Text: Inga Dora Schwarzer      Foto: www.Slawik.com

Eine Desensibilisierung kann dem Pferd helfen, bestimmten Reizen entspannter zu begegnen. Das gelingt aber nur, wenn der Mensch ein sehr gutes Timing hat. Ansonsten lernt es, eine angstauslösende Situation lediglich auszuhalten – und das hat Folgen

Kommunikation statt Flucht

Viele Pferde haben Angst vor einem Wasserschlauch. „In diesem Fall muss ich dem Vierbeiner erklären, dass es seine Energie nicht zur Flucht einsetzen muss. Es soll die Kommunikation mit mir als Mensch als Alternative wählen. Dafür muss ich den Reiz wieder wegnehmen, bevor es sich für die Flucht entscheidet“, erklärt die Pferdeverhaltenstrainerin Lea Dietrich. Reagiert der Reiter aber zu spät, überfordert er sein Pferd. Je mehr er es dem Reiz aussetzt, desto stärker wird seine Angst. „So lernt es genau das Gegenteil, von dem, was ich ihm beibringen möchte“, warnt sie.

Unter Stress kein Lerneffekt

Der Vierbeiner muss verstehen, dass er sich jederzeit auf seinen Menschen verlassen kann. „Doch viele Menschen unterschätzen den Stress, den ein Pferd in einer nicht einschätzbaren Situation hat, und zeigen ein übergriffiges Verhalten“, berichtet Dietrich. Sie würden die Grenzen des Pferdes nicht wahrnehmen oder respektieren, sondern sie überschreiten. „Wenn ich dem Pferd beispielsweise das Flatterband auf den Rücken klebe und es so zwinge, sich daran zu gewöhnen, führt dieses Vorgehen auf Dauer nicht zum Erfolg. Unter Stress entstehen keine Lerneffekte“, betont die Expertin.

Psychische Belastung

Lernt das Pferd, den Reiz auszuhalten, nicht aber, ihm entspannt zu begegnen, hat das extreme Auswirkungen. „Das Aushalten einer angstauslösenden Situation wird vielfach mit Entspannung verwechselt, dabei führt es in eine erlernte Hilflosigkeit. Das Tier erscheint auf den ersten Blick ruhig, steht aber unter einer enormen psychischen Belastung. Besonders solche Pferde, die ihre Angst nicht deutlich nach außen tragen, explodieren irgendwann in für den Menschen nicht nachvollziehbaren oder unvorhergesehenen Situationen“, gibt Dietrich zu bedenken. Schreckhaftes Verhalten kann folglich durch eine falsche Vorgehensweise im Gelassenheitstraining verstärkt werden.

Für Entspannung sorgen

Ein gesenkter Kopf löst eine entspannte Emotion aus. Mit einer gezielten Entspannungsübung können Reiter dieses Wissen nutzen, um das Pferd aus einem schreckhaften Verhaltensmuster zu befreien oder eine Angstsituation zu entschärfen. Die erfahrene Ausbilderin Lea Dietrich zeigt, wie es geht

Übung am Boden

Schritt 1: Stellen Sie sich am Boden neben den Pferdekopf und legen Sie eine Hand auf die Genickmuskulatur hinter den Ohren. Ihr Daumen befindet sich dabei auf einer Seite vom Hals, die restlichen Finger auf der anderen. Dort üben Sie einen leichten Druck aus. Denkt das Pferd in die richtige Richtung, also nach unten, lösen Sie den Druck sofort. Dann beginnen Sie von vorn. „Die meisten verstehen bereits in einer einzigen Trainingseinheit, was der Mensch von ihnen möchte. Bald müssen Sie nur noch Ihre Hand auf das Genick zu legen, ohne einen Druck auszuüben“, sagt Lea Dietrich. Reichen sanfte Impulse nicht aus, können Sie diese durch einen leichten Druck am Halfter mit der anderen Hand ergänzen. Dieser Druck weist dem Pferd ebenfalls den Weg nach unten.

Schritt 2: Hat das Pferd die Übung verstanden, schnallen Sie die Zügel ein, und stellen Sie sich auf Widerristhöhe neben das Pferd. Nehmen Sie beide Zügel gleichmäßig auf. Die Hände tragen Sie in der Position, in der Sie sie auch im Sattel sitzend halten würden. Dann erfolgt mit beiden Zügeln ein leichter, gleichmäßiger Impuls. Denkt das Pferd nur minimal in die richtige Richtung (nach unten), geben Sie sofort mit beiden Zügeln nach. „Bald brauchen Sie nur noch den durchhängenden Zügel leicht aufzunehmen, und das Pferd senkt den Kopf. Dabei ist es egal, ob mit oder ohne Gebiss gearbeitet wird“, erklärt Lea Dietrich.

Übung im Sattel

Können Sie die Übung gut vom Boden aus abrufen, setzen Sie sich in den Sattel und gehen wie oben beschrieben vor. Alternativ können Sie den Reiz auch auf einen leichten Schenkeldruck übertragen. Wie beim leichten Impuls am Zügel wird auch hier bald allein der Reiz in der Schenkellage genügen, und das Pferd senkt den Kopf. „So entspannt es sich für einen kurzen Moment körperlich und mental. Es kommt wieder ins Denken und kann korrekt auf die anderen Hilfen des Reiters antworten“, so die Ausbilderin.

Mehr Tipps von unserer Expertin finden Sie in der Mein Pferd November-Ausgabe.

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