Bandagen und Gamaschen geraten immer wieder in Verdacht, dem Pferdebein zu schaden. Bewiesen ist, dass Stallbandagen den Lymphfluss stören können. Aber was ist mit der Hitze, die sich unter Gamaschen und Co. staut? Denn bei hohen Temperaturen werden Sehnenzellen geschädigt.
Nur Haut, Knochen und Sehnen – die typische Beschreibung eines abgemagerten Tieres, wenn eine Tierschutzorganisation über dessen Rettung berichtet. Es ist aber auch die typische Beschreibung eines normalen, gesunden Pferdebeins. Am Mittelfuß sind keine größeren Muskeln und Fettschichten mehr zu finden, sondern nur noch Haut, Knochen, Sehnen und Bänder. Das macht empfindliche Strukturen wie Sehnen zum einen sehr anfällig, da sie kaum geschützt sind, etwa wenn sich das Pferd mit dem Huf dagegen schlägt. Aber in puncto Wärmeentwicklung hat dieser Aufbau einen großen Vorteil. Warum das so ist, wird bei einem Blick in die Sehne deutlich: Während der Be- und Entlastung entstehen Reibungsvorgänge innerhalb der Sehne, das verursacht Wärme (Hysterese). Je schneller die Gangart, desto wärmer wird es in der Sehne. Wird es auf Dauer zu heiß, kann das dem Gewebe schaden (siehe Kasten Seite 45 rechts). In und an den Sehnen gibt es relativ wenige Blutgefäße, sodass die Wärme nicht wie an anderen Körperstellen über den Blutfluss abtransportiert werden kann. Da aber auch Muskeln und Fett fehlen, kann die Wärme am Mittelfuß einfach zur Seite und nach hinten abgegeben werden.
Immer wieder rücken Gamaschen und Bandagen in den Fokus der Forscher, da sie die Abgabe der Wärme vom Bein und damit auch von der Sehne einschränken können. Vor allem die oberflächliche Beugesehne ist davon betroffen, die gerade bei Renn- wie auch anderen Sportpferden häufig erkrankt. Tragen wir Reiter und Pferdebesitzer zu diesen hohen Verletzungszahlen bei, weil wir die empfindlichen Beine schützen wollen und so gut einpacken, dass das womöglich zu einem Hitzestau unter Gamaschen und Co. führt? Und sind perforierte Gamaschen hier besser geeignet, da sie Wärme entweichen lassen? Immer mehr Studien widmen sich diesen Fragen und nehmen den Beinschutz unter die Lupe: Schützt er oder schadet er?
45 Grad im Kern der Sehne
Grundlage vieler Studien zum Thema Hitze und Beinschutz sind ältere Forschungsarbeiten, die sich zunächst einmal mit den Fragen beschäftigt haben, wie hoch die Temperaturen sind, die bei Bewegung in Sehnen entstehen, und was bei Hitze in den Sehnen passiert. Die Vorreiter auf diesem Gebiet, Wilson und Goodship (1994), konnten nach einem Galopp auf der Rennbahn eine Temperatur messen, die aufhorchen lässt: 45 °C entstanden im Kern der oberflächlichen Beugesehne. Ein Wert, der nach Ansicht der beiden Forscher einen wesentlichen Beitrag zu degenerativen, also verschleißbedingten Veränderungen in der Sehne leisten könnte. Zusammen mit der Forscherin Helen Birch untersuchten die Wissenschaftler drei Jahre später in einem Labor, was in den Sehnenzellen bei solchen Temperaturen passiert: Eine zehnminütige Erhitzung bei 45 °C überlebten in der Zellkultur etwa 91 Prozent der Sehnenfibroblasten — das sind Zellen ähnlich den Sehnenzellen, die Fasern und sonstige Bestandteile (extrazelluläre Matrix) produzieren, die wiederum der Sehne ihre Festigkeit verleihen. Bei einer zehnminütigen Erhitzung bei 48 °C waren es nur noch 22 Prozent. Das Fazit dieser Studie: Temperaturen, die im zentralen Kern der oberflächlichen Beugesehne auftreten, führen wahrscheinlich nicht zum Absterben von Sehnenzellen. Aber wiederholte Belastungen durch hohe Temperaturen können den Zellstoffwechsel so beeinträchtigen, dass es zum Abbau des zentralen Sehnenkerns kommen kann, was vermutlich einem äußerlich sichtbaren Sehnenschaden vorausgeht.
Natürlich spielt nicht nur eine Rolle, wie oft eine Sehne hohen Temperaturen ausgesetzt ist, sondern auch wie lange. Yamasaki et al. von der Universität in Tokio setzten im Labor Sehnen nicht nur zehn Minuten, sondern eine Stunde lang 45 °C aus: Dabei überlebten nur noch 27 Prozent der Sehnenzellen. Auf der Rennbahn konnten die Forscher bereits nach einem kurzen Galopp (nach drei Minuten startete die Messung) 45 °C in der Zelle messen.
Das Problem dieser Studie aus Tokio: Die Temperatur in den Sehnen wurde direkt an den Rennpferden gemessen – dazu wurde das Pferd nach dem Rennen in Narkose gelegt und ein Nadelsensor zum Temperaturmessen in die Sehne eingeführt. Die Wirkung von Hitze auf Sehnenzellen wurde separat an anderen Sehnen in einem Labor untersucht. Ein eindeutiger kausaler Zusammenhang ist so nicht möglich, dazu hätte man die Entwicklung der Temperatur in der Sehne messen und dann in derselben Sehne die Rate der abgestorbenen Zellen feststellen müssen.
Langzeitfolgen
Im Pferdesport spielen verschiedene komplexe biologische und situationsabhängige Prozesse eine Rolle. Hitze führt zwar zu einem Absterben der Zellen, man kann aber nicht sofort einen Sehnenschaden entdecken. Es ist nicht so, dass man heute mit Bandagen reitet und morgen steht das Pferd mit einem Sehnenschaden in der Box. Es ist eine Langzeit-Geschichte. Wenn Sehnengewebe beschädigt wird, bildet sich Narbengewebe, welches nicht so elastisch ist wie das Ursprungsgewebe. Wird die Sehne immer wieder durch Hitze beschädigt, bildet sich immer mehr unelastisches Gewebe. Wenn das Pferd dann einmal einen falschen Tritt macht und die Sehne überdehnt, reißen immer wieder weitere Sehnenfasern in Umgebung des Narbengewebes.
Prof. Dr. Florian Geburek leitet die Abteilung für Chirurgie und Orthopädie der Klinik für Pferde an der Tierärztlichen Hochschule Hannover und ist Experte auf dem Gebiet von Sehnenerkrankungen und -therapien. „Bei der Frage, ob Wärme
einer Sehne schadet, muss man viele Faktoren berücksichtigen. Zum einen die Umgebungstemperatur und die Temperatur, die unter Gamaschen und Bandagen entsteht, aber eben auch die Nutzung des Pferdes, das heißt, in welcher Gangart und mit welcher Trittfrequenz es unterwegs ist. Rennpferde bewegen sich sehr schnell. Im Kern der Sehne findet eine höhere Erwärmung und auch eine geringere Sauerstoffversorgung statt. Im Ultraschall können wir bei manchen Rennpferden mit Sehnenschäden tatsächlich ein ‚schwarzes Loch‘ im Kern der Sehne als Ausdruck von Gewebeuntergang sehen. Das haben wir bei anderen Nutzungsrichtungen selten.“ Dass bei Rennpferden so oft Sehnenschäden diagnostiziert werden, kann aus Sicht des Tierarztes aber auch weitere Ursachen haben. Die Tiere sind stets einer latenten Überbelastung ausgesetzt, gehen immer wieder an die obere Leistungsgrenze.
Bild: Daniel Elke, Text: Kerstin Wackermann