Früher brachte der Klapperstorch die Babies, heutzutage kann das Internet weiterhelfen: Nachdem eine Stute ihre Zwillinge und ein Fohlen seine Mutter verloren hatten, kam es letztendlich doch noch zu einem Happy End: Zwei einsame Seelen fanden bei eBay zusammen
Text: Jessica Classen | Fotos: picture alliance | Daniel Reinhardt

Wehmütig blickt Georgia, genannt Google, in die Ecke ihrer Box. Nichts scheint sie aus ihrer Lethargie holen zu können – das Futter verschmäht sie und die Besitzerin wird ignoriert. Kein Wunder, hat sie doch gerade erst ihre Fohlen verloren: Die Zwillinge starben beide bei der Geburt. Die Besitzerin Monika Braunschweig will ihrer Stute helfen. Sie überlegt nicht lange und schaltet eine Anzeige im Internet: Sie sucht ein Fohlen, dem ihre Stute als Amme dienen kann. „So kann ich nicht nur meiner Stute helfen, sondern vielleicht auch einem Fohlen, das gerade seine Mutter verloren hat“, erklärt sie uns. Im Internet gibt es verschiedene Websites, auf denen Ammenstuten gesucht und angeboten werden. Mit etwas Glück kann man so den richtigen Ersatzpartner finden. Auf Monikas Anzeige hin hat sich ein Züchter gemeldet, dessen Stute Anfang des Jahres, am 25. Januar, an einer Kolik gestorben war. Dank des Tierarztes konnte das Fohlen trotzdem auf die Welt gebracht werden und überlebte. Bisher musste es mit der Flasche gefüttert werden und ist, genau wie Google, alleine und einsam.

Ein Lichtstreifen am Horizont

Zwei Tage nach Googles Fehlgeburt, am 11. Februar, ist es endlich so weit: Ein Anhänger fährt auf den Hof von Monika Braunschweig und hält vor der Stallgasse. Als die Klappe aufgeht, erblicken wir ein kleines, auf den Beinen noch wackeliges braunes Stutfohlen. Ängstlich dreht es den Kopf seinen Zuschauern entgegen und möchte die schützenden Wände des Anhängers am liebsten gar nicht mehr verlassen. Mit viel Geduld und Ruhe schafft es der Züchter dann aber doch, die kleine Fly aus dem Anhänger zu locken. Draußen blickt sie scheu um sich und weiß noch gar nicht so recht, wie ihr geschieht. Dass da etwas vor sich geht, hat auch Google bemerkt, die schon erwartungsvoll am Fenster steht. Sie blickt neugierig heraus – ganz anders als noch Minuten zuvor, in denen sie von der Außenwelt nichts wissen wollte. Nach ein paar tapsigen Schritten erblickt auch Fly ihre zukünftige Amme und wiehert ihr zaghaft und leise entgegen. Auf eine Antwort muss sie nicht lange warten. Bevor die beiden zusammen in einen geschlossenen Raum kommen, sollen sie sich zunächst am Fenster beschnuppern. Erst danach wird Fly in Googles Box geführt. Nach einem ersten Kennenlernen – das doch glatt ganze fünf Minuten in Anspruch nimmt – darf die Kleine trinken, und die beiden sind ab diesem Zeitpunkt unzertrennlich. Normalerweise brauchen Ammen und Fohlen eine gewisse Zeit, um zueinander zu finden. Aus diesem Grund sollten sie sich im Beisein von Bezugspersonen kennenlernen. Einzig auf das Fenster soll Monika achten: Nachdem Flys Mutter vom Abdecker abgeholt worden war, sprang das Stutfohlen aus dem Fenster und wollte ihrer Mutter folgen. „Ich denke aber nicht, dass dies noch einmal passieren wird“, sagt Monika Braunschweig „Immerhin passt ab jetzt Google auf Fly auf. Trotzdem werde ich ein Auge auf die Kleine und natürlich auch auf das Fenster haben.“

Gemeinsam flitzten sie los

Als Monika Braunschweig Google und Fly aus ihrer Box holt und auf die Weide stellt, flitzen sie ohne zu zögern gemeinsam los: „Es ist Flys erster Weidegang heute. Vorher haben sie nur zusammen mit den anderen auf dem Paddock gestanden.“ Und das kleine Stutfohlen kostet es in vollen Zügen aus: Sie springt in die Luft, streckt dabei alle Viere von sich oder macht ihrem Namen alle Ehre und fliegt tief über den Boden. Die Ammenstute weicht ihr dabei nicht von der Seite und hält eifrig mit ihrem Schützling mit. Für ein Fohlen ist es wichtig, dass es über die Weide laufen darf, denn dadurch gewinnt es die Kontrolle über seine Motorik. Zudem sollten Fohlen bald lernen, am Gras zu knabbern. Ihr Stoffwechsel wird es ihnen danken, denn dadurch sorgen sie für den Beginn einer normalen Verdauung und auch für einen ausgeglichenen Vitaminhaushalt.

Eine Ammenstute erklärt die Welt

Nachdem die beiden die ganze Wiese in Augenschein genommen haben, genießt Google erst einmal ein ausgedehntes Wälzen: In einer Unebenheit der Wiese hat sich der Regen der letzten Tage gesammelt, und deshalb kann die Amme ein Schlammbad nehmen. Fly sieht ihr dabei gespannt zu. „Sie wird noch gar nicht wissen, wie sie sich auf einer Wiese verhalten soll“, lacht Monika. Nachdem Google fertig mit Wälzen und aufgestanden ist, zeigt sie Fly, was die Wiese alles für sie bereithält. Die große grüne Fläche ist nämlich vielseitig nutzbar: Du kannst auf ihr laufen, du kannst sie als Kratzbaum nutzen, und das Beste ist, dass du sie auch fressen kannst. Nach dem ersten Bissen findet Fly Geschmack an dem grünen Etwas. Nur das Wälzen lässt sie (noch) außer Acht. „Fohlen lernen schnell, sich in eine Herde anzupassen, und entwickeln dabei auch ihre Kondition und motorischen Fähigkeiten und kräftigen die Muskulatur“, erklärt Monika Braunschweig. Bereits nach dieser kurzen Zeit könnte ein Außenstehender nicht mehr erkennen, dass das Mutter-Tochter-Gespann auf der Weide aus einer Notsituation heraus geboren worden war. Sie ähneln sich nicht nur äußerlich, sie weichen auch nicht von der Seite der jeweils anderen. „Google beschützt Fly, wo sie nur kann. In meiner kleinen Herde ist sie die Leitstute und jagt die beiden anderen von der Kleinen weg, sollten sie ihr für Googles Geschmack zu nahe kommen“, erzählt uns Monika und holt zum Beweis auch Kessy und Imira dazu. Beide Stuten sind trächtig, und ab April bekommt Fly Spielkameraden dazu, mit denen sie toben kann. Dann darf „Mama“ auch wieder etwas zur Ruhe kommen. Im Mai soll Google noch einmal von demselben Hengst wie im letzten Jahr und auch wieder im Natursprung gedeckt werden. „Wir hoffen natürlich, dass es diesmal gut geht, und werden versuchen, noch besser aufzupassen“, erklärt Monika.

Eine erfahrene Adoptivmutter

Vor vielen Jahren hatte Google schon einmal ein Fohlen mit aufgezogen – und das, obwohl sie gar keine Milch hatte. Das Gegenteil war sogar der Fall: Sie hatte bis dahin noch nicht einmal selbst ein Fohlen gehabt. Das Fohlen wurde damals nach dem Tod der Mutter zu ihr gestellt und gleichzeitig mit der Flasche aufgezogen. „Trotzdem hat sie es gehegt und gepflegt, als wäre es ihr eigenes gewesen“, sagt Monika Braunschweig. „Dadurch kam ich auch auf die Idee, dass es ihr helfen könnte, als Amme einzuspringen und ein Fohlen aufzuziehen. Letzten Endes haben wir so auch der kleinen Fly helfen können.“ Eine Stute kann als Amme problemlos eingesetzt werden, weil sie nach der Geburt noch Milch produziert, auch wenn das Fohlen bereits gestorben sein sollte. Im Falle der kleinen Fly musste trotzdem zusätzlich mit einer Flasche anfangs ausgeholfen werden, denn sie war so hungrig, dass sie alles in einem Zug leerte und Google mit der Milchproduktion gar nicht hinterherkam. Mittlerweile sind die beiden aber ein eingespieltes Team, und die Flasche kann getrost weggelassen werden. „Auch auf das Fenster muss ich nicht mehr achten“, lacht Monika. „Fly würde niemals auf die Idee kommen, sich von Google wegzubewegen. Ich glaube, dass es sogar schwierig werden wird, wenn wir die beiden beim Absetzen trennen müssen.“ Glücklicherweise dauert das aber noch, denn das Absetzen beginnt frühestens ab dem dritten Lebensmonat der Kleinen. Danach wird Fly aber nicht in Monikas Herde bleiben. Sie geht zurück zu ihrem Besitzer nach Cuxhaven. Bis es aber so weit ist, kann sie noch das Leben als Schützling von Ammenstute Google in vollen Zügen genießen.

 

 

 

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