Text: Inga Dora Schwarzer Foto: imago images/ Stefan Lafrentz
Eine spektakuläre Vorderbeinaktion bezahlen die Pferde mit ihrer Gesundheit. Doch wie kommt es zu einer unnatürlichen Vorhandaktivität, und wie unterscheidet der Reiter richtig von falsch? Antworten gibt Ausbilderin Anna Jantscher
Elefanten sind die größten auf dem Land lebenden Säugetiere. Es gibt sie in Teilen Afrikas und Asiens. Doch fast könnte man meinen, sie haben auch Einzug in unsere Gefilde gehalten. Das trampelnde Geräusch stammt aber einem anderen Säugetier. „Wie oft hört man Pferde in der Reithalle trampeln? Dabei hat das Trampeln gar nicht viel mit der Masse des Pferdes zu tun, auch sehr zierliche Pferde können laut auffußen, wenn sie ihren Körper falsch benutzen“, sagt Ausbilderin Anna Jantscher, die einen Ausbildungsstall im österreichischen Ebenedt betreibt.
Tänzer oder Trampeltier?
Der Grund? „Der Winkel zwischen Oberarm und Schulter, sprich der Schultergelenkswinkel der Vorhand führt seine Feder- und Stoßdämpferfunktion nicht korrekt aus“, so die Expertin. Da der Rumpf des Pferdes nicht über knöcherne Verbindungen fixiert, sondern rein muskulär auf- gehangen ist, muss das Pferd lernen, ihn über die thorakale Muskelschlinge oben zu halten und sich über gelenksnahe Strukturen zu stabilisieren. „Ist diese thorakale Getragenheit nicht gegeben, beginnt es über kompensatorische Muster für Stabilität zu sorgen. Dies passiert zum Beispiel über das ,Ankleben‘ der Schulterblätter, Oberarme und Ellenbogen an den Rumpf“, sagt sie. Weiterhin werden sogenannte Bewegermuskeln als Stabilisatoren rekrutiert. Leider seien diese Muskeln nicht dafür ausgelegt, übersäuern und verkrampfen mit der Zeit.
All das führt unter anderem dazu, dass der Schultergelenkswinkel nicht mehr frei öffnen und schließen kann und so seine Stoßdämpferfunktion verliert. Somit wirken all die Kräfte ungebremst auf die unteren Gelenke und Strukturen. „Diese sind aber eher zum Ausgleich von Bodenunebenheiten und kleinen Korrekturen gedacht. Werden sie dauerhaft so hoher Kompression ausgesetzt, kommt es aufgrund ihrer hohen Eigenbeweglichkeit über kurz oder lang zu Schäden“, erklärt Jantscher. Das harte Auffußen ist zu hören. „Beim Bergablaufen lässt sich übrigens gut erkennen, ob das Winkelprinzip funktioniert oder eben nicht“, meint sie. Die Auswirkungen eines nicht tragfähigen Pferdes, welches sich durch Festklemmen des Rumpfes behelfen muss, seien mannigfaltig. „Sie reichen von negativen Auswirkungen auf Sehnen und Bänder bis hin zu Atemproblemen, da der Rumpf durch das starke Festklammern der Schultern extrem in seiner Ausdehnfähigkeit beschränkt wird und die Lunge nicht mehr ihr volles Potenzial ausschöpfen kann. Auch Headshaking, Stolpern und ungeklärte Lahmheiten haben oft hier ihren versteckten Ursprung“, so die Expertin. Stark angelegte oder weggedrehte Ellenbogen – je nachdem wo das Pferd begonnen hat, sich mit dem Schulterblatt zu fixieren – können ebenfalls eine Folge sein. Von vorne gesehen habe ein Pferd, das korrekt mit seiner Vorhand arbeitet, gerade aus der Schulter kommende Vorderbeine (ausgenommen natürlich knöcherne Fehlbildungen).
Natürliches Bewegungsausmaß
„Eine korrekte Vorhandaktivität lässt sich also nur erreichen, wenn das Pferd seinen Rumpf über den Hauptrumpfträger stabilisiert und die vielen Hilfsmuskeln nicht mehr als Dauerstabilisatoren braucht“, erklärt die Expertin. Gelingt dies in Zusammenhang mit einer thorakalen Stabilität unabhängig von Hals- und Kopfposition, läuft das Pferd leise, federnd, stabil und gesunderhaltend. Es ist vom Reiter angenehm auszusitzen. Er wird darüber hinaus weniger nach rechts und links gesetzt. „Die Welle des Hinterbeines kann frei nach vorne durchschwingen. Der Pferdekörper erscheint in Harmonie und das Pferd trotz des Kraftaufwandes in der Bewegung fast unangestrengt“, sagt die Ausbilderin. So bekämen auch Vierbeiner, die kleinen Kobolden oder Hunden mit kurzen Beinen ähneln, optisch längere Beine.
„Der Rumpf wird angehoben, die Schulterblätter vom Rumpf dreidimensional abgehoben und dadurch der Schultergelenkswinkel freier. So schöpfen sie ihr volles Ausmaß an Bewegung aus. Selbst- verständlich wird ein Haflinger mit kurzen Beinen, auch wenn er thorakal noch so gut getragen und faszial fit ist, nicht so weit ausschwingen können wie ein Warmblüter mit sehr langen Beinen. Aber Schulterfreiheit lässt sich bei jedem Pferd erreichen“, meint Anna Jantscher.
Mehr Informationen finden Sie in der Mein Pferd Januar- Ausgabe.