Rückwärtsrichten kräftigt die Hinterhand, führt zu einem Aufwölben des Rückens und erhöht die Versammlungs fähigkeit des Pferdes. Genug Gründe, um die Lektion ins tägliche Training einzubauen. Doch sie verlangt auch eine sehr gefühlvolle Hilfengebung und ist anfällig für Probleme
Kann man sich durch Rückschritt nach vorne bewegen? Thomas Dold meint ja. Der Athlet zählt zu den wenigen hundert Menschen weltweit, die Rückwärtslaufen als wettkampfmäßigen Sport betreiben. Er hat darin sogar bereits einige Weltrekorde aufgestellt.
„Ich laufe rückwärts, um herauszufinden, zu was mein Körper und Geist fähig ist. Denn Rückwärtslaufen beansprucht nicht nur eine ganz andere Muskulatur als das Vorwärtslaufen, sondern fordert ebenso den Geist. Nicht zu wissen, was kommt, dem Unbekannten entgegenzulaufen und dennoch mit breiten Schultern, zielsicher, fokussiert und selbstbewusst seinen Weg gehen. Das ist für mich Rückwärtslaufen“, erklärt er auf seiner Homepage. Und weiter: „Beim Rückwärtslaufen wird vor allem die Muskulatur im Rücken- und Po-Bereich trainiert. Dazu wird die Koordination weiter ausgebildet. Zudem ergeben sich spürbar positive Effekte auf die Lauftechnik im Vorwärtslaufen.“
Rückwärtsrichten: Unlogische Bewegung
Ähnliches gilt für das Rückwärtsrichten in der Pferdeausbildung. Auch das Pferd bewegt sich von Natur aus eher selten rückwärts. Eigentlich nur dann, wenn es muss. Da sich hinter ihm ebenfalls ein toter Winkel befindet und es ins Ungewisse läuft, weicht es meist nur wenige Tritte zurück, um dann auf der Hinterhand zu drehen und die Richtung zu wechseln. Der rückwärtsgerichtete Bewegungsablauf ist also eher unüblich für den vierbeinigen Sportpartner. Deshalb sollte die Lektion behutsam und gefühlvoll trainiert werden.
Wird sie richtig vorbereitet und geritten, profitiert das Reitpferd aber davon. Sie führt zu einer Verbesserung des Körpergefühls, schult die Balance, stärkt die Hinterhand und bewirkt ein Aufwölben des Rückens. Durch die stärkere Hankenbeugung kann der Reiter an der Versammlung arbeiten sowie die Durchlässigkeit (also die punktgenaue Reaktion auf seine Hilfen) überprüfen. Kurzum: Es ergeben sich bei den Tieren ebenso positive Effekte für die Vorwärtsbewegung. Als Voraussetzung für das Rückwärtsrichten sollte sich das Pferd in allen Gangarten losgelassen bewegen sowie halbe und ganze Paraden gut annehmen. Besonders die ganze Parade zum Halten muss im Vorwege harmonisch gelingen und vertrauensvoll vom Vierbeiner ausgeführt werden.
Im Gleichmaß
Und so soll es aussehen: Das Pferd tritt in weicher, steter Anlehnung zur Hand des Reiters kontrolliert, gleichmäßig und in diagonaler Fußfolge zurück. Die Fußfolge ähnelt der des Trabes. Jedoch fehlt beim Rückwärtsrichten die Schwebephase. Daher spricht man von Tritten und nicht von Schritten. Diese sollten gleich lang sein. Die Hufe werden deutlich vom Boden abgehoben und auf gerader Linie zurückgeführt. Dabei nimmt das Pferd mit den Hinterbeinen mehr Last auf, beugt also seine Hanken stärker, wodurch sich wiederum die Kruppe absenkt und vor allem die Lendenwirbelsäule aufwölbt. Der Kopf befindet sich leicht vor der Senkrechten, das Genick ist der höchste Punkt.
Am besten erklären Sie Ihrem vierbeinigen Sportpartner die Lektion in aller Ruhe am Boden. Üben Sie das Rückwärtsrichten an der Hand und legen Sie z. B. einen Touchierpunkt an der Brust fest. Auf einen leichten Druck mit der Hand oder vorsichtig mit der Gerte soll es rückwärts weichen. Dabei geben Sie ein Kommando – zum Beispiel „Zurück!“. Sobald das Tier sein Gewicht ansatzweise nach hinten verlagert, loben Sie es sofort. In einem nächsten Schritt soll es dann auf Ihre Aufforderung hin einen Tritt und später mehrere Tritte zurück machen. Wichtig: Geben Sie Ihrem Pferd genügend Zeit, um zu verstehen, was Sie von ihm möchten. Versuchen Sie erst danach, das Rückwärtsrichten vom Sattel aus zu etablieren. Bitten Sie einen Helfer, das Pferd vom Boden aus weiter in der Lektion zu begleiten. Parallel zu Ihrem Helfer geben Sie jetzt auf dem Pferderücken die Hilfen für das Rückwärtsrichten. So lernt es von Beginn an, entspannt und auf sanfte Hilfen zu reagieren.
Korrekte Hilfen für das Rückwärtsrichten
Die Hilfengebung für die Lektion geht folgendermaßen: Beim lernenden Pferd sollten Sie die Gewichtshilfe entlastend einsetzen und das Becken leicht nach vorne kippen. Vermeiden Sie jedoch ein zu starkes Vornüberneigen des Oberkörpers. Die Schenkel liegen leicht verwahrend am Pferdebauch und begrenzen die Hinterhand, um ein seitliches Ausweichen zu vermeiden. Dann geben Sie mit den Waden einen Impuls, als ob Sie anreiten wollten.
In dem Augenblick, in dem Ihr Pferd antreten möchte, wirken beide Zügel leicht annehmend. Sobald Ihr Pferd reagiert und sein Gewicht nach hinten verlagert und nach hinten weicht, geben Sie sofort wieder mit Ihren Händen nach. Jeder Schritt zurück wird erneut mit einer nachgebenden Hand begleitet. So wird der Bewegungsimpuls nach rückwärts umgeleitet. Das Pferd sollte den Hilfen in der Rückwärtsbewegung genauso gut folgen wie in der Vorwärtsbewegung. Zu Beginn wird die Lektion um eine bestimmte Strecke verlangt – meist eine Pferdelänge, was etwa drei bis vier Tritten entspricht. Beendet wird sie, indem der Reiter mit den Schenkeln einwirkt und mit den Händen nachgibt. Das ist die Grobform der Ausführung. Jetzt zur Feinform: Bei einem gut ausgebildeten Pferd wird mit einer beidseitig belastenden Gewichtshilfe ein vorsichtiger Vorwärtsimpuls mit den Schenkeln gegeben. Dazu erfolgen aushaltende Zügelhilfen, aber keine annehmenden mehr. Bei jedem Tritt rückwärts wird – dem Bewegungsablauf des Pferdes folgend – ein Leichtwerden mit der Hand wiederholt. Soll es nach dem Rückwärtsrichten angehalten werden, ist der letzte Tritt ein halber, damit es wieder geschlossen steht. Fortgeschrittenen Reiter-Pferd-Paare absolvieren eine bestimmte Anzahl an Tritten. Ziel sollte es sein, die Lektion mit so wenig Hilfen wie möglich ausführen zu können. Wer einmal auf einem Pferd gesessen hat, das lediglich eine sanfte Gewichtshilfe benötigt, um daraufhin prompt und willig zurückzutreten, will das Rückwärtsrichten nicht mehr anders reiten.
Text: Inga Dora Schwarzer Foto: www.Slawik.com