Umstrittene Einwirkung
Immer mehr Reiter benutzen für ihr Pferd ein Knotenhalfter, das schon lange nicht mehr nur im Westernbereich angesiedelt ist. Das Problem: Es wirkt anders auf den Pferdekopf ein als ein gewöhnliches Stallhalfter und gehört daher zu den umstrittenen Ausrüstungsgegenständen. Doch wie sanft oder scharf ist der ausgeübte Druck wirklich? Und welche Gefahren bestehen bei einer unsachgemäßen Anwendung?
Das Knotenhalfter gehört zur Standardausrüstung der Westernreiter und ist vor allem beim Führen, Spazierengehen und bei der Bodenarbeit be- liebt. Aber auch Wanderreiter
nutzen es als Halfter unter der Trense. Nur einige wenige verwenden es zum Reiten. Mittlerweile hat es seinen Weg in andere Sparten der Reiterei gefunden und wird bei Pferdebesitzern – egal welcher Disziplin – immer populärer. Vielfach wird es als ideales Bodenar- beitshalfter aus dem Horsemanship-Bereich angepriesen. Darunter versteht man die Kunst, mit Pferden natürlich, das heißt pferdegerecht und pferdeverständlich umzugehen. Ziel des Horsemanship ist die harmonische Partner- schaft zwischen Mensch und Tier. Sowohl bei der Bodenarbeit als auch beim Reiten sollen nur Methoden und Hilfsmittel angewendet werden, die das Pferd nicht überfordern und ihm keine Schmerzen zufügen. Zu diesen „Hilfsmitteln“ zählt allgemein auch das Knotenhalfter, obwohl es eigentlich nicht den Horsemanship-Gedanken widerspiegelt. War- um? Weil es keineswegs sanft einwirkt, sondern deutlich schärfer als ein gewöhnliches Stallhalfter, und weil es größere Gefahren für das Pferd birgt. Doch fangen wir von vorne an.
Geschichtlich ist das Knotenhalfter nichts anderes als ein Seil, das zu einem Halfter geknüpft ist. Angeblich haben es bereits die Indianer und Cowboys im Wilden Westen geknüpft. Eine Theorie besagt,
dass sie es aus einer speziellen Handhabung des Lassos entwickelten. Sie schlangen ihr Lasso, nachdem sie ein Pferd eingefangen hatten, mit ein paar gekonnten Schlingen vom Genick aus derart um den Kopf des Pferdes, dass am Ende eine Art Halfter mit Führstrick aus einem Stück daraus wurde. Eine andere Theorie besagt, dass sie es aus einem Seil knüpften, weil es an Metall für Ösen und Schnallen mangelte. Die Knot
en hätten daher keine besondere Funktion gehabt, sondern seien lediglich notwendige Kreuzungspunkte gewesen, um das Seil in die richtige Richtung zu bekommen. Fakt ist: Das Halfter besteht aus einem 3,5 bis 6 Millimeter dünnen, runden Seil ohne metallene Schnallen zum Verschließen und ist damit sehr leicht. „Gerade diese Leichtigkeit verleitet vielfach dazu, damit etwas besonders Sanftes und Mildes in Verbindung zu bringen. Viele Reiter sind sich nicht bewusst, wie es tatsächlich einwirkt“, sagt Daniela Schinko, Veterinärmedizinische Assistentin und Pferdetrainerin aus Österreich.
Einwirkung auf den Pferdekopf
Das Knotenhalfter nimmt – je nachdem, welche Zugrichtung das Seil vermittelt – Einfluss auf drei Punkte am Pferdekopf: Genick, Nase und Backen. Bewegen Sie das Seil nach vorne, wirkt das Halfter auf das Genick, bewegen Sie es nach hinten, wirkt es auf die Nase ein, schwingen Sie das Seil zur Seite, wirkt es auf den hinteren Teil der Backen. Daher ist bei einem Seil mit einem Karabiner Vorsicht geboten, damit dieser nicht gegen den Kopf oder ans Auge schlägt. Leichte Karabiner oder ein simpler Knoten sind zu bevorzugen. Das heißt aber nicht, dass Sie sich jetzt unbedingt ein neues Seil kaufen müssen. Es kommt eben nur auf Ihr Ende des Seils an. Wenn Sie stets sanft einwirken, warum sollte dann der Kara- biner gegen den Pferdekopf schlagen?
„Möchte man sich über die Wirkungsweise des Knotenhalfters kundig machen, so wird man von der Horsemanship-Szene erfahren, dass es ein feines Kommunikationsmittel ist und die Pferde damit schnell lernen, auf Druck nachzugeben. Die Schlagworte Respekt und Vertrauen spielen in der Ausbildungsweise, die sich des Knotenhalfters be- dient, eine große Rolle“, sagt Daniela Schinko. Doch diese Schlagworte lassen sich ihrer Meinung nach nicht mit dem in Einklang brin- gen, was sie tagtäglich live bei ihrer Arbeit, in diversen Pferdeforen, Internetgruppen und Videoportalen zu sehen bekommt.
Grobe rucke sind ein no-Go
„Das junge, unausgebildete, am Knotenhalfter ungeschulte Pferd lernt, dem Druck des Knotenhalfters nachzugeben, indem mit dem Bodenarbeitsseil impulsweise geruckt wird“, erläutert die Expertin. „Wie heftig der Ruck ausfällt, hängt von der Sensibilität und Bereitschaft des Pferdes ab, nachzugeben. Reagiert es mit Gegendruck, wird das durch den Druckaufbau rasch unbequem für das Pferd – so wurde es mir persönlich von einem sogenannten Horsemanship-Trainer erklärt. Vielfach bekomme ich zu sehen, dass Pferde mittels aufeinanderfolgender Rucke rückwärtsgeschickt werden. Dabei steht der Trainer meist frontal zum Pferd und ruckt in gewisser Abfolge am Bodenarbeitsseil, bis das Pferd entsprechend ausweicht. Das im Horsemanship-Training fortgeschrittene Pferd weicht lediglich durch sanftes Schwingen des Seiles. Vergessen darf man dabei nicht, dass auch dieses vermeintlich feine Pferd irgendwann einmal durch die Stu- fen der anfänglichen Druckausübung gegangen ist“, gibt Schinko zu bedenken. Ein solches Verhalten ist an sich bereits grob genug, doch wird es durch das dünne Seil des Knotenhalfters noch verstärkt. Denn es wirkt schärfer ein als ein handelsübliches Halfter.
Der Grund ist schnell erklärt. Physikalisch ergibt sich der Druck aus Kraft pro Fläche. Das heißt: Je geringer die Fläche ist, desto größer ist der Druck. Je größer die Fläche ist, desto geringer ist der Druck. Auf den Halfter-Vergleich übertragen bedeutet dies: „Aufgrund des dünnen Seils hat das Knotenhalfter wenig Auflagefläche auf dem Pferdekopf und erzeugt so mehr Druck als ein Stallhalfter mit einer größeren Auflagefläche. Das gilt nicht nur für die Stränge, sondern auch für die Knoten selbst, die wegen ihrer Wulst bei starkem Zug einen zusätzlichen, punktuellen Druck ausüben. Folglich ist die Kraftanwendung erhöht, so dass eine stärkere Einwirkung die Folge ist. Das erklärt auch, warum sich teils heftige Pferde mit dem Knotenhalfter besser kontrollieren lassen“, weiß die Ausbilderin.
Bei Zug am Strick oder Seil wird bei je- dem Halfter ein unmittelbarer Druck auf den Pferdekopf ausgeübt. Das ist bei einer sanften Einwirkung kein Problem. Doch bei grober und unsachgemäßer Einwirkung kann es – insbesondere bei einem sehr schmalen Seil – zu Quetschungen kommen. Wenn das Pferd mit Gegendruck reagiert oder sich ins Halfter
hängt, sind im schlimmsten Fall Verletzungen der Haut oder im Binde- und Muskelgewebe die Folge. Da unter der dünnen Pferde- haut auch viele Nervenbahnen verlaufen, ist ebenfalls eine Komprimierung von Nerven nicht auszuschließen. Das kann die Expertin bestätigen: „Wenn das am Knotenhalfter we- nig geschulte Pferd mit den zuvor angesprochenen groben Rucken zum Nachgeben be- wegt wird, läuft die Einwirkung primär zum Genick und sekundär zum Nasenbein. Je nach Ausmaß erfährt das Genick eine mehr oder weniger starke Quetschung. Das heißt: Auch bei korrekter Verschnallung kann es mitunter zu schmerzhaften Einwirkungen besonders im sensiblen Genickbereich (Atlantooccipitalgelenk) kommen. Nicht selten treten zudem Schmerzen im Bereich der Nervenaustrittspforten und Entzündungen der Schleimbeutel auf.“
Noch schlimmer sind die Folgen einer falschen Verschnallung. Hängt ein Knotenhalfter zu tief, ist die Blähzone eingeschränkt. Da Pferde aufgrund des sehr langen Gaumensegels fast nicht durch das Maul atmen können, sind die Nüstern der ausschließliche Zugang zu den Atemwegen. Was eine zu tiefe Verschnallung auslöst, kann sich also jeder vorstellen. „Ferner wird Druck auf das frei schwebende und fragile Nasenbein ausgeübt, das die knöcherne Grundlage des Nasenrückens bildet“, erklärt die Expertin. Sie merkt an: „Wenn das Pferd bei jeglicher zu tiefer Verschnallung eine Einwirkung erfährt, ten- diert es mit der Kopf-Hals-Achse rückwärts. Dieser Reflex ist begründet aus der physikalischen Kraftübertragung, ausgehend vom Genick des Pferdes bis zum Endpunkt des Nasenteiles vom Knotenhalfter. Hier wirken aufgrund der Hebelwirkung der knöchernen Verbindung Genick-Nase enorme physikalische Kräfte ein. Ist das Knotenhalfter zu tief verschnallt, wird das Pferd daher nicht nur über die Einschränkung der Blähzone in seiner Atmung behindert, sondern auch im Bereich des Kehlkopfes durch den Reflex der nach hinten wirkenden Hebelkraft.“
Hängt es zu hoch, wirkt bei Zug am Seil Druck nach hinten auf die spitzen Enden des Jochbeins. „Doch nicht nur die scharfkantige Jochbeinleiste gilt als Parameter zur korrekten Verschnallung, sondern auch die Austrittspforten des Nervustrigeminus, der als fünfter von zwölf Gehirnnerven als der größte Gesichtsnerv angesehen werden kann. Seine Äste verlaufen in Bereichen, die für alle mit Nasenriemen versehenen Zäumungen von Bedeutung sind“, so die Pferdetrainerin. „Eine zu hohe und gleichzeitig zu enge Verschnallung ruft neben den bereits genannten Problemen bei Einwirkung zu- meist ein Hochreißen des Schädels als natürlichen Reflex hervor. Infolge dessen wird das Pferd den Rücken durchdrücken, was für eine Bodenarbeit mit gymnastischem Wert nur eine äußerst zweifelhafte Reaktion sein kann“, so Schinko. Die untere Grenze der Verschnallung sollte deshalb immer dort sein, wo der Nasenknorpel in den Nasenknochen übergeht. Tasten Sie dafür von den Nüstern aus an der Nase nach oben. Die Obergrenze liegt ein bis zwei Finger unter dem Jochbein. Wichtig ist also nicht nur, sich der Druckausübung auf den Pferdekopf bewusst zu sein, sondern auch zu wissen, wie das Knotenhalfter korrekt verschnallt wird (Details dazu siehe Kasten rechts).
Haben Sie ein gut passendes Knotenhalfter gefunden und es korrekt verschnallt, sollten Sie sich bei der Anwendung über das Gefahrenpotenzial im Klaren sein. Da das Knotenhalfter aus einem Seilstück gefertigt ist, besitzt es im Gegensatz zum herkömmlichen Halfter keine Sollbruchstelle. Es wird also im Ernstfall nicht reißen. Das Pferd kann sich somit, wenn es beispiels- weise irgendwo hängen bleibt, Verletzungen zuziehen. Da es außerdem sehr locker am Pferdekopf anliegt, ist die Gefahr des Einhängens an Gegenständen besonders groß. „Schon gar nicht sollte ein Pferd damit unbeaufsichtigt angebunden werden – weder am Putzplatz noch im Transporter. Jeder kann sich die Schmerzen vorstellen, wenn das Pferd hochschreckt und das Genick vom Druck des Halfters gebremst wird“, so Schinko. Das Pferd ist und bleibt ein Fluchttier. Was passiert in einer Schrecksituation? „Es zieht am Strick und empfindet dann denselben Schmerz, wie wenn die Rucke aus (zweifelhaften) erzieherischen Maßnahmen heraus gegeben werden. Eine Belohnung, wie das Aussetzen des Drucks auf das Nachgeben des Pferdes hin, ist daher aus meiner Sicht zweifelhaft“, so die Veterinärmedizinische Assistentin.
Massive Rucke schaden dem Pferd
Aber auch beim bereits am Knotenhalfter geschulten Pferd, wo massive Rucke auf das Genick schon mehr oder weniger ausbleiben, betrachtet Schinko die Wirkungsweise, unter anderem beim Longieren, kritisch. „Der im unteren Kopfbereich angebrachte Knoten zur Verbindung mit dem Bodenarbeitsseil fördert, wenn das Pferd sich auf einem Zirkel bewegt und eine Einwirkung erfährt, das Verwerfen im Genick mehr als vergleichsweise gebisslose Zäumungen (z. B. Kappzaum), die das Pferd über den Nasenrücken führen. Auch bei seitlicher Einwirkung wird sich das Pferd eher verwerfen als korrekt stellen. Hinzu kommt das mitunter erhebliche Eigengewicht der Bodenarbeitsseile, das schon ohne zusätzliche manuelle Einwirkung die sensiblen Weichteile im Genick reizen kann“, sagt sie.
Ähnliches kritisiert die Expertin beim Rei- ten mit Knotenhalfter. „Beim Reiten erfährt der Pferdeschädel bei Einwirkung durch die Zügelhand immer mehrere Druckpunkte. Nimmt der Reiter beispielsweise den rechten Zügel an, geht der Druck primär vom Genick nach unten. Die seitliche Einwirkung, die gerade beim wenig ausgebildeten Pferd Hilfe- stellung bedeuten soll, fällt in diesem Falle nur ungenau bis gar nicht aus, da das Knotenhalf- ter in der Regel sehr locker verschnallt wird. Dies verleitet den Reiter vielfach zu häufigem
Zupfen am Zügel, um sich seinem Pferd ver- ständlich zu machen.“ Ihr Fazit lautet daher: „Für mich bedeutet Horsemanship, einen fai- ren Umgang mit meinem Partner Pferd unter Berücksichtigung seiner anatomischen Gegebenheiten zu haben. Schmerz darf weder im täglichen Umgang noch in irgendeiner Ausbildungsstufe eine Rolle spielen. Somit lehne ich gewisse Ausrüstungsgegenstände, wie auch das Knotenhalfter, ab.“
Diesen Schritt müssen Sie aber nicht zwangsläufig gehen. Die Entscheidung, wel- chen Ausrüstungsgegenstand Sie für Ihr Pferd nutzen möchten und welchen nicht, sollten Sie für sich persönlich treffen. Erinnern Sie sich einfach an den Mythos des sanft einwirkenden Horsemenship-Halfters, denken Sie im Training an die schärfere Einwirkung und vermeiden Sie eine grobe Druckausübung. Wie so oft, ist das Maß entscheidend.
Foto: Malte Schwarzer, Text: Inga Dora Schwarzer