Text & Foto: Dominique Rippmann

Dominique Rippmann reiste diesen Sommer zuunterschiedlichen Pferdefarmen nach Kanadaund erlebte dort die kuriosesten Dinge. Ihre Erlebnisse bestätigen nicht die typischen Vorstellungen vom „Horsemanship Canada“, sondern sind ein ernüchternder, teils etwas satirischer Erfahrungsberich

Völlig blauäugig dank unzähliger Filme, Bücher und Pferdeshows reiste ich als begeistertes Pferdemädchen von der Schweiz nach Kanada, um einen Sommer lang genau nach diesem kitschigen Pferdeglück zu suchen. Von den erträumten Erfahrungen im sensiblen, respektvollen Umgang mit Tier und Mensch fand ich aber nicht viel und durchlebte während meines Sommerjobs dort stattdessen einige ernüchternde, weder menschen- noch pferdegerechte Episoden. Aber lesen Sie selbst …

Das Püppchen im Schlammfeld

Heute begleite ich Tina auf einem geführten Touristenausritt. Sie ist jeweils ganz vorne, während ich zuhinterst das „Back-up“ mache und dabei den unerfahrenen Reitern zwischen uns Hilfestellungen zurufe. Vor mir reitet ein besonders hübsches Püppchen mit lang wehenden blonden Haaren. Ihre weiß-goldenen Turnschuhe glänzen in der Sonne, und ihr ebenso weißes Top platzt fast über dem Push-up-BH. Püppchen ist besonders resistent, was Anweisungen betrifft. Die Zügel richtig in die Hand zu nehmen ist nichts für sie. Einen Zweig zur Seite schieben ebenso wenig. Nach den ersten 15 Minuten des Ausritts taucht eine riesige Pfütze vor uns auf. Mit richtig viel Matsch. Püppchens Pferd möchte da nicht durch und sucht sich einen Weg drumherum. Püppchen beweist dabei weiterhin ihre Anweisungsresistenz, und unser Zurufen, das Pferd zu steuern, führen zu nichts. Und da kommt auch schon der Zweig. Statt ihn mit der Hand aus dem Weg zu schieben, lehnt sich Püppchen zurück und scheint eine Limbo-Performance hinlegen zu wollen. Der Zweig ist aber erbarmungslos tief und fegt die gute Puppe aus dem Sattel. Mit einem lauten Pflatsch landet sie im Schlammfeld. Alle Viere von sich gestreckt, bleibt sie liegen, sodass sich ihr schönes Outfit mitsamt Frisur so richtig mit Schlammwasser vollsaugen kann. Ich springe von meinem eigenen Pferd, um Puppe aufzuhelfen und ziehe sie mit einem großen, schmatzenden Ruck aus dem Schlamm. Wehgetan hat sie sich nicht. Nun möchte sie aber auch nicht mehr auf ihr Pferd steigen, und so stapfe ich mit ihr, ihrem Freund und drei Pferden im Schlepptau wieder zurück auf den Hof, während der Rest unserer Trailtruppe weiterreitet. Unterwegs lässt Püppchen ihre Wut schimpfend an ihrem Freund aus, und als wir den Hofplatz erreichen, macht sie mit nicht mehr ganz so wehendem Haar einen Abgang. Was für ein Tag!

Horse Camp

Heute helfe ich zum ersten Mal beim sogenannten Horse Camp mit. Während einer Woche kommt dabei jeden Tag eine Gruppe Kinder auf den Hof, um reiten zu lernen. Die Mädels, die eigentlich die Camps leiten sollten, machen aber lieber Pause, um zu schwatzen oder auf ihre Handys zu starren. Die Kinder müssen währenddessen einfach warten, stehen sich die Beine in den Bauch oder streiten sich um die drei verrosteten Stühle am Rande der Reithalle. Irgendwann ringen sich die Leiterinnen dazu durch, ihre Tagesaktivität zu starten. Sechs Kinder werden auf sechs große Pferde gesetzt. Was auf diesem Tier dann genau zu tun ist, wird nicht erklärt, und es herrscht Chaos. Ein Junge namens Marvin verkraftet das Ganze gar nicht, und er schluchzt laut auf, als sein Pferd einen Schritt nach vorne macht; hatte er doch nicht erwartet, dass sich dieses Tier unter ihm bewegen könnte. Ich hebe den Jungen kurzerhand herunter und setze ihn auf einen Stuhl, von welchem er zuerst zuschauen soll. Dann gebe ich mein Bestes, den Kindern Hilfestellungen zu geben, und irgendwann kriegen sie es hin, im Kreis hintereinander herzureiten. Juhu! Die eigentliche Leiterin fummelt an ihren Haaren herum oder sucht nach Equipment, das sie beim Satteln vergessen hat.

Am Ende des Tages erlaube ich mir, die Leiterinnen auf das heutige Chaos beim Camp anzusprechen und eine Alternative vorzuschlagen, wie wir den Reitunterricht kinder- und pferdegerechter organisieren könnten. Diese Aktion sollte sich in den nächsten Tagen jedoch als „Fauxpas“ herausstellen. Die Camps laufen nämlich genau gleich weiter, während ich – ohne Macht über den Einsatzplan – nach jedem Feierabend noch zum zweistündigen Mistschaufeln verdonnert werde.

Reiterlose Rückkehrer

Heute ist wieder ganz viel los auf der kanadischen Pferderanch, wo ich einen Teil meiner Sommerferien als Mitarbeiterin verbringe. Wie an so manchen Tagen helfe ich meiner Kollegin Tina bei den Vorbereitungen für die Trail Rides. Die Tagestouristen, die daran teilnehmen (völlig ohne Pferdeerfahrung, versteht sich), freuen sich wie kleine Kinder aufs Reiten, machen sich aber dann doch fast in die Hose, als sie auf den Pferden sitzen. Tina beteuert, dass dies die nettesten Pferde der Welt seien und kein Grund zu irgendwelchen Sorgen bestehe. Die Truppe zieht los. Ich bleibe derweil im Stall und räume ein Regal mit gammelnden Bürsten aus. Die Hälfte schmeiße ich ungefragt weg, da darauf schon graue Pelze wachsen, und damit sind nicht die übrig gebliebenen Pferdehaare gemeint …

Gerade als ich fertig bin, ertönt das herannahende Trommeln galoppierender Pferdehufe. Ich laufe aus der Scheune, und zwölf Pferde kommen mir entgegen. Sie sind von oben bis unten mit Matsch verkrustet, und einige tragen teilweise zerfetzte Sättel am Bauch statt auf dem Rücken. Von den Touristen und Tina keine Spur. Ein anderes Mädel, das im Stall arbeitet, kommt angerannt und versucht hektisch, Tina anzurufen, während ich die aufgebrachte Pferdebande beruhige, anbinde und von der zerrissenen Ausrüstung befreie. Tina meint am Telefon, dass alle Pferde durchgegangen seien. Die gesamte Touristenbande habe dabei unsanfte Bekanntschaft mit dem Boden gemacht. Glücklicherweise sei niemandem etwas passiert. Eine ganze Weile später trottet die Touristengruppe ebenfalls schlammverschmiert auf den Hofplatz. Was für ein Anblick …

Hoppe, hoppe Reiter, wenn er fällt, dann schreit er

Es wäre doch zu schön, um wahr zu sein, wenn auf einem dieser geführten Touristenausritte niemand vom Pferd fallen würde. Doch meine Hoffnungen werden schon bei der ersten Flusspassage zunichte gemacht. Leider ereignet sich das Unglück heute mitten im Fluss. Ein rutschender Sattel, ein schreiender Reitgast, PFLATSCH! Diesmal kann ich mir das Lachen einfach nicht verkneifen, als der Tourist, einer Karikatur gleichend, verdutzt und triefend wieder aus dem Fluss auftaucht. Wir helfen dem armen Mann ans Ufer, während seine nigelnagelneuen roten Turnschuhe ohne ihn den Fluss hinabtreiben. Dann meint unser Trailguide, dass ich die Gruppe selber nach Hause führen solle, damit er sich um den patschnassen, schuhlosen Reitgast kümmern kann. Zeit zum Diskutieren ist keine, die Pferde haben genug des Wartens und sind kaum noch zu halten. Mein Orientierungssinn schlägt Alarm, da ich keine Ahnung habe, wo es langgeht, war ich doch seit meiner Ankunft immer nur das Schlusslicht der Gruppe und habe mehr auf die Reiter statt auf die verschlungenen Pfade geachtet. Gleichzeitig versuche ich, drei ungeduldige Pferde zurückzuhalten. Bis zu den Schienbeinen stehe ich im Schlamm und bleibe zu allem Übel auch noch darin stecken. Gezwungenermaßen lasse ich zwei der Pferde los, die ohnehin reiterlos sind, und lasse mich vom dritten Pferd aus der Patsche ziehen. Und als ob die zwei losgelassenen Pferde meinen furchtbaren Orientierungssinn riechen könnten, gehen sie den Weg voraus nach Hause, sodass wir ihnen folgen können. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir den Hof.

Ein weiterer abenteuerlicher Nachmittag geht zu Ende, und Jim, der Ranchbesitzer, belohnt uns mit einem Barbecue. Meine Erzählungen vom heutigen Ausritt nimmt er mit einem Schulterzucken entgegen und meint, das sei doch ein ganz normaler Tag auf der Ranch. Später am Abend sitze ich in meinem Trailer und reflektiere die vergangenen Wochen, die in großem Kontrast zu meiner Komfortzone stehen. Vielen Pferden und Menschen bin ich begegnet, habe andere Ways of Life kennengelernt und bin durch die Wildnis Kanadas geritten. Und in diesen wenigen, aber turbulenten Wochen sind mir einige meiner Grundwerte klar geworden: Ein respektvoller Umgang mit Mensch und Tier, für sich und seine Umgebung Sorge tragen, Gesundheit und Sicherheit wahren – das möchte ich nicht missen, und so plane ich meine Heimreise, da ich diese Werte im heimischen Stall zu finden weiß und sie schmerzlich vermisst habe.

Trotz meiner überaus holprigen Erfahrungen in diesem riesengroßen Land sollen die beschriebenen Episoden aber nicht heißen, dass es keine Ställe bzw. Menschen in Kanada gibt, die meine Grundwerte teilen. Sie haben sich lediglich in den wenigen, von mir besuchten Ecken nicht offenbart.

Meine bis zur Abreise verbleibende Zeit in Kanada widmete ich den Pferden der Ranch, und ich gab mein Bestes, damit sie wenigstens in den restlichen zehn Tagen gut gestriegelt, sorgfältig gesattelt und regelmäßig getränkt wurden. Der große „Hank“ scheint dies jedenfalls zu schätzen.

Kennen Sie jemanden, den die Pferdeliebe in die Ferne verschlagen hat, oder sind Sie gerade selbst im Ausland? Wir möchten mehr über Ihre Erlebnisse erfahren. Schicken Sie uns eine E-Mail oder einen Brief an:

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Redaktion Mein Pferd

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