… sich der Reitschüler verletzt, weil der Reitlehrer seine Verkehrspflicht verletzt hat?

 

Noch kein Reiter ist vom Himmel gefallen, so sagt ein altes Sprichwort. Viele, wenn nicht sogar die meisten reiterlichen Karrieren begannen mit Reitunterricht für Anfänger. In diesen Reitstunden wird der richtige Umgang mit dem Pferd gelernt und der Grundstein für den weiteren Werdegang als Reiter gelegt.

Damit pferdeunerfahrene Reiter so gut wie möglich gefahrlos Erfahrungen mit Pferden sammeln können, bieten Schulställe Reitstunden, geführt von sachverständigen und erfahrenen Reitlehrern, auf besonders braven und resilienten Schulpferden, an. Dennoch kann es auch mit den ruhigsten und erfahrensten Schulpferden immer mal wieder zu einer reiterlichen Eskapade kommen, bei der sich der Reiter die ein oder andere Verletzung zuziehen kann. Kommt es zu einem solchen Vorkommnis, steht immer die Frage der Haftung im Raum. Wer hat zu haften? Haftet der Reitlehrer, wenn sich sein Reitschüler verletzt? Schließlich ist er als sachkundige Person verantwortlich. In erster Linie muss hierbei an die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gedacht werden. Wurde bei der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung des Reitunterrichts die Verkehrssicherungspflicht verletzt?

Allgemeines zur Verkehrssicherungspflicht

Die Verkehrssicherungspflicht beschreibt eine bestimmte Verhaltenspflicht derjenigen Personen, die Inhaber einer potenziellen Gefahrenquelle sind. Ihre Aufgabe ist es, die etwaigen notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um Schäden anderer zu verhindern.

Kurzum: Die Gefahrenquelle muss so abgesichert sein, dass von ihr keine unzumutbare Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht.

Gefahrenquellen im Sinne der Verkehrssicherungspflicht

Gefahrenquellen im Sinne der Verkehrssicherungspflicht sind vielfältig und können daher nicht abschließend aufgezählt werden. Was allerdings gemacht werden kann, ist, sich einen Überblick über die gängigsten Gefahrenquellen zu verschaffen, um so ein weitergehendes Verständnis für dieses Thema zu schaffen.

Gefahrenquellen können zum Beispiel sein:

● Ungeeignete Ausrüstung: Überprüfen Sie vor dem Unterricht die Ausrüstung, einschließlich Sättel, Zügel, Trensen und Steigbügel, um sicherzustellen, dass sie ordnungsgemäß angelegt und in gutem Zustand sind.

● Ungeschützte Reitbahn: Stellen Sie sicher, dass die Reitbahn in gutem Zustand ist und keine Hindernisse oder Unebenheiten aufweist, die zu Stürzen führen könnten.

● Unvorhersehbares Pferdeverhalten: andere Pferde oder auch Reiter können unerwartet reagieren. Weitere Reiter und Pferde sollten die Reitstunde nicht stören. Reitlehrer sollten aufmerksam auf Anzeichen von Unruhe oder Stress bei den Pferden achten und entsprechend reagieren.

Den Reitlehrern obliegt es als qualifizierten Aufsichtspersonen, für die Sicherheit der Reitschüler im Umgang mit den Pferden zu sorgen. Welcher Maßstab ist hier anzulegen?

Die Verkehrssicherungspflicht umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Hierbei ist im Besonderen darauf zu achten, dass die Gefahrenquellen präventiv abgesichert werden, sodass vorbeugend darauf geachtet wird, dass es nicht zu einem Schaden kommen kann.

Es sind die Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger, der sich im Gefahrenkreis der Gefahrenquelle aufhält, erwarten darf.

Grenzen der Verkehrssicherungspflicht

Sinn und Zweck der Verkehrssicherungspflicht bestehen alleine darin, dass die Inhaber der Gefahrenquelle diese in zumutbarer Weise absichern. Es bedeutet jedoch nicht, dass von dieser überhaupt gar keine Gefahr mehr ausgehen darf. Es bedeutet nur, dass diese entsprechend einem gewissen Standard abgesichert sein muss.

Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre nämlich im praktischen Leben nicht umsetzbar und würde vorschnell zu Haftungssituationen für den Inhaber der Gefahrenquelle führen.

Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Reitlehrer

Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Reitlehrer kann demnach dann angenommen werden, wenn es zu einem Reitunfall kommt, der aus der Art der Übung, dem Alter und der Erfahrenheit von Reitschüler und Pferd erwächst und im konkreten Fall durch den Reitlehrer die Warnsignale nicht wahrgenommen wurden. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liegt vor, wenn der Reitlehrer gravierend falsch oder eben aus unersichtlichen Gründen nicht in das Geschehen eingreift.

Qualifikation des Reitlehrers

Einige Reitlehrer können informelle Erfahrungen und Fähigkeiten haben, die ihnen ermöglichen, Reitstunden anzubieten, während andere möglicherweise eine formale Ausbildung durchlaufen haben. Wenn Sie in Erwägung ziehen, Reitstunden bei einem bestimmten Reitlehrer zu nehmen, ist es ratsam, nach seinen Qualifikationen, Erfahrungen und seinem Ansatz in Bezug auf Sicherheit und Unterricht zu fragen. Kam es zu einem Unfall, muss dargelegt werden, dass der Reitlehrer über die notwendige Qualifikation zur Abhaltung einer Reitstunde verfügt hat.

Reitschülerin fällt vom Pferd. Hat die Reitlehrerin ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt?

In einem Fall, bei dem in der Reitstunde eine junge Reitschülerin vom Pferd fiel und sich verletzte, hatte sich das Oberlandesgericht Hamm unter anderem mit dem Thema der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des Reitlehrers auseinandergesetzt.

Eine Reitschule bot Reitunterricht für Kinder an. Ein kleines Mädchen im Alter von fünf Jahren, welches zwar schon über Reiterfahrung verfügte, aber seit einem halben Jahr nicht mehr geritten war, nahm an diesen Reitstunden teil.

Die junge Reitschülerin hatte zusammen mit weiteren fünf Kindern die Reitstunde absolviert. Die Kinder wurden im Verlauf der Reitstunde abwechselnd auf einem Pferd an der Longe im Kreis geführt. Die Longe war knapp zwei Meter lang. Das Pferd war nicht gesattelt, sondern hatte eine aufgelegte Decke mit einem Haltegriff. Ziel dieser Reitstunde war es, die Balance der Reiterschüler zu verbessern, indem sie auf Kommando frei sitzend auf dem Pferd Übungen absolvieren sollten.

Als das Mädchen am Ende der Reitstunde an der Reihe war, verlor es bei der Übung auf dem Pferd das Gleichgewicht und fiel vom Pferd herunter. Die junge Reitschülerin stürzte neben das Pferd und zog sich dabei eine Oberarmfraktur zu, die im Rahmen eines einwöchigen Krankenhausaufenthalts operativ behandelt werden musste. Anschließend musste die Armverletzung fünf Wochen lang mit einem Gips stabilisiert werden. Im Anschluss mussten, mittels eines erneuten operativen Eingriffes, die eingesetzten Metallteile aus dem Arm des Mädchens wieder entfernt werden. Die gestürzte Reitschülerin behielt trotz dieser Operationen ein Streck- und Beugedefizit des Ellenbogens zurück, das mit Krankengymnastik behandelt werden musste. Zudem blieben zwei Narben von den jeweiligen Operationen zurück.

Aufgrund der Verletzungen verlangte die gestürzte Reitschülerin, die durch ihre Eltern gerichtlich vertreten wurde, Schadensersatz sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro.

Die Eltern argumentierten unter anderem, dass bei der Anmeldung zur Reitstunde im Vertrag in diesem explizit auf die Versicherungsleistung hingewiesen wurde.

Das Gericht stellte jedoch fest, dass ein Anspruch auf die Zahlung von Schadensersatz nicht allein aus der Tatsache der Anmeldung zum Reitunterricht zustande gekommen sei, da vonseiten des Schulbetriebs dadurch alleine kein Garantie- oder Gewährvertrag zugesichert wird.

Diese Auffassung wurde damit begründet, dass in dem vertraglich genannten Hinweis des Bestehens einer Haftpflichtversicherung der Reitschule nicht automatisch eine Einstandspflicht für alle Arten von Unfällen erklärt werden sollte. Dies sollte nur informatorischer Natur sein und den Vertragspartner, die Reitschülerin, über das Bestehen einer solchen Versicherung informieren.

Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund Gefährdungshaftung nach § 833 BGB

Ein Anspruch der verletzten Reitschülerin aus der sogenannten „Gefährdungshaftung“ gem. § 833 BGB lehnte das Gericht ebenso ab, da der Schaden (der gebrochene Oberarm) nach Auffassung des Gerichts keine Folge einer spezifischen Tiergefahr war. Das Pferd, von dem die Reitschülerin fiel, sei durch sein Verhalten schlichtweg nicht schadensursächlich gewesen.

Gemäß § 833 BGB haften Tierhalter demnach verschuldensunabhängig für Schäden, die im Zusammenhang mit ihren Tieren entstanden sind, soweit ihr Tier in irgendeiner Form schadensursächlich geworden ist. Es kann für eine Haftung beispielsweise bereits genügen, wenn sich ein Hund in einem Restaurant ungünstig hinlegt, sodass eine Dritte Person über diesen stolpert und sich hierbei verletzt.

Der Pferdehalter kann demnach nur in die Haftung nach § 833 BGB genommen werden, wenn das Tier einen Schaden verursacht, weil sich die tierspezifische Gefahr gerade realisiert hat. Für Unfälle, die ohne Tierverhalten entstehen, können Eltern kein Schmerzensgeld verlangen.

Verletzung der Verkehrssicherungspflicht

Somit verbleiben an dieser Stelle lediglich noch vertragliche Schadensersatzansprüche aufgrund der Verletzung einer der Reit­lehrerin allgemein obliegenden Verkehrssicherungspflicht. Diese muss allerdings zuerst durch die Geschädigte nachgewiesen werden.

Eine solche Verletzung der Verkehrssicherungspflicht war der Reitlehrerin nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht nachzuweisen, da sich aus dem konkreten Fall der Art und Weise der Durchführung der Übung keine unzulässige Gefahrenlage hat erkennen lassen, zumal das Pony bei der Übung stillgestanden ist.

War das Kind ausreichend gesichert?

Zudem war auch nicht ersichtlich, dass sich eine unterbliebene Aufklärung auf das konkrete Unfallgeschehen ausgewirkt haben sollte, da von Seiten der Geschädigten auch keine Angaben bezüglich körperlicher oder psychischer Erschöpfung mitgeteilt wurden, über die sich die Reitlehrerin hinweggesetzt hätte. Auch war von einer solchen Erschöpfung äußerlich nichts zu erkennen.

Dass das Pferd nicht mit einem geeigneten Reitsattel ausgestattet war, kann ebenfalls dahinstehen, weil stattdessen eine ­geeignete Pferdedecke mit Haltegriff aufgelegt wurde.

Auch die Durchführung der „Klatschübung“ ist gängige Praxis und konnte im vorliegenden Fall von der Geschädigten und deren Kenntnisstand her erwartet werden, da sie nicht gänzlich reitunerfahren war, sondern schon einige Monate zuvor Reitunterricht in eben dieser Reitschule gehabt hatte. Darüber hinaus war sie zu dieser Zeit auch bereits im Trab und Galopp geritten.

War die Reitlehrerin unaufmerksam?

Zuletzt wurde angemerkt, dass der Reitlehrerin auch kein unaufmerksames Verhalten nachgesagt werden kann, da sie zum Zweck der Übung das Pferd extra zum Stehen gebracht habe und die Longe so verkürzte, dass sie in der Nähe der Geschädigten stand. Leider rutschte die Geschädigte auf der entgegengesetzten Seite herunter, sodass die Reitlehrerin keine Möglichkeit hatte, rechtzeitig einzugreifen.

Mangels einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht wurden die Forderungen nach Schadensersatz und Schmerzensgeld für die erlittenen Verletzungen der Reitschülerin vom Gericht abgewiesen.

Tipp des Pferderechtsexperten Anwalt Ackenheil: Die Auswahl eines Reitlehrers und einer Reitschule erfordert Zeit und Nachforschung. Es ist wichtig, verschiedene Optionen zu prüfen und diejenige auszuwählen, die Ihren individuellen Bedürfnissen und Zielen am besten entspricht. Überprüfen Sie die Qualifikationen und die Zertifikate des Reitlehrers. Eine formale Ausbildung, die durch anerkannte Reitverbände oder Organisationen zertifiziert ist, ist ein guter Indikator für Fachkenntnisse und Professionalität. Kam es zu einem Reitunfall, ist es ratsam für die Beweissicherung, ein Unfallprotokoll zu erstellen. Notieren Sie alle relevanten Details des Unfalls. Dies kann die Uhrzeit, den Ort, die beteiligten Personen, die beteiligten Pferde, die genaue Beschreibung des Vorfalls und mögliche Zeugen umfassen. Bisweilen sind auch verschiedene Personen am Unfall mitbeteiligt und müssen bei der Frage der Haftung mitberücksichtigt werden, sodass der Rat eines Fachmanns vonnöten ist.

 

Bild: Imago Images, Text: Andreas Ackenheil

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