Text: Aline Müller Foto: www.Slawik.com
Manche Pferde galoppieren lieber auf der linken Hand, andere erschrecken sich vor allem auf der rechten Hand vor bestimmten Objekten. Lateralität, auch Einseitigkeit genannt, ist nicht nur ein natürlicher Aspekt des Pferdekörpers, sondern vor allem auch des Geistes
Meiner fünfjährigen Stute ist es ganz egal, ob ich sie auf der linken oder rechten Hand führe. Ich kann von beiden Seiten auf- und absteigen. Das war nicht immer so: Im Alter von drei Jahren war sie durchaus skeptisch, wenn ich auf ihrer rechten Seite neben ihr hergehen wollte. Beim Laufenlassen hat sie immer wieder probiert, sich auf einer bestimmten Hand umzudrehen. Stetig haben wir an der Hand und im Sattel an der Balance und Geraderichtung gearbeitet. Mein dreijähriges Nachwuchspony führt mir die Lateralität aber wieder deutlich vor Augen. Er versteht es noch gar nicht, wenn ich beim Führen auf seine rechte Seite wechsle. Dann bleibt er erst einmal stehen und schaut mich mit seinen großen Ponyaugen an. Pferde haben eine Vorliebe für eine Seite. Diese Lateralität begegnet uns Reitern beziehungsweise Pferdemenschen täglich, auch wenn wir uns dieser womöglich nicht bewusst sind.
Pferde besser verstehen
Hat Ihr Pferd auch eine „Lieblingshand“? Fällt ihm vielleicht der Galopp auf der linken Hand leichter? Oder erschreckt es sich auf einer Hand immer wieder in einer bestimmten Ecke, läuft auf der anderen Hand aber, als wenn nichts wäre, an derselben Stelle ohne Probleme vorbei? Was von manchen Menschen schnell mal als „Ungehorsam“ interpretiert wird, kann durchaus auch mit der Lateralität zusammenhängen. Sie ist ein wesentlicher Teil des Pferdegeistes und wird über den Pferdekörper nach außen transportiert und für uns sichtbar. „Begreifen wir die Bedeutung und insbesondere die Veränderungen in der Lateralität, können wir Pferde besser verstehen und eine harmonische Partnerschaft aufbauen. Wir können das geistige und körperliche Wohlbefinden unserer Pferde verbessern“, schreiben Isabell Marr, Konstanze Krüger und Kate Farmer in ihrem Buch „Lateralität bei Pferden“. Dabei hilft es nicht nur, wenn wir unsere Pferde, sondern auch uns selbst einmal im Alltag beobachten. Auch wir machen bestimmte Dinge bevorzugt mit einer Seite, auch uns fällt es leichter, ein Pferd auf der linken Seite zu führen oder von links aufzusteigen. Auch wir haben meist eine Hand, auf der wir lieber reiten und auf der uns das Sitzen beziehungsweise die Hilfengebung leichter fällt.
Die Lateralität des Pferdes ist etwas ganz Normales. Dennoch ist es wichtig, Hintergründe zu verstehen und daran zu arbeiten, damit sich unsere Pferde unter uns Reitern loslassen können und es uns ermöglichen, die körperliche Schiefe auszugleichen (Geraderichtung). Beginnen wir mit einem Blick auf das Gehirn: Es gibt vor, welche Sinne und welche Gliedmaßen welcher Körperseite verwendet werden sollen, so unsere Expertinnen. Die zwei Gehirnhälften sind durch eine Brücke verbunden sind (das sogenannte Corpus callosum). „Die Abschnitte des Gehirns sind auf die Verarbeitung ganz unterschiedlicher Informationen spezialisiert, und sie können gleichzeitig arbeiten“, erklären die Autorinnen. Dies sei für das Fluchttier Pferd unglaublich nützlich, denn ein Pferd kann zum Beispiel mit der rechten Gehirnhälfte ein Raubtier im Blick behalten und gleichzeitig mit der linken Gehirnhälfte überlegen, wohin es flüchten könne. Je nach Art der Information, mit der es konfrontiert ist, bestimmt das Gehirn, auf welcher Seite es aktiv wird. So laufen also schnelle, instinktive Reaktionen in der rechten Gehirnhälfte ab. „Dabei wird abgewogen, ob geflüchtet werden muss oder wie auf soziale Informationen zu reagieren ist, und hier werden überlebenswichtige, körperliche Funktionen gesteuert“, sagt Isabell Marr. Wie eben zum Beispiel die Flucht vor einem Raubtier. Demgegenüber ist die linke Gehirnhälfte auf die langfristigere Verarbeitung und die Abwägung von Informationen, auf Lernprozesse und das Langzeitgedächtnis spezialisiert.
Den kompletten Text finden Sie in der neuen Mein Pferd- Ausgabe.