Die Ausbildungsskala ist jedem ein Begriff. Doch wie sieht es mit der „Pferdesinn-Ausbildungs­skala“ aus? Deren Erfinderin Ulrike Neukäter ist Coach für Persönlichkeitsentwicklung und Bodenarbeitstrainerin und der Ansicht, dass sie der Schlüssel zu einer neuen Dimension in Umgang, Training und der Beziehung mit dem Pferd ist.

 

Wenn unsere Pferde uns einen Wunschzettel schreiben würden, was stünde da wohl drauf? Ein schönes Zuhause mit Pferdfreunden, viel Platz und gutem Futter bestimmt. Aber was wären ihre Wünsche an uns persönlich? Was brauchen sie von uns als ihrem Gegenüber im direkten Umgang, im Training, bei Entscheidungen? Was ist ihnen wichtig, und woran erkennen sie, dass sie das, was sie suchen, in uns finden?

„In uns“ ist hier das entscheidende Stichwort. Unseren Pferden ist es nämlich völlig egal, ob wir in der neuen Reithose oder einer alten Jeans daherkommen. Was ihnen nicht egal ist, ist das, was wir in uns tragen: unsere Gedanken, unsere Gefühle, unsere Haltung. Und deswegen ­haben sie genau dafür ganz besonders feine Antennen.

„Unser Pferd ist unser Spiegel“ ist längst kein Geheimtipp mehr. Wenn wir lernen, dieses Wissen zu nutzen, wird unser Pferd zu unserem besten Coach. Doch was bedeutet das eigentlich für unser Pferd? Es bedeutet, dass es das, was es uns spiegelt, auch selbst erlebt. Wenn unser Pferd unsere Angst, unseren Stress und Druck und unsere Verwirrung spiegelt, dann erlebt es all das in diesem Augenblick selbst.

Vor diesem Hintergrund ist die Pferdesinn-Ausbildungsskala entstanden. Sie hilft Ihnen, sich jeden Tag neu auszurichten auf das, was Ihr Pferd wirklich von Ihnen braucht. Dabei geht es weder um Perfektion noch darum, sich selbst (oder andere) zu verurteilen. Vielmehr bietet sie Ihnen die Chance, sich zu reflektieren und weiterzuentwickeln, um so immer mehr der Traummensch für Ihr Pferd zu werden – und für Sie selbst ja vielleicht auch.

 

Klarheit

Wenn Ihnen die Klarheit fehlt, kann Ihr Pferd Sie nicht verstehen

Ihr Pferd ist seinem Wesen nach ein Flucht- und potenzielles Beutetier. Darum muss es in jedem Augenblick wissen, woran es ist. Klarheit bedeutet für Ihr Pferd Sicherheit. Im ersten Schritt ist es für Ihr Pferd wichtig zu erkennen, ob Sie etwas von ihm möchten oder ob es gerade nichts zu machen braucht.

Klarheitsübung für Sie: Beobachten Sie sich selbst im Alltag. Haben Sie echte Pausen, in denen Sie auch innerlich abschalten, oder Sind Sie immer „on“? Wer regelmäßig Pausen macht, ist stark und präsent, wenn es darauf ankommt.

Klarheitsübung für Sie und Ihr Pferd: Gehen Sie mit Ihrem Pferd an einen ruhigen, vertrauten Ort, z.B. den Reitplatz. Gestalten Sie jetzt bewusst drei unterschiedliche Szenarien.

1. Pause: Ihr Pferd sollte ruhig und entspannt neben Ihnen stehen und darf gerne auch dösen. 2. Zuhören: Ihr Pferd hat Ihnen ein Ohr zugewendet und ist aufmerksam. 3. Aktion: Ihr Pferd geht auf Ihre Hilfe hin vorwärts. Viele Pferde sind überaktiv oder nur schwer zu bewegen. Integrieren Sie diese Übung in Ihren Alltag. So fördern Sie die Gelassenheit und Motivation gleichermaßen.

 

Liebe

Wenn Ihr Pferd Ihre Liebe nicht spürt, möchte es nicht bei Ihnen sein

Ohne die Liebe ist alles nichts! Ihr Pferd ist ein soziales Wesen. Es pflegt Freundschaften und liebt die Gemeinschaft – auch mit Ihnen. Solange Ihr Empfinden Liebe ist. Klar und zugleich liebevoll (wohlwollend, freundlich) zu sein ist für viele Menschen eine Herausforderung. Für Ihr Pferd ist es essenziell.

Liebesübung für Sie: Lass Sie den heutigen Tag Revue passieren: Was haben Sie sich selbst Gutes getan, was haben Sie sich gegönnt? Integrieren Sie das, was Sie selbst lieben, bewusst in Ihren Alltag und genießen Sie es. Sie sind es wert!

Liebesübung für Sie und Ihr Pferd: Wissen Sie, was Ihr Pferd liebt? Notieren Sie fünf Punkte. Wenn Ihnen nicht auf Anhieb so viele einfallen, macht das nichts. Nutzen Sie die kommenden Tage, um es herauszufinden. Das können gemeinsame Unternehmungen sein, bestimmte Übungen im Training, das Gekraultwerden hinter den Ohren und vieles mehr. Machen Sie es sich auch mit Ihrem Pferd zur Gewohnheit, jeden Tag etwas zu tun, das Ihr Pferd liebt und genießt. Sie werden schnell merken, dass davon nicht nur Ihr Pferd profitiert.

 

Respekt

Wenn Ihrer Beziehung der Respekt fehlt, bekommt Ihr Pferd nicht, was es verdient – und Sie auch nicht

Mit Respekt ist hier die Begegnung auf Augenhöhe gemeint, und das hat nichts mit Angst zu tun. Indem Sie Ihrem Pferd Respekt entgegenbringen und sich umgekehrt auch um seinen Respekt bewerben, stärken Sie zugleich auch sein Vertrauen in Sie. Sie sind auf dem besten Weg, für Ihr Pferd eine anerkannte Führungspersönlichkeit zu werden.

Respektübung für Sie: Denken Sie an Menschen, die Sie respektieren. Wodurch zeichnen sie sich aus? Wie fühlen Sie sich in ihrer Gegenwart?

Respektübung für Sie und Ihr Pferd: Wenn Sie zu Ihrem Pferd kommen, näheren Sie sich ihm maßvoll. Bleiben Sie an der Boxentüre oder in einiger Entfernung auf der Weide stehen, um ihm Gelegenheit zu geben, Sie wahrzunehmen und sich auf Sie einzustellen. Wenn Sie zu ihm gehen, begrüßen Sie Ihr Pferd auf Widerristhöhe. Dadurch wahren Sie seinen Individualbereich, der der Halslänge des Pferdes entspricht. Ebenso sollte Ihr Pferd auch Ihnen nicht ungefragt zu nahe kommen. Das sollten Sie ihm – in liebevoller Klarheit – bei Bedarf auch sagen. Frei nach dem Motto „Dein Tanzbereich – mein Tanzbereich“.

 

Fokus

Wenn Sie den Fokus nicht halten, orientiert sich Ihr Pferd an etwas anderem

Auch hier steht aus Pferdesicht die Frage nach Sicherheit im Mittelpunkt. Wenn Sie abgelenkt sind, und sei es auch nur gedanklich, kann Ihr Pferd nicht da­rauf vertrauen, dass Sie alles Wichtige im Blick haben. Ihr Pferd wird selbst entscheiden, und das bedeutet bei (empfundener) Gefahr Flucht!

Fokusübung für Sie: Beobachten Sie sich selbst im Alltag. Sind Sie konzentriert auf das, was Sie tun, oder lassen Sie sich ablenken? Stoppen Sie mal die Zeit, die Sie ungestört bei einer Sache bleiben.

Fokusübung für Sie und Ihr Pferd: Wem gilt Ihre Aufmerksamkeit? Sind Sie voll und ganz bei Ihrem Pferd oder eher bei der Stallkollegin, Ihrem Handy oder in Gedanken beim Job? Der Plausch und Austausch mit anderen gehört zur Stallzeit dazu und soll Ihnen nicht genommen werden. Nur, wenn Sie am oder auf dem Pferd sind, braucht es Sie und Ihre Aufmerksamkeit zu 100 Prozent. Wenn das für Sie noch ungewohnt ist, üben Sie in kleinen Sequenzen. Wenn Ihre Konzentration nachlässt, machen Sie eine Pause, in der dann auch das Pferd abschalten darf.

 

Ausdauer

Wenn Sie nicht durchhalten, war alles Bisherige umsonst

Um Ziele – auch mit Ihrem Pferd – zu erreichen, brauchen Sie Durchhaltevermögen. Im direkten Umgang mit dem Pferd führt mangelnde Ausdauer zudem zu Missverständnissen und Frustration.

Ausdauerübung für Sie: Die wenigsten Menschen scheitern; die meisten geben vorher auf. Wie ist das bei Ihnen? Glauben Sie sich selbst, dass Sie erreichen, was Sie möchten?

Ausdauerübung für Sie und Ihr Pferd: Wenn Ihr Pferd nicht macht, wozu Sie es auffordern, wie reagieren Sie? Bleiben Sie dran, bis Ihr Pferd zumindest im Ansatz die gewünschte Reaktion zeigt? Oft resignieren Menschen mit dem Gedanken „Mein Pferd versteht mich nicht“ oder „Es hat keine Lust“. Egal, wie richtig oder falsch Sie mit diesen Annahmen liegen: Wenn Sie eine Hilfe, z.B. eine treibende, abbrechen, bevor das Pferd entsprechend reagiert, kann es Sie nicht ver­stehen! In dem Moment, in dem die Hilfe aussetzt, muss das Pferd davon ausgehen, dass Sie mit seiner Reaktion (auch wenn es keine erkennbare gibt) zufrieden sind. Das ist Pferdelogik. Üben Sie in kleinen Einheiten und halten Sie durch. So schaffen Sie Verständnis und Spaß am Tun.

 

Intuition

Wenn Sie Ihre Intuition nicht nutzen, werden Sie die besten Entscheidungen für Ihr Pferd nie treffen

Intuition ist die Stimme in Ihnen, die immer für Sie ist. Mit Ihrer Intuition können Sie außerdem die Stimmung und Energie Ihres Pferdes wahrnehmen. Sie ist Ihre emotionale Intelligenz und äußert sich oft in Gedankenblitzen.

Intuitionsübung für Sie: Kennen Sie und nutzen Sie Ihre intuitive Fähigkeit? Hören Sie in den kommenden Tagen bewusst in sich hinein, um sie zu erkennen.

Folgen Sie ihr einfach mal, auch wenn Ihr Verstand dagegen spricht. Welche Erfahrung machen Sie? Wenn das für Sie neu ist, beginnen Sie wie immer gerne im Kleinen, um sich auszuprobieren.

Intuitionsübung für Sie und Ihr Pferd: Gönnen Sie sich und Ihrem Pferd eine „ruhige Minute“ und lassen Sie sich ganz auf Ihr Pferd ein, nehmen Sie es wahr, sein Atmen, seine Körperspannung etc.. Welche Gedanken kommen Ihnen? Schreiben Sie sie auf, nehmen Sie sie ernst und folgen Sie ihnen. Registrieren Sie, wohin sie Sie führen. Diese Übung ist auch sehr hilfreich, wenn Sie mit Sorgen oder Entscheidungen rund um Ihr Pferd durch Nachdenken nicht weiterkommst. Mit dieser Übung machen Sie den Weg frei zu Ihrer emotionalen Intelligenz.

 

Verantwortung

Indem Sie sich die sechs Aspekte der ­Pferdesinn-Ausbildungsskala erschließen, lernen Sie sich selbst und Ihr Pferd ­besser kennen. Sie gewinnen Selbstvertrauen und Sicherheit und können beides an Ihr Pferd weiter­geben. Sie werden zunehmend ­handlungsfähig und erleben Verantwortung für sich selbst und für Ihr Pferd auf einem ganz neuen Niveau. Selbst wenn Sie kein eigenes Pferd haben: In jedem Augenblick, in dem Ihnen ein Pferd anvertraut ist, wirkt Ihr Denken, Ihr Fühlen, Ihr Verhalten auf dieses Tier. Sie tragen eine Verantwortung. Nehmen Sie sie wahr.

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