verhalten bestehen, zu erkennen, ist in meiner Arbeit unerlässlich, weshalb mögliche Ursachen, wie beispielsweise Erlebtes, aktuelle Umstände, die verwendete Ausrüstung und die Gesundheit des Pferdes für mich immer von hoher Relevanz sind. Auf den letzten Punkt, die Gesundheit, möchte ich gern noch genauer eingehen.

Vorab sei gesagt, dass man, wenn man hinsieht, manchen Pferden bereits ganz offensichtlich ihren Unmut oder Schmerz ansieht. Es gibt hervorragende Leute, die von Zahnbehandlungen, über Hufbearbeitung, Anpassung von Equipment bis hin zur Osteopathie helfen können. Dies ist immer die erste Maßnahme, wenn ich das Gefühl habe, dass bei einem dieser Punkte Handlungsbedarf besteht. Auf zwei gesundheitliche Ursachen möchte ich aber doch etwas genauer eingehen, da diese bei meiner Arbeit mit am häufigsten zu Missverständnissen und Fehleinschätzungen durch den Menschen geführt haben. Zum einen ist das die Krankheit PSSM Typ 1 und Typ 2. Zu häufig wird diese Erkrankung nur mit Quarter Horses in Verbindung gebracht, dabei kann dieser Gendefekt aber in allen Rassen zu einem oft unvorhersehbaren Verhalten führen. Auffällig war bisher die Häufigkeit, mit der dieser auch bei Kaltblütern, ebenso wie bei Haflingern, Warmblütern und vielen anderen Rassen aufgetreten ist. Selbst bei Arabern konnten wir den Gendefekt bereits feststellen. Die Symptome waren oft ähnlich: hoher Muskeltonus, schnelles Schwitzen, Nervosität, Probleme beim Schmied oder Kreuzverschlag. Es ist sehr leicht, mit einer angepassten Haltungsform, Fütterung und einem kontinuierlichen Training ohne Trainingsspitzen solche Pferde zu zuverlässigen Freizeitpartnern auszubilden. Wichtig ist jedoch, in Erwägung zu ziehen, dass solch eine Krankheit hinter den beschriebenen Symptomen stecken kann. Eine zweite, häufig auftretende Ursache für auffälliges Verhalten sind Eierstock-zysten bei Stuten. Eine atypische Rosse, ein schnelles Auslösen der Rosse, aber auch eine Überempfindlichkeit auf das Reiterbein sind Hinweise dafür. Jeder gute Tierarzt kann dies feststellen und einen Therapieplan erstellen. Schon oft wurde daraufhin aus einer vermeintlich zickigen und unverstandenen Stute ein ruhiges, zufriedenes Pferd.

Gebisslos Reiten

Ein weiterer Aspekt, der in meiner Arbeit mit Pferden über die Zeit immer wichtiger wurde, ist die Ausbildung ohne Gebiss. Meiner Erfahrung nach verfälscht der Druck des Gebisses auf die Zunge die Wahrnehmung der Pferde. Durch die nach hinten geschobene Zunge spannt das Pferd den Unterhalsmuskel an – ein Muskel, der nachweislich für die Produktion von Stress zuständig ist. Ein Teufelskreis kann so in Gang gesetzt werden. Seit Jahren reite ich daher mit Bosal und schule Pferde und Reiter darin.

Unerlässlich ist für mich dabei die Wahl eines weichen Bosals, da nur damit eine reelle Anlehnung möglich wird und sich infolgedessen der Kopf des Pferdes in Relation zu den Hanken bewegen kann. Mit einem Bosal Dressur zu reiten, hat mich schon immer fasziniert und ich würde gerne noch viel dazu sagen. Da dieses Thema jedoch den Rahmen dieses Artikels sprengen würde, lade ich Interessierte aber gerne dazu ein, mich bei Fragen zu kontaktieren.

Vertrauen

Vertrauen ist eine wunderbare Sache und essenziell, damit das Pferd eine Korrektur nicht als Angriff sieht. Beständigkeit, Fairness und Klarheit sind für mich wichtige Punkte, um vertrauen zu können – oft schwierig in einer Zeit, in der das Pferd so viel für uns kompensieren muss. Während Pferde früher über Jahre hinweg, Tag für Tag, für die immer gleiche Tätigkeit eingesetzt wurden, ist diese Beständigkeit in der heutigen Zeit weitgehend verloren gegangen und wird immer wieder gefährdet durch neue, wechselnde Trainingseinflüsse und die Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft.

Ein Beispiel: Sehr scheue und misstrauische Pferde bekommen von mir immer zur selben Uhrzeit, auf die Minute genau, zu fressen. Meist verbunden mit dem Holen von der Koppel, ohne Gruppendynamik, sondern im Einzelkontakt. Ein simpler Ansatz, sich beständig auf etwas zu freuen, was das Pferd trotz aller Vorerfahrung positiv mit dem Menschen verknüpft. In der ganzen Zeit hatte ich aber auch schon einige Male das Glück, miterleben zu dürfen, wie Vertrauen plötzlich durch eine Aktion entstehen kann: Vor einigen Jahren war ich in der Dämmerung mit einer Stute ausreiten, da sie hier die meisten Probleme hatte. Unser Hof liegt tief im bayerischen Wald auf Mittelgebirgshöhe. Es ist daher also durchaus möglich, dass Wölfe das Gebiet durchstreifen. Neben uns hörte ich etwas vorbeilaufen, das definitiv kein Wild war. Die Stute spannte sich an und zugleich ich mich auch. Ich bin mir sicher, wenn sie die Flucht ergriffen hätte, ich hätte sie nicht aufgehalten, sondern ihrem Instinkt vertraut. Als es ruhiger wurde, entspannten wir uns wieder und ritten zum Hof zurück. Von diesem Abend an suchte mich die Stute und brummelte, sobald sie mich kommen sah. Noch heute denke ich oft an diesen Ausritt. Vor allem frage ich mich, was die Situation bewirkt hätte, wenn sie in einer anderen Region stattgefunden hätte, in der ich das Wissen gehabt hätte, dass uns nichts Gefährliches zu erwarten hat. Ich bin mir sicher, dass ich mich nicht ihrem Instinkt hingegeben hätte, in der Bereitschaft, gemeinsam zu flüchten. Ich vermute jedoch, dass dieses vorbehaltlose Vertrauen ausschlaggebend war für die Beziehung, die wir ab diesem Tag hatten.

Positionieren – Konditionieren

Hier geht es darum, das Pferd zu bewerten und festzustellen, in welchem Bereich es Hilfe braucht bzw. in welchem Bereich seine Stärken liegen. Eine Erfahrung, die ich immer wieder mache, ist, dass die Psyche des Pferdes maßgeblich von der Art seiner Bewegung und des damit verbundenen Muskeltonus beeinflusst wird. Manchmal ist dies bereits in der Oberlinie des Pferdes durch fehlende oder zu viel Muskulatur sichtbar.

Zuerst bewerte ich die Bewegung im Vorwärts: Ist der Schritt ein reiner Viertakt oder zeigt er eine Tendenz zur Passverschiebung, was immer auf eine Verspannung hindeutet? Ist der Trab ein gleichmäßiger Zweitakt? Durch die Arbeit mit vielen schwierigen Pferden habe ich gelernt, dass man zuerst konditionieren, also trainieren kann, was vorher positioniert wurde. Das heißt, dass ich zuerst die Bewegungsabläufe des Pferdes im Einzelnen optimieren muss, bevor ich es im Rahmen von verschiedenen Übungen abfragen kann, da dies sonst zu Schonhaltung oder übermäßiger Beanspruchung führt. Daher ist es wichtig, dem Pferd zunächst zu erklären, welche Position der Hinterhand, der Schulter und des Halses im Einzelnen biomechanisch korrekt ist und das Pferd physisch und psychisch reifen lässt, um diese dann durch Timing und Wiederholung in einem Bewegungsablauf des Alltags zu festigen. Die einzelnen Beine können wir auf zwei Arten positionieren: einmal im Vorwärts, also in langen und kurzen Tritten. Und einmal im Seitwärts in vielen unterschiedlichen Winkeln. Dabei sehe ich einen Trainingsansatz als besonders wichtig an: „Seitwärts trainiert, vorwärts ruft ab.“ Ein kleines Beispiel, wie das gemeint ist: Ein gutes Seitwärts ist, als würden wir eine Hantel in die Hand nehmen, ein paar Mal anheben, dann ablegen und unser Arm würde sich dann freier anfühlen. In unserem Vergleich entspricht das dem Vorwärts nach dem Seitengang. Bei einem schlechten Seitwärts heben wir die Hantel zu lange hoch und beim Ablegen fühlt sich unser Arm schwerer an. Dieser Unterschied, womöglich gepaart mit ein paar technischen Fehlern, ist für mich entscheidend für einen Trainingserfolg oder Misserfolg. Ein gezieltes Seitwärts macht das Vorwärts schöner. Das Pferd kann aus seiner eigenen Energie arbeiten, oftmals ohne den Einsatz externer Hilfsmittel wie Gerte oder Sporen.

Die Energie des Pferdes lenken

„Don`t be afraid of the energy, just shape it.“ Ein sehr schöner Satz von Jeff Sanders. Gemeint ist, die Energie des Pferdes nicht etwa zu bekämpfen oder gar Angst vor ihr zu haben, sondern sie in entsprechende Bahnen zu lenken. Hierbei ist der begleitende Sitz essenziell. Unser Sitz ist die stärkste permanente Hilfe, die wir haben. Durch ihn erhalten wir einen direkten Zugang zu der Rückenmuskulatur des Pferdes, sowie zum Becken des Tieres. Die Ausrichtung der Rückenmuskulatur ist ein Spiegelbild der Beine. Also – „just shape it“.

Das Wissen, dass ein Pferd über seine natürliche Biegung in eine Ruhe gerät, ist alt. Der Grund hierfür: In der natürlichen Biegung ist kein Fluchtgedanke vorhanden. Die natürliche Biegung hat ihren Ursprung im inneren Hinterbein. Wichtig ist es, dem Pferd die Tragkraft in der Biegung am inneren Hinterbein zu lehren. Nur wenn das innere Hinterbein Position und Kraft findet, kann Ruhe und Balance im Pferd entstehen. Nun geht es in die Praxis: Eine gut gerittene Volte, sowie ein Schulterherein, Konterschulterherein und Schenkelweichen bringen uns genau diesen Effekt. Im nächsten Schritt bringt uns das Ansprechen des äußeren Hinterbeines nun ein vermehrtes „Schließen“ des Pferdes. Die Kraft der Hinterhand kann gezielt genutzt werden, was immer ein Stück weit zu Lasten der Biegung geht. Travers, Renvers und Traversalen bringen uns diesen Effekt. Hiermit beginnt die nächste Etappe, eine Kombination aus Ruhe und Kraft: vom inneren zum äußeren Hinterbein. Oder bildlich erklärt, der Wechsel von Schulterherein zu Travers, von Renvers zu Konterschulterherein, von einer Traversale zum Schenkelweichen, ein Spiel mit Kombinationen und Winkeln. Den Erfolg werden wir in einem geschmeidig und leicht vorwärts geladenen, taktreinen Pferd finden, bei dem sich die einzelnen Gliedmaßen in immer größerem Winkel beugen und ohne Mühe von langen in kurze Tritte wechseln und das mit der nötigen Hankenbiegung in eine ehrliche Versammlung gelangt.

Die Anordnung dieser Übungen, sprich das Spiel mit den Linien und Winkeln, ist eine ewige Reise, auf der meiner Meinung nach jeder seine eigenen Erfahrungen machen muss, da sich neben dem theoretischen Wissen die eigene Mentalität und der eigene Rhythmus von Pferd und Reiter in den Übungsabfolgen widerspiegeln müssen.

Vielleicht liegt es in der Perspektive des Betrachters, wem wir unsere Bewunderung schenken: Einem in allen drei Grundgangarten taktrein und leicht vorwärts gehenden Pferd – oder einem Pferd, das lediglich spektakulär aussehende Tricks beigebracht gekommen hat, während die Grundlagen-arbeit jedoch vernachlässigt wurde. Mag sein, dass ich schon zu viele dieser „Showpferde“ ohne Sattel gesehen habe und unter anderem daher die Reinheit und Klarheit der Bewegung vorziehe.

Altes Wissen

Der Blick zurück beinhaltet aber auch die Herangehensweisen anderer Trainer und Ausbilder zu durchleuchten, um festzustellen, dass bereits vor vielen Jahren das Wissen um Trainingsansätze, auf der eine gute Pferdeausbildung basiert, vorhanden war und lediglich manche Zusammenhänge noch nicht erforscht waren.

Der gemeinsame krafterfüllte Blick

Abschließend möchte ich noch von einer für mich bedeutenden Erkenntnis erzählen: Vor rund zwei Jahren bat mich Angelika Graf, eine Freundin und Lehrerin, mir Ritte auf einem Working-Equitation-Tunier anzusehen. Es waren ein paar sehr schöne Ritte dabei, aber Angelikas Fokus war immer an einem Hindernis: ein Durchparieren in den Halt.

Anfangs wusste ich nicht genau, worauf ich achten sollte. Sie meinte: „Siehst du es? Bei manchen Pferd-Reiter-Paaren geht der Blick in den Boden oder in unterschiedliche Richtungen, aber bei einigen geht der Blick gemeinsam nach vorne. Nicht scheu oder ängstlich, sondern von einer Kraft erfüllt, als ob nichts auf dieser Welt die beiden bremsen könnte. So müssen wir trainieren.“ An diesem Tag habe ich ein Stück weit mehr verstanden. Vielleicht ist es dieser gemeinsame krafterfüllte Blick, der sich über all die Epochen der Reiterei nie verändern wird, da es nicht möglich ist, diesen vorzutäuschen. Er zeigt das Reifen der gemeinsamen Energie in eine Verbindung, deren Entstehung sich nicht abkürzen oder verfälschen lässt. Eine Verbindung, die für mich nur möglich ist, wenn beide, Pferd und Reiter gemeinsam physisch und psychisch reifen können.

Text: Alex Madl    Foto: Marcus Sonntag

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