Stabil und mobil zugleich muss der Rücken sein, damit sich der Reiter korrekt auf dem sich bewegenden Pferd ausbalancieren kann. Das Problem? Die meisten Bewegungen im Rückensind vom Kopf gar nicht oder nur bedingt beeinflussbar. Deshalb muss der Reiter so viele Informationen über seinen Körper sammeln wie möglich

Der Rücken ist ein kleines Wunder­werk der Natur. „Man kann ihn beugen und strecken, zu beiden Seiten neigen und drehen, also in alle drei Dimensionen bewegen. Gleichzeitig koordiniert der Rumpf mithilfe des Rückens die Bewegungen der Arme und Beine und stabilisiert das ganze Bewegungs­ system. Ohne Stabilität im Rücken ist keinGleichgewicht möglich“, schreibt die Ausbil­ derin und Physiotherapeutin Susanne von Dietze aus Israel in „Rücksicht auf den Reiter­ rücken“. Gerade die Beweglichkeit in alle Richtungen mache ihn stabil. „In der Physio­ therapie wird dieser nur scheinbare Gegen­satz als dynamische Stabilität des Rückens bezeichnet“, erläutert die Expertin. Diese Funktion erkläre auch seine Hauptaufgabe, nämlich die Balance immer wieder neu her­ zustellen und zu halten.

Aufbau der Wirbelsäule

Diesen Kontrast spiegelt die Wirbelsäule, die wie ein Turm aus einzelnen aufeinanderge­ setzten Wirbeln aufgebaut ist, ebenfalls wi­der. „Das Wort Wirbel steht für Bewegung in alle Richtungen, das Wort Säule für Stabi­lität und Stärke“, erklärt die Ausbilderin. Zu­ gleich ähnelt sie einer Kettenkonstruktion mit vielen einzelnen Gliedern, die Stöße und Schwingungen viel besser abfangen kann als beispielsweise ein fester Stab. Durch ihre charakteristische Doppel-­S-­Form kann Be­wegungsenergie besonders gut weitergelei­tet werden. „Dieser typische, individuell mal mehr, mal weniger ausgeprägte Aufbau gibt ihr die Möglichkeit, ideal auf Zug­- und Druck­belastungen reagieren zu können“, erklärt Susanne von Dietze.

Aber nicht jeder Abschnitt weist die glei­che Beweglichkeit auf. Der beweglichste Teil ist die Halswirbelsäule. „Dort kann man sich in alle Richtungen bewegen. In der Brustwirbelsäule ist die Beweglichkeit schon durch die Rippen und den Brustkorb deutlich ein­ geschränkt. Hier kann man sehr schlecht beugen oder strecken, sich nur bedingt zur Seite neigen, dafür aber umso besser drehen. In der Lendenwirbelsäule ist die Drehung fast nicht möglich, Seitneigung nur begrenzt, dafür kann man gut beugen und strecken“, sagt von Dietze. Die Ursache dafür ist im Aufbau der einzelnen Wirbel zu finden.

„Jeder Wirbel besitzt Gelenke, mit denen er nach oben und unten mit dem benachbar­ten Wirbeln verbunden ist. Die Form dieser Facettengelenke bestimmt die mögliche Bewegungsrichtung. Zwischen den einzelnen Wirbelkörpern liegen die Bandscheiben, die wie ein Puffer oder Schwamm Bewegungen abfedern“, so die Expertin weiter.

Der Rücken ist ferner von einem komplex verlaufenden Muskelsystem durchzogen. „Der diagonale Aufbau der Muskulatur gibt dem Rumpf eine deutlich verbesserte Sta­bilität, ohne die Beweglichkeit einzuschrän­ken“, weiß sie. Hinzu kommt ein Aufbau in Schichten. „Die tiefste Schicht ist die kürzes­te, sie kann die feinsten Bewegungen quasi unsichtbar im Untergrund durchführen. Die sichtbaren Bewegungen werden in der Regel von den oberflächlichen und längeren Mus­keln ausgeführt.“ Das ausgeklügelte Körper­teil ist genial, doch stellt es uns Menschen vor eine Herausforderung: Wir können den Rücken nicht so gut kontrollieren wie ande­re Körperbereiche, weil er unserer Wahrneh­mung kaum zugänglich ist. „In der Konstruk­tion des Gehirns ist gar nicht vorgesehen, dass die Bewegungen des Rückens in unse­rem Bewusstsein viel Raum einnehmen. Die meisten dieser Bewegungen im Rücken wer­ den über Reflexe gesteuert, von denen eini­ge sogar nur über das Rückenmark laufen. Sie sind vom Kopf gar nicht oder nur bedingt zu beeinflussen“, betont von Dietze. Unsere Rü­ckenmuskeln verrichten also tagtäglich ihre Arbeit, ohne dass wir ihnen dafür bewusst Befehle geben. „Das ist von der Natur ge­schickt eingerichtet worden. Stellen Sie sich vor, Sie müssten beim Gehen darüber nach­ denken, welche Muskeln Sie wann und wie stark einsetzen müssten“, so die Ausbilderin. Dann kämen wir wohl kaum von der Stelle.

Eigenen Körper kennenlernen

Es ist also schwierig, den Rücken im Gegen­ satz zu Händen, Armen, Beinen oder Füßen wahrzunehmen und zu kontrollieren. Was kann der Reiter tun? Sammeln Sie so viele Informationen über Ihren Körper wie möglich, ist der Rat der Expertin. „Wir müssen erfah­ren, welche Hebel, welche Längen oder Kür­zen die Konstruktion des eigenen Körpers vorgibt, wie die Beweglichkeit in den einzel­nen Abschnitten möglich ist, zu welcher Seite man sich besser drehen kann usw.“ Insbeson­dere die individuellen Körperproportionen bilden spezielle Herausforderungen für die Balance. Das wird oft schon im Stand sicht­bar, wenn man Reiter bittet, mit gebeugten Knien eine „Reithaltung“ einzunehmen. „Je mehr Puzzleteile der Wahrnehmung wir sammeln, desto besser können wir das Gesamtbild erkennen“, er­klärt Susanne von Dietze.

Dazu zählt auch das Wahrnehmen des Körpers in der Bewegung. „Je besser das Be­wegungsgefühl eines Reiters ausgeprägt ist, desto eher wird er die Pferdebewegung als Hilfestellung für die eigene Balance nut­zen können“, meint von Dietze. In der Fol­ge bewegt sich der Reiter automatisch rückenbe­wusst auf dem Pferderücken. Er reitet ökonomisch und setzt nur so viel Kraft ein, wie die jeweilige Auf­gabe erfordert. „Eine solche Bewegung sieht leicht, spielerisch und flüssig aus“, sagt die Ausbilderin. Ist das Bewegungsgefühl aber nicht so gut ausgebil­det oder wird vom Reiter eine Haltung verlangt, die der Rücken noch nicht sicher von alleine stabilisie­ren kann, kommt es zu Problemen. Dann habe der Mensch im Sattel beispielsweise im ausgesessenen Trab gar keine andere Wahl, als unkontrollierte Wa­ckel­ oder Kompensationsbewegungen (Rückenlage) auszuführen, seinen Rücken steif zu halten, sich in der Muskulatur zuverspannen oder fehlende Ein­wirkung über Kraft zu kompensieren.

Text: Inga Dora Schwarzer       Foto: www.Slawik.com 

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