Frische Luft, ständige Futtersuche, viel Bewegung und Sozialkontakte in der Herde: Ihre natürlichen Bedürfnisse und arttypischen Verhaltensweisen können Pferde oft nur in der Weidesaison im Sommer ausleben. Das muss nicht sein. Mit dem richtigen Management kann der Weidegang auch im Winter gelingen
Trotz Domestikation sind Pferde immer noch Lauf- und Fluchttiere der offenen Steppe. Daher kommt die Weide ihrem einstigen Lebensraum am nächsten. Hier können sie so artgerecht wie möglich gehalten werden. Doch im Winter stellen die natürlichen Bedürfnisse der Tiere Pferdehalter und Stallbetreiber vor Herausforderungen. Nicht verwunderlich, dass sich viele dazu entscheiden, die Vierbeiner im Winter aufzustallen und nur stundenweise auf einen befestigten Paddock zu lassen. Das ist einfacher. Doch jedes Pferd würde die kalte Winterluft und das Zusammensein mit Artgenossen auf der Weide einer aus menschlichen Sicht „gemütlichen“ Einzelbox vorziehen. Es lohnt sich also, darüber nachzudenken, ob und wie ein winterlicher Weidegang von statten gehen könnte.
Winterweide: Arttypisches Verhalten
Die größte Herausforderung ist das artgemäße Verhalten der Vierbeiner, mit dem sie einer Grasfläche im Winter besonders stark zu setzen: Sie lassen kahle Flecken entstehen, in denen es im Frühjahr unerwünschte Pflanzen leichter haben, sich anzusiedeln, und sie sorgen für zahlreiche Trittschäden an der Grasnarbe. Kommen noch eine ungünstige Lage der Weide, nachteilige Bodenverhältnisse und starker Niederschlag in Form von Regen oder Schnee hinzu, verwandelt sich die Wiese in kürzester Zeit in eine braune Schlammlandschaft, in der die Pferdehufe tiefe Löcher hinterlassen. Nach frostigen Nächten werden diese Löcher gefährlich, weil sie verletzungsträchtige Kraterlandschaften bilden. Dieses Szenario gilt es zu verhindern.
Winterweide: Raufutter bereitstellen
In den kühlen Monaten sind die Weideflächen bis auf die überständigen Geilstellen meist abgefressen, und dem restlichen Gras fehlt es an Nährstoffen, Vitaminen und Mineralien. Das, was die Pferde jetzt fressen, dient vorwiegend ihrer Beschäftigung und der Befriedigung ihres Knabberbedürfnis. So können sie ihren angeborenen Futtersuchtrieb ausleben. Ihren Energiebedarf, der durch den Fellwechsel und die niedrigen Temperaturen ansteigt, decken sie mit dem kurzen Gras aber nicht mehr. Bei nachlassender Menge und Qualität des Weidegrases im Winter laufen die Tiere daher Gefahr, unterversorgt zu sein. Deshalb ist eine gezielte Rohfaserversorgung mit Raufutter notwendig, egal, ob die Tiere sich nur für einige Stunden oder den ganzen Tag auf der Winterweide befinden.
Sollen die Vierbeiner nur stundenweise auf die Koppel, füttern Sie davor ausreichend Raufutter. Nach einem ausgiebigen Frühstück ist der erste Hunger gestillt. Verdauungsstörungen, Hufrehe und anderen Gefahren wird so vorgebeugt. Eine ausreichende Raufuttergabe ist noch aus einem weiteren Grund wichtig: Auf der Winterweide besteht das Risiko, dass die Pferde an giftigen Pflanzen knabbern, da nur noch wenig Grün vorhanden ist. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die Winterflächen an Gärten, Parkanlagen, Friedhöfen oder Waldränder grenzen. Besonders Pflanzen, die ihre Blätter oder Nadeln in der kalten Jahreszeit behalten (u. a. Buchsbaum, Thuja oder Eibe) sind für die Vierbeiner attraktiv.
Wasserversorgung sichern
Ein großes Problem stellt zudem häufig die Versorgung mit Wasser dar. Die Tränkemöglichkeit muss so gestaltet werden, dass sie jederzeit zugänglich ist und bei Frost nicht einfriert. Allein durch die Aufnahme von Schnee kann der Flüssigkeitsbedarf der Tiere nämlich nicht gedeckt werden.
Nicht zu vergessen ist ein stabiler, witterungsgeschützter Bereich, der bei Schlechtwetterlagen eine zu starke Auskühlung verhindert. Er sollte so beschaffen sein, dass er Stürmen und Schneelast standhält und dabei groß genug ist, um allen Pferden gleich- zeitig Schutz zu bieten. Innen sollte er eine trockene und wärmedämmende Liegefläche bieten, damit eine zu starke Wärmeableitung an den Boden verhindert wird.
Winterweide: Hufrehegefahr
Mit den ersten Minusgraden entwickeln Gräser ihren Frostschutz. Fruktane dienen ihnen dabei als Frostschutzmittel, das v. a. dann gespeichert wird, wenn viel Sonnen licht auf sie einwirkt, gleichzeitig aber die nötige Wärme fehlt, die für das Wachstum wichtig ist. Diese Zuckermoleküle machen etwa die Hälfte des Gesamtzuckers im Gras aus. Es besteht daher eine erhöhte Gefahr an Hufrehe zu erkranken. Die Grasmenge, die gefressen wird, ist in der Regel zwar gering, bei vorbelasteten Tieren (z. B. Equines Metabolisches Syndrom, Polysaccharid Speicher Myopathie, Diabetes Typ 2, PSSM, Cushing) ist jedoch Vorsicht geboten.
Text: Inga Dora Schwarzer Foto: www.Slawik.com