Text: Inga Dora Schwarzer      Foto: www.Slawik.com

Die offene Hallentür, ein voller Trainingsplatz oder Zuschauer an der Bande: Pferde spüren, wenn dem Reiter eine Situation Stress bereitet, und reagieren dementsprechend. Wer etwas verändern möchte, sollte bei sich selbst anfangen. Dann verändert auch der Vierbeiner sein Verhalten

Stress verändert die Hilfen

Unter Stress verändert sich die Hilfengebung des Reiters. „Wir sind nicht mehr in der Lage, unsere Zügel-, Schenkel- und Gewichtshilfen so einzusetzen wie im entspannten Zustand. Meist wenden wir sie unbewusst zu stark an. Oder wir geben bestimmte Hilfen gar nicht mehr, weil wir uns der Situation ausgeliefert fühlen“, erläutert Thode. Hier zeigt sich der sogenannte Carpenter-Effekt: Das menschliche Gehirn macht in der Aktivität kaum Unterschiede, ob ein Bewegungsablauf wirklich stattfindet, also körperlich vom Menschen durchgeführt wird, oder nur in Gedanken passiert. Deshalb sendet bereits die reine Vorstellung eines Bewegungsablaufs einen Nervenimpuls an die an der Bewegung beteiligten Muskeln, sodass diese aktiviert werden – wenn auch nur in mikromotorischer Form.

Die kaum wahrnehmbaren körperlichen Veränderungen des Reiters registrieren unsere feinfühligen Pferde sehr wohl und zeigen daraufhin bestimmte Verhaltensweisen. Stellt die offene Hallentür für den Reiter eine Herausforderung dar, guckt sein Pferd dort möglicherweise häufiger oder springt sogar zur Seite. Bedeutet eine volle Reithalle Stress, läuft der Vierbeiner in dieser Situation eventuell unkonzentrierter als sonst. Ist der Reiter auf einem Ausritt durch einen entgegenkommenden Traktor irritiert, scheut sein Pferd unter Umständen. Das heißt: „Alle Themen, die wir mit unseren Pferden haben, haben immer etwas mit uns selbst zu tun. Die Tiere spiegeln uns nur“, meint die Trainerin.

 Entspannung finden

Dieses Zusammenspiel ist aber glücklicherweise keine Einbahnstraße, sondern funktioniert genauso gut andersherum. Das heißt: Atmen wir bewusst langsamer, lächeln, zählen rückwärts oder tun etwas anderes, um unsere innerliche und äußerliche Anspannung zu reduzieren, nehmen die Stresssignale, die wir an unser Pferd senden, ab. Der Körper schaltet in den Ruhe- und Erholungsmodus. Wir können wieder klarer und zielgerichteter denken, sind konzentrierter und geben unserem Pferd feinere Hilfen. Der Vierbeiner wird sich ebenfalls entspannen; es sei denn, es gibt einen anderen Stressauslöser als den Reiter auf seinem Rücken.

Dafür braucht es einen klaren Blick auf die stressige Situation, ein konkretes Ziel vor Augen und einen Handlungsplan. Wer etwas verändern möchte, aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht alleine zu seinem Ziel kommt, benötigt manchmal Hilfe von einer außenstehenden Person. Gleiches gilt, wenn der Reiter in eine Vermeidung geht, die für ihn eigentlich keinen Sinn ergibt. „Bin ich traurig, schimpfe ich mich selbst aus und führe ich negative Selbstgespräche, wenn die stressige Situation auftritt? Dann nehme ich mir Stück für Stück von etwas, worauf ich eigentlich Lust habe“, gibt die Expertin zu bedenken. Oft genügen wenige Coaching-Termine, bei denen intensiv beobachtet und nachgeforscht wird, damit am Ende ein Aha-Erlebnis steht. Wer eine Lösung für die jeweilige Herausforderung gefunden hat, kann sich ihr stellen, weil er sie jetzt als etwas Greifbares sehen kann. Dann sind plötzlich Ressourcen vorhanden, um damit umzugehen. „Ich muss als Mentaltrainer aber erkennen, wo ich eventuell nicht helfen kann, sondern an einen Experten aus meinem Netzwerk verweisen muss“, ergänzt sie.

Hilfe annehmen

Das Problem? Sich Hilfe zu holen ist vielfach mit einem Zeichen der Schwäche verbunden. Schuld daran sei unser neuronales Belohnungssystem im Gehirn, sagt die Ausbilderin, denn dieses belohne nicht das Annehmen von Hilfe. Es honoriere stattdessen die andere Seite: das Helfen selbst. Dabei wird unser Denkorgan von Botenstoffen durchflutet. Das verschafft uns ein Wohlgefühl. Bei Ersterem geschieht das nicht. Andere wiederum scheuen davor zurück, weil sie trotz in Anspruch genommener Hilfeleistung Enttäuschungen erlebt haben. „Ist etwas nicht so gelaufen, wie ich es mir gewünscht hätte, merkt sich der Körper das“, weiß die Expertin. Ebenso spielt der Wunsch nach Unabhängigkeit eine wesentliche Rolle. „Wir loben unsere Kinder dafür, dass sie etwas selbständig tun. So werden wir erzogen. Also versucht man, sich einer Herausforderung zunächst allein, ohne professionelle Unterstützung, zu stellen“, so die Mentaltrainerin. Nicht zuletzt besteht häufig die Sorge vor Veränderungen. „Es wird uns oftmals nicht beigebracht, wie gut es ist, mal etwas Neues auszuprobieren und zu spüren, dass Fehler nichts Schlimmes sind. Veränderungen bedeuten oft eine große Unsicherheit, die den Körper in eine erhöhte Alarmbereitschaft versetzt“, erklärt Thode. Ihren Kunden gibt sie in diesem Fall kleine Hausaufgaben auf. „Fahren Sie einen anderen Weg zum Reitstall, steigen Sie von der anderen Seite in den Sattel, reiten Sie ein fremdes Pferd, bestellen Sie im Restaurant ein Gericht, das Sie noch nie gegessen haben“, nennt Thode ein paar Beispiele. Oder um es mit den Worten des spätmittelalterlichen Theologen und Philosophen Eckhart von Hochheim zu sagen: „Seien Sie bereit, jeden Morgen ein Anfänger zu sein.“

Mehr Tipps vom Profi finden Sie in der aktuellen Mein Pferd- Ausgabe.

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