Island, das Land der Vulkane und Geysire, ist die Heimat der robusten Islandpferde. Auf ihrem Rücken durften wir uns auf die Spuren der Wikinger begeben
Im Viertakt des Tölts schweben wir durch die isländische Landschaft – vorbei an bizarren Felsformationen, über grasbewachsene Hügel und entlang schwarzer Sandstrände. Unerschrocken und trittsicher tragen uns die zähen Islandpferde über Geröllfelder und durch das seichte Wasser der Lagune Hóp. Der viertägige Hóp-Lagunen-Trail verläuft um die namensgebende Lagune und zum Teil sogar mittendurch. Der Ritt führt uns durch die abwechslungsreiche und teils mystische Landschaft im Norden Islands. Fast erwartet man, hinter der nächsten Kurve einer Elfe oder einem Troll zu begegnen. Doch die Hauptrolle bei dem Ritt spielen nicht die magischen Wesen, sondern die Islandpferde: robuste Pferde mit einem Willen aus Stahl und einem Herzen aus Gold. Sie tragen klangvolle Namen, von denen die meisten eine Bedeutung in der isländischen Sprache haben: Auf unserem Ritt begleiteten uns eine Königin – „Drottning“ –, ein Rabe – „Krummi“ – und ein Sturm – „Stormur“. Für uns Gäste, die der isländischen Sprache nicht mächtig sind, war es teilweise eine Herausforderung, sich die Namen zu merken. Der Gastgeber Haukur und sein Team beeindruckten uns allerdings nicht nur damit, dass sie wirklich jeden Namen der rund 120 Pferde, die mit uns unterwegs waren, kannten – sie konnten auch noch Auskunft über das Alter und den Charakter geben. Die Liebe zu den Pferden war deutlich spürbar. Nur durch diese genaue Kenntnis der Pferde war es auch möglich, jedem der Gäste immer das passende Pferd zuzuteilen: Unerfahrenere Reiter nahmen im Sattel ruhiger Pferde Platz, während sich erfahrene Reiter über die schnelleren Vierbeiner freuen durften.
Auf den Spuren der Wikinger
Die Islandpferde haben für die Menschen in Island schon seit Jahrhunderten eine große Bedeutung und der überwiegende Anteil der Bevölkerung schätzt die Tiere sehr. Als die ersten Wikinger im 9. Jahrhundert nach Island kamen, brachten sie Pferde mit. Nur mit diesen war die Besiedlung der schroffen Vulkaninsel überhaupt möglich. Die Pferde trugen die Wikinger in die schwer zugänglichen Bergregionen und waren für den Transport von Gütern wichtig. Und auch heute noch haben die Islandpferde eine große Bedeutung für die Menschen auf Island: Sie werden für den Schafabtrieb in schwer erreichbaren Gebirgsregionen eingesetzt und sind natürlich auch ein Touristenmagnet. Schließlich gehören die robusten Tiere mindestens genauso zu Island wie die Vulkane und Geysire.
Der Hóp-Lagunen-Trail beginnt im Tal Vatnsdalur, dem Schauplatz der gleichnamigen Saga über die ersten Siedler der Gegend. Das Tal ist auch für die vielen Erdhügel, die Vatnsdalshólar, bekannt. Wir, eine Gruppe von 14 Reiterinnen unterschiedlicher Nationalitäten, erreichen unsere Unterkunft für die nächsten Tage nach einer etwa dreistündigen Autofahrt aus Reykjavik. Nach einer kurzen Stärkung lernen wir unsere Reitpferde für den ersten Tag kennen und das Abenteuer kann beginnen.
Doch wir werden nicht allein unterwegs sein: Eine Herde aus etwa 100 frei laufenden Pferden wird uns begleiten und für unvergessliche Erinnerungen sorgen. Dafür wurden die Reiter in zwei kleinere Gruppen aufgeteilt: Haukur führte die Gruppe vor der Herde an, die dafür sorgte, dass die Herde den richtigen Weg einschlägt. Und die hintere Gruppe sorgte dafür, dass kein Pferd verloren geht. Beide Positionen haben ihren ganz eigenen Charme, weshalb möglichst jeder Reiter einmal vorne und einmal hinten reiten sollte: Das Gefühl in der vorderen Gruppe, wenn das Hufgetrappel Hunderter Pferde hinter einem erklingt, ist unbeschreiblich. Und auch der Blick von hinten auf eine so große Herde wundervoller Pferde wird noch lange unvergessen bleiben.
Die frei laufenden Pferde in der Herde werden durch solche Ritte automatisch konditionell trainiert. Zudem haben die Reiter die Möglichkeit, zwischendurch die Pferde zu tauschen. An den meisten Tagen ritt jeder zwei oder drei Pferde, das hing von der Strecke ab: So wurden nach einem kurzen, aber anstrengenden Auf- und Abstieg in die Berge die Pferde getauscht, während eine längere Strecke durch das Flachland weniger fordernd fürs Pferd war. Für den Pferdetausch oder auch die Pausen begegnen uns unterwegs immer wieder eingezäunte Paddocks – mal massiv mit Holzumzäunung und mal mit dünnen Litzen.
Durch die unberührte Landschaft
Island hat eine faszinierende Wirkung auf die Menschen. Die dünn besiedelte Insel liegt am Rande des Polarkreises, sodass es im Sommer nie ganz dunkel wird – die Tage scheinen keinen Anfang und kein Ende zu haben. In den Wintermonaten hingegen wird es nur wenige Stunden am Tag hell. Das Wetter in Island ist ebenso wechselhaft wie die Landschaft: Scheint im einen Augenblick noch die Sonne, so können im nächsten Moment Regenwolken den Himmel bedecken. Daher ist wetterfeste Kleidung elementar, schließlich gibt es bekanntermaßen kein schlechtes Wetter, sondern nur die falscheKleidung. Haukurund sein Team sindallerdings auf alleEventualitäten vobereitet und stattetenuns bereits am erstenTag mit leuchtend orager Regenbekleidung aus.Schnell haben alle Reiterinnen aus unserer Gruppe das orange Outfit ins Herz geschlossen, schließlich hält es uns auch bei größeren Regenschauern weitestgehend trocken.
Vier Tage lang führte Rittführer Haukur uns mit seinem Team sicher durch die teils unberührte Landschaft, vorbei an schroffen Felsen und Schafherden, entlang glitzernder Flüsse und Seen. Schwarze, scheinbar endlose Sanddünen laden zu einem flotten Tölt ein. Eins der Highlights des Hóp-Lagunen-Trails ist zweifelsohne die Überquerung der seichten Lagune Hóp – in flottem Tölt und noch flotterem Galopp überflogen wir diese geradezu.
Und natürlich beeindruckte uns nicht nur die Landschaft Islands, sondern auch die ausdauernden Islandpferde mit ihrem traumhaften Tölt. Aussagen wie „Wenn du einmal getöltet bist, möchtest du nichts anderes mehr machen“ weckten natürlich große Erwartungen in mir als töltunerfahrener Reiterin. Bereits nach wenigen Augenblicken im Sattel konnte ich die Begeisterung für die Pferde und ihre spezielle Gangart nachvollziehen: Ich saß auf einer kleinen, fleißigen Stute, deren Tölt einfach nur bequem war, und konnte das Lächeln nicht mehr unterdrücken. Tölt bietet für den Reiter wirklich einen sehr hohen Sitzkomfort, da er nahezu erschütterungsfrei ist.
Zwischen historischen Kirchen und Seehundkolonien
Die Landschaft Islands und die Islandpferde sind selbstverständlich die absoluten Highlights des Rittes. Das Rahmenprogramm gibt dem Ritt allerdings noch den letzten Schliff: Gastgeber Haukur führte uns neben dem Reitprogramm zu wundervollen Ecken: So kamen wir in den Genuss, den Basaltfelsen Hvítserkur zu bewundern, der von einem langen Strand aus schwarzem, feinem Sand umgeben ist. Außerdem lebt in unmittelbarer Nähe eine Seehundkolonie, deren Tiere im Wasser planschen und uns neugierig begutachten. Weiterhin besuchten wir die ehemalige Festung Borgarvirki: Die Festung selbst ist leider kaum noch erhalten und lässt sich nur erahnen, allerdings bot sich uns ein fantastischer Ausblick auf die Umgebung. Und auch der Besuch der historischen Kirche von Thingeyrar beeindruckte uns: Sie ist eine der seltenen Steinkirchen Islands und bietet mit vielen liebevollen Details eine ganz besondere Atmosphäre. Auch birgt sie zahlreiche Kunstschätze, beispielsweise einen Altar aus dem 15. Jahrhundert.
Perfektes Rundum-Paket
Auf dem Hóp-Lagunen-Trail erwartet die Teilnehmer neben dem abwechslungsreichen Reit- und Rahmenprogramm natürlich auch köstliche, hausgemachte Verpflegung und abendliche Liedrunden dürfen ebenfalls nicht fehlen – mit englischen und isländischen Klassikern. Zudem überzeugt dieser Trail nicht nur durch die trittsicheren Islandpferde, die beeindruckende Landschaft und die souveräne Ritführung, sondern auch durch verschiedene Bequemlichkeitsfaktoren: Obwohl es eine Rundreise ist und die Pferde jede Nacht an einem neuen Ort verbringen, genießen die Reiter denLuxus, allabendlich auf die Hvammur-Farm in gemütliche Mehrbettzimmer mit modernen Gemeinschaftsbädern zurückzukehren. Somit entfällt das tägliche Kofferpacken. Ein Jacuzzi lädt am Abend zum Entspannen ein – insbesondere wenn sich doch mal der ein oder andere Körperteil nach vielen Stunden im Sattel schmerzhaft meldet.
Text & Bild: Nicole Audrit