Text: Inga Dora Schwarzer Foto: www.Slawik.com
Damit das Dressurtraining im Winter nicht langweilig wird, ist Kreativität gefragt. Sie sorgt für neue Ideen und Abwechslung, dient aber auch als Problemlöser. Wie der Blick über den Tellerrand gelingt, zeigen die Ausbilderin Ann Katrin Querbach und der Pferdewirtschaftsmeister Johannes Beck-Broichsitter. Mit ihren Tipps wird der Winter bunt!
Missverständnisse und Vorurteile zwischen verschiedenen Herangehensweisen entstehen im Grunde genommen nur aus Unkenntnis. „Was immer wieder zu Unverständnis führt, ist die Annahme, der andere müsse ja wissen, was ich gerade mit meinem Pferd vorhabe. Wenn der Mitreiter aber keine Ahnung hat, warum der Westernreiter, obwohl sein Pferd nach außen schaut, nach innen abwendet, wird er die Übung vielleicht als rücksichtslos betiteln. Gleiches gilt für das Üben von Speed Control auf der Zirkellinie oder wenn der Westernreiter statt auf dem ersten auf dem dritten Hufschlag unterwegs ist. ,Kennt der denn die Bahnregeln nicht?‘, fragen sich dann viele Dressurreiter“, weiß Ann Katrin Querbach.
Hier hilft ein offener Austausch. Sie spricht die Unsicherheit beim Mitreiter an und erklärt oft mit humorvoller Übertreibung, was sie selbst oder der Reitschüler gerade tut und warum. Oft folge dann ein Lachen, erzählt sie, und die Situation entspannt sich wieder. „Schwarze Schafe gibt es in jeder Reitweise. Daran ist aber nicht die Reitweise schuld. Also, probieren Sie doch mal aus, in den Schuhen des Anderen zu laufen“, lautet ihr Tipp. Was machen die anderen anders, und warum? Was genau bewirkt ihre Hilfengebung? Wie unterscheidet sie sich von meiner? Gibt es vielleicht sogar Parallelen? Den Blick zu verändern sei das Wichtigste, was Menschen tun können, um mehr Ver- ständnis für ihr Gegenüber zu entwickeln, betont sie. Gut zu wissen: Möchte der Reiter eine neue Hilfe etablieren, sollte diese wirklich verstanden worden sein, bevor sie Anwendung am Pferd findet. „Leider kursieren die wildesten Hilfengebungen im Internet und Unterricht, die weder durchdacht noch zielführend sind“, bemängelt die Trainerin.
Ähnliches bestätigt Johannes Beck-Broichsitter. „Mein Vater sagte in den 90er Jahren, als sehr viele Reitweisen auftauchten und viele Reiter bei uns mit gewissermaßen verwirrten Pferden ankamen: Probieren Sie sich nicht in verschiedenen Reitweisen, lernen Sie Reiten. Heute würde man vielleicht sagen: Verwirren Sie Ihr Pferd nicht, indem Sie jeden Tag eine andere Arbeitsweise praktizieren, sondern finden Sie die richtige für sich und ihr Pferd.“ Der Experte empfiehlt, zunächst einer Ausbildungslinie zu folgen, weil der Blick über den Tellerrand nur im weiteren Ausbildungsstadium einen effektiven Mehrwert für das Training bieten könne. „Wie kann ich das Pferd bestmöglich unterstützen? Wie komme ich selber am besten zurecht? Das ist ein Entwicklungsprozess, der zu einem ganz individuellen Weg mit vielseitigen Tätigkeiten führt“, erklärt er. Seiner Meinung nach gibt es in der Arbeit mit Pferden im Prinzip nicht viel Neues. Es sei wie Johann Wolfgang von Goethe einst sagte: „Es sind nicht die Dinge, die sich ändern, sondern die Ansichten, die man davon hat. Insofern könnte man Ansichten durch Ideen zur Kreativität ersetzen. Nur hier gibt es immer wieder andere sehr gute Möglichkeiten, mit dem Pferd zu arbeiten“, so der Pferdewirtschaftsmeister. Doch im Sattel passiert es häufig, dass man sich auf seine gewohnten und erprobten Abläufe verlässt.
Kreatives Puzzle
Oft fokussiert sich der Reiter nur auf wenige Aspekte, wie den Erhalt von Linienführung und Gangart. „Reiten ist keine einfache Sportart, weil immer mehrere Sachen gleichzeitig zusammen mit dem Pferd absolviert werden müssen. Mangelt es dann noch an Konzentration oder ist der Kopf nicht frei, kann keine Kreativität stattfinden“, weiß Beck-Broichsitter. Sein Tipp: Schaffen Sie Abhilfe, indem Sie die Anforderungen im Sattel Stück für Stück steigern. „Hier hat der Ausbilder einen wichtigen Auftrag“, sagt der Experte. Er dürfe die mangelnde Kreativität nicht als Desinteresse oder Unwissenheit titulieren, sondern müsse erkennen, was gerade für den Lernenden Priorität habe und wie er ihn dazu bringen könne, mehrere Aspekte gleichzeitig zu gestalten.
Abschließend berichtet Beck-Broichsitter von einem persönlichen Aha-Erlebnis. „The Gentle Touch“-Begründer und Western-Ausbilder Peter Kreinberg sagte ihm einst: „Ich möchte, dass das Pferd in einer bestimmten Weise in einer bestimmten Phase eine bestimmte Reaktion zeigt.“ Zerlegen wir nach diesem Trainingsgedanken jede Übung in ihre Einzelteile und bauen sie als Puzzle wieder zusammen, üben wir uns nicht nur in Konzentration und Geduld. Mehr noch: Wir lernen, Probleme durch Strategie und Struktur zu lösen und den individuellen Herausforderungen der Pferde mit Kreativität zu begegnen. Haben wir richtig gut gepuzzelt, erstrahlt das Bild unseres Sportpartners in den buntesten Farben. Sprudelt jetzt Ihre Ideenflüssigkeit über?
Den kompletten Text finden Sie in der aktuellen Mein Pferd- Ausgabe.