Das Verhalten von Pferden ist abhängig von der Herdengemeinschaft, und so manche Konstellation bedeutet für Pferde oftmals eher Stress als Harmonie und Freude. Woran wir dies erkennen und wie wir als Halter eingreifen und helfen können, erklären uns Tierpsychologin Jessica Tramm und Verhaltensforscherin Isabelle von Neumann-Cosel
Text: Jessica Classen; Fotos:

Auf dem Weg zur Weide – den Strick in der einen, ein Möhrchen in der anderen Hand – bemerken wir schon, dass etwas nicht stimmt: Normalerweise steht ein Teil der Herde bereits vorne am Gatter, während der andere Teil verstreut auf der Wiese steht und noch gemütlich die letzten Halme zupft, bevor es in den Stall geht. Beim Näherkommen sehen wir auch den Grund des ungewohnten Verhaltens der Pferde: Zwei Pferde, die sich eigentlich gut verstehen, spielen miteinander, während die anderen mit Abstand beisammenstehen und zusehen. Aber spielen die beiden wirklich nur oder handelt es sich vielleicht doch um einen richtigen Kampf? „Da die Pferde nicht mehr in freier Wildbahn leben, sondern auf kleinen Flächen, von Menschen eingezäunt, ohne große Fluchtmöglichkeit, ist der Halter auch in der Verantwortung, dass sich die Herde versteht“, sagt Tierpsychologin Jessica Tramm. „Er muss sich bei Schwierigkeiten einmischen und diese zum Wohle des Pferdes verbessern, das ist seine Pflicht.“

Wenn aus Spaß Ernst wird

„Ernsthafte Kämpfe sind selten“, gibt Verhaltensforscherin Isabelle von Neumann-Cosel direkt Entwarnung. „Meist werden die Rangordnungsstreitigkeiten durch kurze Auseinandersetzungen geregelt, in denen der Unterlegene ernsthaften Kämpfen ausweicht.“ Trotzdem, so betont die Expertin, gibt es auch bei Pferden Alarmzeichen, die den Besitzer zum Handeln veranlassen sollten: Kampfgeschrei von Hengsten, anhaltende Schlagattacken, verletzungsgefährdende Bisse oder andauerndes verbissenes Niederringen eines Gegners. Steht eine Herde allerdings bereits seit langer Zeit in einer bestimmten Konstellation zusammen, und plötzlich – für uns Besitzer wie aus dem Nichts – kommt eines der Pferde mit Verletzungen von der Weide zurück oder wurde einmal wirklich böse verletzt, steht für uns die Welt Kopf. „Die Rangordnung ist keine Festschreibung auf Dauer“, so Isabelle von Neumann-Cosel. „Einzelne Tiere können durch Wachstum oder Training stärker werden, andere durch Alter oder Krankheit schwächer. Pferde geben ihren Status in der Herde allerdings nicht freiwillig auf.“ In größeren Herdenverbänden bestehen bessere Rückzugsmöglichkeiten für ein schwächer werdendes Tier. „Bei kleiner Besetzung der Herde können hingegen sehr ungünstige Konstellationen entstehen. Daher betrachte ich wenige Pferde, die nicht zusammenpassen, aber auf engem Raum gehalten werden, als problematischer als große Herden, in denen jedes Tier seinen eigenen Rückzugsort hat, wenn genügend Platz vorhanden ist“, betont sie. Auch hier besteht Handlungsbedarf, wenn aus Spaß Ernst werden sollte. „Allerdings sollte der Besitzer sich niemals zwischen streitende Pferde stellen! Hier besteht akute Lebensgefahr“, warnt Jessica Tramm. Dann heißt es für Sie: Ruhe bewahren und zu zweit oder dritt sanft die Pferde trennen, sobald diese sich etwas beruhigt haben. Sollte ein Pferd so stark verletzt werden, dass es Wunden hat, die genäht werden müssen, oder dass es sogar in eine Klinik muss, dann muss dringend eine neue Lösung vom Besitzer gefunden werden.

Herdenkonstellation festlegen

Das Herdenverhalten sollte bei Pferden besonders am Anfang der Zusammenführung genau beobachtet werden, da sind sich unsere Expertinnen einig. „Am  besten ist es immer, eine beständige Herde zu haben“, so Jessica Tramm, und die Verhaltensforscherin Isabelle von Neumann-Cosel ergänzt: „Erfahrungsgemäß ist in gleichgeschlechtlichen Herden mehr Ruhe. Bei Pferden, die ungefähr ranggleich erscheinen, muss man mit Rivalität rechnen; Vertreter unterschiedlicher Rassen kommunizieren manchmal schlechter“, sagt sie. „Pferde können selbstverständlich auch gemischtgeschlechtlich gehalten werden, ungünstig sind dann allerdings Gruppen gleich alter Pferde“, so Isabelle von Neumann-Cosel. „Dann ist mit starker Rivalität zu rechnen, vor allem, wenn Stuten rossig werden.“ Und Jessica Tramm sagt: „Meiner Meinung nach kann man problemlos Stuten und Wallache zusammen halten. Man sollte eher auf die Charaktere achten, dass die Pferde eben auch zusammenpassen. Außerdem ist es wichtig, dass Fohlen und Jährlinge den Kontakt zu älteren Pferden bekommen, weil diese einen Großteil der Erziehung übernehmen.“ Dies bietet ihnen Sicherheit, und sie können sich wichtige Dinge von den älteren und erfahreneren Pferden abschauen. Generell können Sie Pferde jeden Alters zusammenstellen. Achten Sie nur darauf, dass ältere Pferde schon mal gerne ihre Ruhe haben, während jüngere zum Spielen drängen. Das kann zu Unruhe führen, aber nicht zwangsläufig zu verletzungsgefährdendem Verhalten. „Zu kleineren Verletzungen kann es in der Kennenlernphase immer kommen, dies ist normal und bedarf nicht gleich einer Trennung“, so Jessica Tramm. „Hier ist es sehr wichtig, dass der Mensch die Situation genau beobachtet und dementsprechend handelt.“ Ist es wirklich nur ein Kennenlernen, oder meinen sie es ernst? Gerät eines der Pferde unter enormen Stress und kann sich schlecht wehren? Bei solchen Beobachtungen müssen Sie gegebenenfalls eingreifen und eine andere Herdenkonstellation wählen. „Pferde zeigen normalerweise nicht mit Lauten, dass sie sich unwohl fühlen“, sagt die Pferdepsychologin. „Allerdings kann es vereinzelt und in Ausnahmefällen schon einmal vorkommen, dass sich die Pferde über Tage nicht beruhigen und immer dem Menschen zuwiehern. In so einer Situation muss unbedingt eingegriffen und dem Pferd geholfen werden.“ Da der konkrete Einzelfall immer wieder von den Erwartungen abweichen kann, muss der Besitzer vor allem dann dabei sein, wenn sein Pferd in eine neue Herde kommt. „Hier ist eine Beobachtung über die ersten Wochen wichtig; sollte das Pferd sich nicht wohl fühlen, muss eine andere Lösung beziehungsweise Herde gefunden werden“, so Jessica Tramm, und Isabelle von Neumann-Cosel führt weiter aus: „Wenn die Möglichkeit besteht, kann man das neue Herdenmitglied auf eine benachbarte Weide stellen, vielleicht mit einem ranghohen, aber verträglichen Kumpel aus der Herde. Nach wenigen Tagen kann man in der Regel beide Pferde zurück in die Herde integrieren.“ Zudem müssen Sie sicherstellen, dass das Leittier der Herde das neue Mitglied akzeptiert. Hierbei haben Sie verschiedene Möglichkeiten: Beispielsweise können Sie vor der Integration in die Herde die Pferde für ein paar Stunden in benachbarte Boxen oder Paddocks stellen, damit sie sich kennenlernen. „Eine weitere Idee könnte sein, dass der Neuankömmling sich über den Zaun mit den neuen Kumpel bekannt machen kann“, führt die Tierpsychologin Jessica Tramm weiter aus. „Sie sehen dann schnell, wo die Sympathien sind.“

Freunde fürs Leben

„Pferdefreundschaften kann man nicht erzwingen“, sagt Isabelle von Neumann-Cosel abschließend. Haben sich diese Freundschaften einmal gebildet, so sollten sie möglichst nicht mehr getrennt werden. Ein Gruppenverband ist für Pferde überlebenswichtig, weil die Herde ihre Zuflucht darstellt. Daher sollten Sie Ihr Pferd nur in eine Herde stellen, in der es sich wirklich wohl und vor allem auch sicher fühlt, denn nur so kann es für Sie ein entspannter und zuverlässiger Begleiter sein.

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