Text: Inga Dora Schwarzer Foto: Meike Engel
Weil er den klassischen Ausbildungswegen aufgrund seines Handicaps nicht folgen konnte, hat Timo Ameruoso seine eigene Trainingsmethode entwickelt. Er arbeitet interdisziplinär und nutzt für die Pferdeausbildung Erkenntnisse aus der Psychotherapie, der Sportwissenschaft sowie der Hirn- und Lernforschung
Der Ring markiert eine abgesteckte Fläche von circa zwölf bis fünfzehn Metern Durchmesser und dient dazu, schnelle, wirksame Aktionen und Reaktionen zu ermöglichen, die auf einer großen Koppel oder in der Halle nicht oder nur sehr schwer funktionieren würden. Denn der Mensch bewegt sich immer langsamer als das Pferd. In der Mitte ist eine kleine Fläche mit Gummimatten ausgelegt, damit sein Rollstuhl nicht im Sand stecken bleibt. Ameruoso lässt das Pferd antraben und nach einer Runde eine Drehung ausführen. Er bestimmt Tempo und Richtung, um das Emotionszentrum der Tiere, die sogenannte Amygdala, zu aktivieren. Sie ist an emotionalen Reaktionen sowie der Speicherung von Gedächtnisinhalten beteiligt. In dieser Hirnregion sitzt zudem die Angst. Das Pferd hat durch das Antreten im Trab kurz Stress, wodurch die Amygdala wie eine Art Lichtschalter angeschaltet wird. Der Richtungswechsel fungiert als Aus-Schalter.
Dann erfolgt eine Pause mit Reflexionsphase. „Das Pferd muss bei allem, was es lernt, genügend Zeit zur Verarbeitung des Neuen haben. Sonst verändert sich kein Muster im Gehirn, sondern es sieht nur rein äußerlich während der Übungsphase so aus, als ob sich etwas verändert hätte. Das Grundgesetz lautet: Wir kommen nicht von Aktion zu Aktion voran, sondern von Pause zu Pause“, schreibt er in „Zum Aufgeben ist es zu spät!“. Diese sehr grob skizzierte Trainingseinheit, in der es Wiederholungen, halbe und ganze Runden, Beschleunigung, Verlangsamung und etliche Feinheiten mehr gibt, ist auf die Psyche des Pferdes ausgelegt. „Sie hat nichts mit dem Join Up von Monty Roberts gemein, sondern dauert ohne Aufwärmen etwa fünf bis sechs Minuten. Werden längere Pausen benötigt, können diese die Einheit um weitere Minuten verlängern“, erklärt er. Die Richtungswechsel sind von der bilateralen Stimulation beeinflusst, einer Therapieform, die seit den 80er Jahren vor allem bei Patienten mit traumatischen Belastungsstörungen eingesetzt wird. Sie macht sich die Stimulation des Gehirns durch Augenbewegungen zunutze und kann dazu führen, dass die Selbstheilungskräfte des Unterbewusstseins aktiviert werden und das Gehirn belastende Ereignisse im Nachhinein verarbeitet.
Die Kontrolle zurück
„Sowohl bei den Pferden als auch uns Menschen werden Emotionen überwiegend in der rechten Gehirnhälfte verarbeitet; alles Rationale dagegen eher in der linken. Panik entsteht also immer dann, wenn die fürs Denken zuständigen Gehirnareale blockiert sind. Also müssen wir, genau wie beim Menschen auch, dafür sorgen, dass diese Areale wieder besser miteinander kommunizieren“, notiert Ameruoso in „Seitenblicke“, seinem weiteren Buch. Das gelingt durch die Handwechsel mit immer demselben Ergebnis, sagt er – mehr Ruhe und Konzentration, aber auch mehr Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit. Die Tiere erhalten wieder die Kontrolle über sich zurück. Die Probleme verschwinden.
Ein Beispiel: „Nehmen wir an, ein Pferd steht am Putzplatz nicht ruhig, sondern scharrt. Das Scharren ist eine Stressreaktion und Übersprungshandlung zugleich. Es ist der Anzeiger für das, was im Pferd vorgeht, also ein intrinsischer Mechanismus. Die Ursache sehen wir nicht. Arbeitet man das Pferd jetzt im Ring, kann man in der Regel feststellen, dass es bald brav am Putzplatz stehenbleibt, ohne dass es sich mit diesem überhaupt befasst hat. Das ist keine Zauberei, sondern eine andere Herangehensweise“, merkt der Ausbilder an. Der klassische Weg wäre, dem Pferd durch Konditionierung das Stehenbleiben beizubringen und das Scharren zu reglementieren. „Damit schalte ich aber das wichtigste Symptom aus, das ich brauche, um zu erkennen, ob es dem Pferd besser geht.“ Dieses Vorgehen ist in der Psychotherapie von Menschen nicht neu. Es gibt unzählige Personen, denen eine Therapie geholfen hat, ihre Angst vor Spinnen, um beim Anfangsbeispiel zu bleiben, zu überwinden, obwohl sie in der Zeit der Therapie nicht ein einziges Mal in Kontakt mit dem angstauslösenden Tier waren. Allein durch die veränderten Mechanismen im Gehirn platzte der umgangssprachliche Knoten von innen heraus. Bei der Konditionierung jedoch stammt die Motivation immer aus dem Außen. „Wir geben den Impuls an das Pferd, und dieses führt aus. Es gibt Belohnung oder erneute Impulse, bis das Pferd folgt oder die gewünschte Handlung zeigt. Im schlimmsten Fall dann noch Bestrafung, wenn etwas nicht gemacht wird. Das Pferd tut etwas, weil es dafür etwas bekommt oder die Strafe ausbleibt“, so Ameruoso in „Seitenblicke“. Ist das gesamte Pferdetraining darauf aufgebaut, genüge ein großer, extrinsischer Reiz, und das System breche zusammen.
Die komplette Reportage finden Sie in der aktuellen Mein Pferd- Ausgabe.