Form & Funktion: Die Hufe Ihres Pferdes sagen viel mehr über den Gesundheitszustand aus, als Sie zunächst denken. Experten erklären, wie Sie Hufe richtig lesen können.
Der Einfluss des Pferdes auf den Huf ist ein sehr interessantes, aber auch sehr umfassendes Themengebiet. Wir haben ein paar spannende Fragen herausgesucht und nehmen folgende Aspekte in den Fokus: die Gliedmaße, den Rumpf des Pferdes und als wichtiges Thema auch seine Haltung.
Das Pferdegewicht wird im Stand des Pferdes über die Gliedmaßenstellung auf den Huf übertragen und gibt ihm so eine bestimmte Form. Bewegt sich das Pferd, kommt ein zweiter Faktor hinzu, der die Hufform beeinflusst: Der Hornabrieb. Das Gangbild beeinflusst den Hornabrieb. Doch welcher Hornabrieb entsteht bei welchem Gangbild?
Das Gangbild von vorne und hinten
Wenn Sie sich die Gliedmaßenstellung der Vorhand oder der Hinterhand anschauen, können Sie eine erste Idee bekommen, wie das Pferd wahrscheinlich laufen wird. Wichtig für eine Beurteilung ist die Hüft- und Schulterbreite.
● Je breiter die Schulter oder Hüfte und je kürzer die Gliedmaße ist, um so mehr wird die Gliedmaße erst in einem leichten Bogen nach außen und dann wieder nach innen geführt. Das wird als bügelnder Gang bezeichnet.
● Je schmaler die Schulter oder Hüfte und je länger die Gliedmaße ist, um so mehr wird die Gliedmaße erst in einem leichten Bogen nach innen und dann wieder nach außen geführt. Das wird als schnürender Gang bezeichnet.
Der Hornabrieb bei bügelndem Gang
Ein Pferd, das bügelt, kommt auf der äußeren Hufwand zuerst auf. Es führt die Gliedmaße in einem Bogen weiter nach innen. Bei der Bewegung nach innen schrubbt das Pferd stärker über die äußere Hornwand. Der Huf wird dabei auf der kompletten Außenseite oder verstärkt auf der äußeren Trachte abgelaufen und wird deshalb in diesen Bereichen steiler. Typische Gliedmaßenstellung mit bügelndem Gang ist bodeneng, bodeneng-zeheneng oder regelmäßig- zeheneng.
Der Hornabrieb bei schnürendem Gang
Ein Pferd, das schnürt, führt die Gliedmaße in einem Bogen nach außen. Typische Gliedmaßenstellung mit schnürendem Gang sind: bodenweit. bodenweit-zehenweit, x-beinig, regelmäßig-zehenweit. Beim schnürenden Gang werden zwei Intensitäten unterscheiden, die zu unterschiedlichen Ergebnissen beim Hornabrieb führen:
Fall 1: Stark schnürender Gang – das Pferd steht mit den Hufen breiter als die Breite der Schulter. Führt das Pferd den Huf über seine Körperbreite hinaus, dann landet es auf der äußeren Hufwand außerhalb seiner Körpermaße. Belastet es nun den Huf, dann wandert das Gewicht in Richtung Körpermitte. Dadurch landet das Gewicht abschließend auf der inneren Wand. Diese Wand wird steiler, vor allem auch im Trachtenbereich. Die äußere Zehenwand, mit der das Pferd den Boden zuerst nur leicht berührt hat, bleibt dagegen weiterhin flach.
Fall 2: Wenig schnürender Gang – das Pferd steht mit den Hufen nicht breiter als die Breite der Schulter. Führt das Pferd den Huf nicht über seine Körperbreite hinaus, dann landet es auf der äußeren Hufwand innerhalb seiner Körpermaße. Dieser Hufbereich wird dadurch vor allem im Bereich der äußeren Zehe steiler und zeigt eine Zehenrichtung.
Das Gangbild von der Seite
Schauen Sie sich Ihr Pferd in der Bewegung von der Seite an. Idealerweise durchläuft die Gliedmaße dabei einen regelmäßigen Schwungbogen. Würden wir den Schwungbogen in der Mitte teilen, hätten wir zwei identische Hälften. Interessant wird es, wenn der Schwungbogen von diesem Ideal abweicht. Es gibt viele Abweichungen, die auftreten können. Hier stellen wir drei häufige Varianten vor.
1. Gleichmäßiger Schwungbogen
● Verlauf: Der Huf hebt ab, erreicht seinen höchsten Punkt in der Mitte der Vorführphase, etwa senkrecht unter den Gelenkachsen, und erreicht anschließend wieder den Boden. Dieser Bogen ist gleichmäßig.
● Das zeigt Ihnen der Huf: Sie können einen Huf erwarten, der nicht zu flach und nicht zu steil ist.
2. Der flach geführte, gleichmäßige Schwungbogen
● Verlauf: Der Schwungbogen wird zwar gleichmäßig, aber flach über den Boden geführt. Das Pferd neigt zudem dazu, zu stolpern.
● Ursache: Die Gelenke werden nicht ausreichend gebeugt und die Gliedmaße nur eingeschränkt beschleunigt. Auch Sattelprobleme oder schlechte Reitweisen können zu diesem Laufbild führen.
● Verdacht Vorhand: Probleme im Schulter/ Halsbereich beim Vorführen, Erkrankungen wie Arthrosen in den Zehengelenken, Hufrollenprobleme oder Schmerzen im Bereich der Vorderfußwurzelgelenke.
● Verdacht Hinterhand: Probleme im Sprunggelenk, Knie oder Hüftbereich.
● Das zeigt dir der Huf: einseitig oder beidseitig abgelaufene Zehen.
Merke: Abgelaufene Zehen deuten auf Probleme in der Gliedmaße oder im Rumpfbereich hin
3. Schnell ansteigender Schwungbogen
● Verlauf: Der Schwungbogen steigt sehr schnell an und wird dann flacher werdend nach vorne geführt.
● Ursache: zu flacher Huf. Das Pferd belastet aus unterschiedlichen Gründen die hintere Hufhälfte mehr, wodurch ein Flachhuf entsteht.
● Das zeigt Ihnen der Huf: alle Merkmale eines Flachhufes.
4. Langsam ansteigender Schwungbogen
● Verlauf: Der Schwungbogen steigt langsam und flach an, erreicht dann seinen höchsten Punkt und wird dann steil nach unten geführt.
● Ursache: zu steiler Huf. Das Pferd belastet aus unterschiedlichen Gründen die vordere Hufhälfte mehr, wodurch ein Steilhuf entsteht. Gerade wenn ein Huf aufgrund einer Lahmheit nicht länger belastet wurde, kann er steiler und insgesamt enger werden.
● Das zeigt Ihnen der Huf: alle Merkmale eines steilen Hufes.
Die Gliedmaße im Fokus
Der Huf wächst ständig. Es wird neues Horn gebildet und das Horn kann seine Struktur ändern. Dadurch ist es dem Huf möglich, immer in der besten Form für die aktuellen Lebensverhältnisse zu sein. Sie haben gesehen, dass die Gliedmaßenstellung ein wichtiger „Formgeber“ für den Huf ist. Am Beispiel der Vorhand möchten wir exemplarisch zeigen, wie spannend und facettenreich das Zusammenwirken von Huf und Gliedmaße sein kann und welche weitreichenden Rückschlüsse du für dein Pferd ziehen kannst.
Wenn Sie sich die Vorhand des stehenden Pferdes von der Seite anschauen, haben Sie eine recht gerade Gliedmaße vor sich. Vom Ellbogengelenk bis zum Fesselgelenk verläuft die Vorhand in einer senkrecht stehenden Linie zum Boden. Das muss auch so sein, denn schließlich soll die Vorhand einen großen Teil des Pferdegewichts tragen und das geht am besten mit einer säulenförmigen Gliedmaße. Nehmen wir mal an, dass die Länge der Vorhand vom Ellbogengelenk bis zum Fesselgelenk einen Meter betragen würde, dann ist das bei einem gerade über der Gliedmaße stehenden Pferd auch ein Meter Abstand zum Boden. Nun macht das Pferd aber einen Schritt nach vorne und landet im Moment des erneuten Bodenkontakts mit der Trachte wieder auf dem Boden. Genau in diesem Moment ist der Ellbogen-Fesselgelenk-Meter nun nicht mehr senkrecht zum Boden gerichtet, sondern er steht schräg. Deshalb beträgt der tatsächliche Abstand zum Boden nun auch nicht mehr einen Meter, sondern weniger, weil diese gedachte Ein-Meter-Strecke schräg steht. Im nächsten Moment zieht sich das Pferd in der Bewegung wieder gerade auf die Vorhand, der Ellbogen- Fesselgelenk-Meter richtet sich dabei senkrecht auf und der Bodenabstand beträgt in der Senkrechten nun wieder einen Meter.
Wie geht das Pferd mit der Längenveränderung um?
Das Pferd kann die „Mehrlänge“ bei einer senkrecht stehenden Vorhand durch eine Änderung der Gelenkwinkel vom Ellbogengelenk, Schultergelenk und einer Lageveränderung des Schulterblattes ausgleichen – also am oberen Ende der langen Strecke. Zusätzlich kann die „Mehrlänge“ am unteren Ende der Strecke verarbeitet werden, indem das Fesselgelenk nach unten in Richtung Boden absinkt. Wenn Sie Ihr Pferd von der Seite im Schritt anschauen, können Sie dieses Absinken des Fesselgelenks, bei senkrechter Belastung durch die Gliedmaße, gut erkennen.
Wenn nun das Fesselgelenk Richtung Boden absinkt, bringt es Druck auf den Huf. Der Huf muss sich öffnen, um den Druck auszugleichen. Das tut er auch, denn der Strahl ist eine elastische Struktur, die es dem Huf ermöglicht, sich im hinteren Bereich bei Belastung zu erweitern, um sich dann bei Entlastung automatisch wieder zu verengen. Das ist der Hufmechanismus, nach der sogenannten Erweiterungstheorie. Das führt uns zu der Frage, wer die treibende Kraft des Hufmechanismus ist. Wer öffnet den Huf bei Belastung im hinteren Bereich? Der Hufstrahl lässt es zu, er ist aber nicht die treibende Kraft. Für das „Auseinanderdrücken“ braucht das Pferd eine feste Struktur, nämlich einen Knochen – das Kronbein. Das Kronbein liegt zum kleinen Teil in der Hornkapsel, zum großen Teil aber über der Hornkapsel. Das Kronbein gibt den Druck, der von oben kommt, in Richtung Hufbein weiter und sorgt so für das Öffnen des Hufes im hinteren Bereich bei Belastung der Gliedmaße. Kronbein und Hufbein haben bei diesem Prozess aber auch Gegenspieler. So erhöht sich beim Einsinken und der verstärkten Gewichtsaufnahme die Spannung in Sehnen und Fesselträger, was dem Einsinken und Öffnen des Hufbein-Kronbein-Komplexes entgegenwirkt. Das ist aber nicht der einzige Gegenspieler. Auch der Huf verfügt über eine eigene Struktur, die als Gegenspieler für ein „ungebremstes Einsinken“ des Kronbeines in die Hornkapsel gesehen werden kann und das sind die Eckstreben. Sie bilden im hinteren Bereich lasttragende Strukturen, die sich als zwei leistenartige Schienen in das Innere des Hufes erheben. Auf diesen Schienen kann sich das Hufbein bei der Lastaufnahme schlittenartig hin- und herbewegen. Diese Schienen bieten dem einsinkenden Hufbein-Kronbein-Komplex gleichzeitig ein Widerlager bei Belastung. Erstaunlicherweise erkennen alle, die sich mit Hufen und Hufbearbeitung beschäftigen, diese grundlegende Bedeutung der Eckstreben. Die wissenschaftliche Datenbasis zur Funktion und der Frage, wie Eckstreben in diesem Gesamtzusammenhang am besten bearbeitet werden sollten, ist aber sehr dünn. Es finden sich viele verwirrende und zum Teil sogar widersprüchliche Aussagen und Empfehlungen.
Der Pferdekörper im Fokus
Das vorherige Beispiel hat gezeigt, wie eng Huf und Gliedmaße vernetzt sind. Diese enge Vernetzung endet nicht in der Gliedmaße, sie zieht sich bis hoch in den Rumpf. Auch der Rumpf hat einen großen Einfluss auf die Hufform und das hat viel damit zu tun, dass Pferde von Natur aus schief sind!
Die Hinterhand: die natürliche Schiefe
Ein Pferd in Bewegung trägt seinen Körper, den Kopf, Hals und Rumpf. Das Interessante daran ist, dass die Körpermasse dabei von zwei Gliedmaßenpaaren fortbewegt wird, die einen gewissen Abstand zueinander haben. Vor- und Hinterhand haben häufig einen Abstand von 1 bis 1,5 Meter zueinander. In der Bewegung pendelt der Rumpf zwischen der Vorhand hin und her. Das können Sie erkennen, wenn Sie sich hinter das Pferd stellen und dieses nun von sich wegführen lassen.
Durch den recht großen Abstand zwischen Vorhand und Hinterhand kann es passieren, dass die Pendelbewegung des Rumpfes nicht genau gleichmäßig ist. Der Rumpf kann entweder mehr nach rechts oder mehr nach links pendeln. Die linke und rechte Körperhälfte des Pferdes sind nämlich ungleich. Auch beim Pferd sitzt der Blinddarm rechts. Hier wird mithilfe von Mikroorganismen die Nahrung über einen Zeitraum von 10 bis 48 Stunden verdaut. Dabei sammelt sich der Nahrungsbrei im Blinddarm an und bringt ein zusätzliches Gewicht von 20 bis 30 Kilogramm auf die rechte Seite des Pferdes. Die Pendelbewegung ist auf dieser Seite größer, da das Mehrgewicht den Bauch stärker nach außen zieht. Das Pferd wird dadurch anatomisch schief. Das wird auch „die natürliche Schiefe“ des Pferdes genannt. Da sich nun rechts mehr Masse befindet, schwingt die rechte Körperhälfte in der Bewegung seitwärts auch etwas mehr nach außen. Die natürliche Schiefe können Sie im Gangbild des Pferdes erkennen.
Die Vorhand: Händigkeit und Sinneswahrnehmung im Fokus
Die Art und Weise, wie Pferde ihre Vorhand nutzen, ist unterschiedlich, und wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst. Daher sind Abweichungen in der Form der Vorderhufe durchaus normal. Es lassen sich folgende vier Einflussfaktoren beschreiben.
Einflussfaktor 1: Die Händigkeit des Pferdes (motorische Einseitigkeit)
Vielleicht halten Sie diese Zeitschrift gerade in Ihrer Hand und wahrscheinlich benutzen Sie Ihre rechte Hand dafür. Auch Pferde haben eine Händigkeit. Das Spannende daran ist, dass Wildpferde keine ausgeprägte Händigkeit zeigen. Sie sind zu etwa gleichen Teilen Rechts- oder Linkshänder. Nehmen wir Pferde aber in unsere Obhut, werden sie auf einmal stärker zu Linkshändern. Diese Tendenz wird mit zunehmendem Alter des Pferdes deutlicher.
Einflussfaktor 2: Die sensorische Einseitigkeit
Am Kopf des Pferdes sind viele Sinnesorgane konzentriert. Nase, Augen und Ohren sind zwar anatomisch gleich verteilt, können aber vom Pferd unterschiedlich intensiv genutzt werden. Das Pferd benutzt oft die Sinnesorgane einer Seite mehr und verdreht dadurch etwas den Kopf. In der Folge verschiebt sich die Gewichtsbelastung der Vorderhufe.
Einflussfaktor 3: Die zerebrale Einseitigkeit
Die rechte Gehirnhälfte ist beim Pferd mehr emotional geprägt. Sie steuert die linke Vorhand. Pferde haben eine hohes Sicherheits- und Sozialbedürfnis. Emotionale Stabilität ist wichtig.
Die Folge: Die linke Vorhand wird gerne stabilisierend benutzt und mehr belastet. Gleichzeitig ist die linke Gehirnhälfte beim Pferd mehr analytisch geprägt. Sie steuert die rechte Vorhand. Analytisch ist das Pferd zum Beispiel beim Suchen des Weges.
Einflussfaktor 4 Die natürliche Schiefe
Auch die natürliche Schiefe wirkt sich auf die Hufform der Vorhand aus! Das Pferd tendiert durch die natürliche Schiefe dazu, die rechte Hinterhand in einem leichten Bogen nach außen zu führen. Damit ist der Schub, der nach vorne links gegeben werden kann, nicht so stark. Die Folge: Das Pferd muss mit der linken Vorhand mehr nach vorne ziehen.
Das Fazit aus den vier Einflussfaktoren
Alle vier Faktoren führen zu einer stärkeren Nutzung und Belastung der linken Vorhand. Sie trägt mehr Last und kann sich wie folgt verändern:
● Da die linke Vorhand bevorzugt nach vorne gestellt wird, wird der Huf tendenziell flacher.
● Da die linke Vorhand mehr Last trägt und mehr belastet wird, wird der Huf tendenziell breiter, insofern er eine regelmäßige Form hat. Aber: Hat der linke Vorderhuf eine andere Hufform, ist er also einseitig belastet oder diagonal, dann verstärken sich diese Formen. Dies ist nur tendenziell zu beobachten. Pferde können beispielsweise auch rechtshändig sein und somit andere Hufsituationen zeigen.
Text: Dr. Michael Zanger, Kerstin Kabus Foto: imago images/ Blickwinkel