Im Dialog mit dem Menschen hat das Pferd sechs verschiedene Möglichkeiten zu reagieren. Wer seinen Vierbeiner genau beobachtet, lernt ihn in Teil 2 der HarmoniLogie®-Serie wirklich kennen und kann den Dialog mit ihm auf eine sachliche Ebene bringen. So können bewertende Ich-Emotionen außen vor bleiben
Spielkarte „Devot“
Devot ist ein notwendiger Funktionskreis im System einer Herde. Diese Reaktion bezieht sich nicht auf eine permanente Unterwürfigkeit, sondern auf die Fähigkeit, nachzugeben und sich einzuordnen bzw. einordnen zu lassen. Es hat etwas Unterwürfiges, wenn die jungen Pferde kauend und schmatzend mit gesenktem Hals den Älteren der Herde begegnen und sich vor ihnen kleinmachen. Werden die Pferde größer und reifer, dann kauen und schmatzen sie nicht mehr, sondern weichen, meiden oder wenden beispielsweise den Blick.
„Devot wirkt im System der Gruppe deeskalierend und es kann eine kluge Lösung für ein gutes Miteinander sein. Auch in der Ausbildung kann es angenehm sein, ein Tier an seiner Seite zu haben, das nicht darauf besteht, immer das letzte Wort zu haben, sondern auch mal nachgeben und weich werden kann“, meint Anne Krüger-Degener.
Unterwürfigkeit ist nicht gefragt
Wichtig sei aber ein sinnvoller Umgang mit diesem Funktionskreis, denn er dürfe nie zu einer dauerhaften Unterwürfigkeit führen. Das würde dem Pferd die Lebendigkeit nehmen und es zu einem Soldaten werden lassen. „Oft werden Darbietungen als Freiheit verkauft, doch bei genauem Hinsehen kann die unnachgiebig eingeforderte Unterwürfigkeit der Tiere nicht versteckt werden“, gibt sie zu bedenken. Diese ist an folgenden Merkmalen zu erkennen: Interessenlosigkeit an Umweltreizen, übertriebener Gehorsam, Ausbleiben eigener Ideen, körperliche Signale wie unbewegliches Ohr, ausbleibende Maulaktivität, klemmender Schweif. „Beim Reiten fühlen sich diese Pferde fast leblos an, sie gehorchen zwar, aber kämpfen nicht für ihren Reiter. Sie zeigen keine schöne Selbsthaltung mit beweglicher Oberfläche, keine interessierten Augen oder beweglichen Ohren“, zählt die Expertin weiter auf.
Unterwürfigkeit entsteht, wenn Menschen die Tiere massiv unterordnen und nicht einfach nur einordnen. „Das Konto der Kritik ist deutlich in die schwarzen Zahlen gewirtschaftet, und das Loben-Konto ist deutlich im Minus. Man sollte stets mehr loben als kritisieren, damit der Kontostand ausgewogen bleibt. Und dazu gehört eben auch, zu loben bis das Lob wirkt.“
Spielkarte „Joker“
Im Vergleich zur Karte „Devot“ wirkt das aktive Angebot, der Joker, lebendig und aufrecht. Es hat nichts Unterwürfiges, sondern strotzt vor Leichtigkeit und Stolz, dennoch ist es höflich. Es ist der feine Kontakt miteinander, bei dem es nicht um Dominanz und Rangordnung geht, sondern um echten Teamgeist.
„Bei den Hunden nennt man es ‚Will to please‘, und es ist die beste Beschreibung des aktiven Angebots, weil es der eigene Wunsch des Tieres ist zu gefallen. Stellen Sie Ihrem Pferd eine neue Frage, sagt es dann schon mal nicht von vornherein Nein. Es versucht etwas, sucht nach Lösungen und hat kein Problem damit, etwas falsch zu machen, um sich sofort wieder korrigieren zu lassen und entwickelt schnell die gewünschte Lösung. Man bekommt mit extremer Leichtigkeit sehr freundliche Antworten auf seine Fragen. Solche Tiere lernen meist schnell und wirken wissbegierig. Sie suchen die Spur und nehmen gerne das Vorgeben einer Spur an“, erläutert die Expertin.
Im Dialog mit dem Menschen
Ein Pferd, das in gesunder Selbsthaltung, innerer Losgelassenheit und echter, konzentrierter Zugewandtheit mit dem Menschen in Kontakt tritt, befindet sich im aktiven Angebot. „Das Pferd muss spannungsfrei Nähe gegen Distanz tauschen können, um sofort wieder Nähe zuzulassen. Erkennen kann man das unter anderem an einem freundlichen, wachen Auge mit Lidschlag, entspannter Maulaktivität und einem beweglichen Ohr. Das aktive Angebot besteht beispielsweise in einer positiven Bewegungsdynamik und einer willigen Akzeptanz der Hilfen“, so Anne Krüger-Degener.
Doch viele Tiere zeigen diese Joker-Karte nicht. Das liegt daran, dass Menschen nicht immer freundliche Fragen stellen und die Komplimente, die die Pferde ihnen machen, manchmal nicht wahrnehmen, meint Krüger. „Das ist ein absoluter Garant dafür, dass die Tiere sich den ‚Will to please‘ wieder abgewöhnen. Zudem ist die Schulung häufig an einer schnellen Leistung des Pferdes interessiert, also eher an dem Erreichen einer schönen äußeren Haltung als an dem Erarbeiten einer korrekten inneren Haltung. Und zu guter Letzt wird dieser Faktor häufig züchterisch außer Acht gelassen. Man kann den ‚Will to please‘ nämlich, wie bei Hunden auch, genetisch beeinflussen wie so viele andere Merkmale auch.“
Text: Inga Dora Schwarzer Foto: imago images/ Frank Sorge