Stangenarbeit ist sinnvoll für Pferde. Aber warum überhaupt? Welche positiven Trainingseffekte bringt sie mit sich? Und wie baue ich ein Stangenworkout systematisch auf? Das erklärt Ausbilderin Ann Katrin Querbach. 

Mikado ist eines der bekanntesten und am meisten verbreiteten Geschicklichkeitsspiele. Überall auf der Welt wird mit den dünnen Holzstäbchen gespielt. Nach kurzer Aufbauzeit kann jeder sein Können unter Beweis stellen und viel Spaß haben. Ähnlich verhält es sich mit dem Stangentraining. Es bietet Reiter-Pferd-Paaren jeden Ausbildungsstandes eine Vielzahl an Möglichkeiten, um effektiv, systematisch sowie abwechslungsreich zu trainieren und dabei gemeinsam Freude zu haben. Die unzähligen Vorteile sprechen für sich.

Anstrengendes Muskeltraining

Da das Pferd seine Beine über den Stangen höher und aktiver anheben muss, ist das Stangentraining ein wirksames, aber auch anstrengendes Workout. „Ist das Pferd in einer positiven Körperspannung, und sind die Bewegungszentren von Vor- und Hinterhand korrekt positioniert und synchronisiert, kann es seine Muskulatur perfekt ausbilden“, sagt Ann Katrin Querbach, Trainerin B Westernreiten und Trainerin B Breitensport aus dem baden-württembergischen Tübingen.

Beim Überqueren der Stangen drehen die langen Muskeln der Hinterhand, unterstützt durch die Bauchmuskeln, das Becken des Pferdes nach hinten-unten. Das löst eine Kettenreaktion aus: Die Hinterhand (bestehend aus Kruppenmuskulatur, gerader und schräger Bauchmuskulatur sowie innerer Lendenmuskulatur) entwickelt aus der Schubkraft die Lastaufnahme. Die gebeugten Hinterbeine treten weiter und aktiver nach vorne unter den Schwerpunkt. Für die Übertragung der Bewegungsenergie aus der Hinterhand auf den Vorwärtsimpuls sind wiederum der Rumpfträger, der Oberhals und die geraden Bauchmuskeln zuständig. Sie heben das Brustbein und damit die Vorhand an.

Die Folge? Der Rücken wölbt sich auf, das Nackenrückenband spannt sich, Hals und Kopf senken sich. Es entsteht ein positiver Spannungsbogen im Pferdekörper, der nicht nur durch eine korrekte Bemuskelung der Ober- und Unterlinie, sondern auch durch einen aktiven, federnden Gang sichtbar wird. „Vielen Pferden erleichtert die Arbeit mit Stangen, die Muskulatur unverkrampft an- und abzuspannen und somit losgelassen unter dem Reiter zu arbeiten. Die Selbsthaltung und somit auch die Durchlässigkeit verbessern sich“, weiß die Ausbilderin.

Fehlbelastungen vermeiden

„Jedoch falsch angewandt, kann sie diese auch zusätzlich verschlimmern. Fehler, die im Vorfeld im Kleinen zu sehen waren, werden über den Stangen sehr deutlich“, warnt Querbach. Zeigt das Pferd Defizite im Bewegungsablauf, könnten sich durch das Training falsche Muskelgruppen ausbilden und durch die fehlende Federung Sehnen und Gelenke überlastet werden.

Dazu gibt die Expertin ein Beispiel: „Hängt die Vorhand passiv gesenkt, dehnt sich zwar auch der Hals vorwärts-abwärts, jedoch kann sich das Brustbein nicht mehr heben. Muss das Pferd nun über eine Stange oder eine Unebenheit treten, hilft der Unterhalsmuskel mit, um die Vorhand anzuheben. Dies erkennt man z.B. an einem plötzlich hochschnellenden Kopf bei Übergängen oder dem Beginn des Stangentrainings. Der Rücken sinkt ab und das Pferd verspannt sich.“

Vorteile für den Reiter

Auch der Reiter profitiert davon. „Sie wirkt nicht nur im Pferdekörper wie ein Beschleuniger, sondern auch beim Reiter. Das heißt: Fehler, die es vor der Stangenarbeit gab, zeigen sich über den Stangen noch deutlicher. Sind wir als Reiter reflektiert, hilft sie uns, unsere Fehler zu bemerken und somit unsere Reiterei zu verbessern“, weiß Querbach. Hilfen müssen nämlich beim Überwinden von Bodenhindernissen exakt und punktgenau gegeben, fein dosiert und im richtigen Moment zurückgenommen werden.

Der Mensch im Sattel lernt weiterhin, besser zu fokussieren, vorausschauend zu reiten, ausbalanciert zu sitzen und locker in positiver Spannung im Sattel mitzuschwingen. Er entwickelt ein Gefühl für korrekte und gleichmäßige Bewegungsabläufe (u.a. aktive Hinterhand, aufgewölbter Rücken) und Distanzen. Das alles wiederum stärkt die Kommunikation zwischen ihm und seinem Pferd. Für das Workout sollten die Stangen etwa eine Länge von 3 bis 3,5 Metern und einen Durchmesser von ca. acht bis zehn Zentimetern haben. „Am besten sind ganze Stangen geeignet, aber auch Bodenricks aus Plastik oder mit kleinen Holzblöcken unterlegt können verwendet werden“, so die erfahrene Expertin. Um das Training zu intensivieren, können die Hindernisse erhöht werden. Dafür lassen sich verschiedene Hilfsmittel verwenden. „Ob Cavalettiblöcke oder Kindertöpfchen: Wichtig ist, dass die Stangen nicht wegrollen können, sie aber auch nicht fest verankert sind“, meint Querbach. Einseitig außen erhöhte Stangenstärken kräftigen den äußeren Schultergürtel, helfen dem Pferd, die äußere Schulter anzuheben, stabilisieren die Körperaußenseite und unterstützen die Geraderichtung. Einseitig innen erhöhte Stangen helfen dem Pferd hingegen, die innere Schulter anzuheben und die Biegung zu verbessern.

Verlässt Ihr Pferd häufig den gewählten Weg, legen Sie einseitig im Wechsel links und rechts erhöhte Stangen auf den Boden. „So entstehen, von vorne betrachtet, optisch Kreuze, die es zur Einhaltung der Mitte auffordern. Zugleich fällt dem Reiter das Einrahmen hierbei deutlich leichter“, merkt die Ausbilderin an. Um von flach gelegten Stangen zu beidseitig erhöhten Stangen zu wechseln, sei dies außerdem ein guter Zwischenschritt.

Bei beidseitig erhöhten Stangen sollte der Ausbildungsstand des Pferdes bereits fortgeschritten sein. „Hierbei verbessert sich die Kadenz und die Muskelketten der unteren Verspannung werden stärker aktiviert. Die Hinterhand kippt deutlicher ab und die Vorhand muss sich mehr anheben“, so die Trainerin. Die Ziele Konditions- und Muskelaufbau stünden hierbei noch stärker im Vordergrund. Einen hohen Anspruch an die Koordination stellen vor allem Stangen dar, die auf einer gebogenen Linie, schräg oder über die Spitzen eines Drei- oder Vierecks angeritten werden.

Richtiges Anreiten

Bevor es an den Aufbau geht, ist es nicht nur ratsam, dem vierbeinigen Sportpartner einen geeigneten Beinschutz (z. B. Gamaschen) anzulegen, sondern auch genau zu wissen, wie Schritt-, Trab- und Galoppstangen korrekt überwunden werden. Dann kann der Einstieg in das Training mit Schrittstangen erfolgen.

Diese sollten der Schrittlänge des Pferdes individuell angepasst und so platziert werden, dass es mittig zwischen die Stangen treten kann. „Um herauszufinden, ob die Abstände wirklich passen, können Sie nah an den Stangen vorbeireiten oder sich von einem Helfer unterstützen lassen.“ Das Überqueren geschieht im Idealfall in Dehnungshaltung. Begleiten Sie Ihr Pferd mit einem leicht anstehenden bis hingegebenen Zügel. Schauen Sie über die Stangengasse hinweg und schwingen Sie locker und elastisch in der Mittelpositur mit, empfiehlt Querbach. So können sich Verspannungen lösen, fleißiges und raumgreifendes Schreiten sowie die verschiedenen Schritt-Tempi (Mittelschritt, starker Schritt und versammelter Schritt) erarbeitet werden. Achten Sie auf gleichmäßige, gelassene und zugleich fleißige Bewegungen. „Das korrekte Tempo ist je nach Ausbildungsstand und Körperbau unterschiedlich.“ Je besser trainiert das Pferd ist, desto leichter lässt sich der Rahmen verkleinern. Das Pferd kann die Hanken stärker beugen und somit kompakter werden, erläutert sie. Dann könnten engere Abstände gelegt werden. „Wählen Sie diese aber erst, wenn Ihr Pferd auch die nötige Kraft dazu hat“, merkt die Ausbilderin an. Das gilt im Trab und im Galopp gleichermaßen. Im Zweitakt unterstützen die Stangen das Pferd vor allem dabei, ein gleichmäßiges Grundtempo über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten, die Schwebephase zu verlängern und den Rücken aufzuwölben. Genau das fällt vielen Vierbeinern schwer. Oft zeigen sie einen zu eiligen oder schleppenden Bewegungsablauf mit festgehaltenem Rücken, so Querbach. Weiterhin fördern Trabstangen das Bewegungsgefühl, die Balance und die Aufmerksamkeit. Außerdem wird die Hinterhand aktiviert. „Je nachdem, wie der Abstand der Stangen gewählt wird, können Takt und Raumgriff oder Kadenz und Aktivität verbessert werden“, sagt Querbach.

Auf gebogenen Linien

Auf gerader Linie sind Trabstangen für den Reiter vergleichsweise einfach zu reiten, für das Pferd stellen sie aber eine nicht zu unterschätzende, muskuläre Anstrengung dar. „Hat das Pferd z. B. auf einer Seite einen schwächeren Schultergürtel, wird es automatisch, sobald es die Kraft verliert, auf diese Schulter fallen, die Mitte der Stangengasse verlassen und/oder an den Stangen mit den Vorderbeinen anstoßen“, weiß die Expertin.

Insbesondere bei Übungen auf gebogenen Linien zeigt sich schnell, welche Seite des Pferdes die stärkere ist. Auch für den Reiter im Sattel stellen Wendungen mit Bodenhindernissen eine Herausforderung dar. Sie sind durch das ständige Lenken sowie die Aufrechterhaltung der Biegung schwieriger auszuführen. Beim Überwinden von Galoppstangen ist es genau andersherum. Der Grund? Viele Pferde erhöhen auf der Geraden ihr Tempo und stehen nicht mehr korrekt an den reiterlichen Hilfen. „Hier können Volten helfen, die vor und nach den Stangen geritten werden, um das Pferd wieder an die Hilfen zu stellen“, sagt Querbach. Sie empfiehlt aber den Einstieg im Dreitakt auf gebogenen Linien. Reiten Sie dabei jeden Galoppsprung so als wäre es der erste. Wichtig ist, dass die Stangenabstände exakt an die Länge des Galoppsprungs angepasst sind. „Viele Pferde strecken sich über der Stange oder dem Bodenrick und hechten regelrecht darüber. Somit passen die Abstände bei den darauffolgenden Stangen nicht mehr.“ Für das gesamte Workout, das ein bis drei Mal pro Woche stattfinden kann, ist Augenmaß gefragt. Für gut gymnastizierte, trainierte Vierbeiner gilt nach der Aufwärmphase eine Dauer von drei- bis viermalig fünf Minuten mit kleinen Pausen, bei routinierten Stangenworkout-Profis ca. 15 bis 20 Minuten am Stück als angemessen. Dabei kann der Reiter in allen Gangarten aussitzen. Für junge, unerfahrene oder untrainierte Pferde fällt die Arbeit deutlich kürzer aus. Sie sollten die Bodenricks zudem in Dehnungshaltung und mit einem Reiter im Entlastungssitz überwinden dürfen.

Leistung einschätzen

Der Aufbau sollte so gewählt werden, dass er die Entwicklung des Pferdes weiter fördert. Noch mehr als sonst muss der Reiter die Leistungsfähigkeit seines vierbeinigen Sportpartners richtig einschätzen können. Deshalb rät die Expertin, die Übungen systematisch aufzubauen, sich an die Anzahl und Höhe der Stangen langsam heranzutasten und den Schwierigkeitsgrad nur allmählich zu steigern.

Dann käme es nicht zu Anzeichen von Überforderung oder Müdigkeit, die sich individuell unterschiedlich äußern. „Die einen fangen an zu stolpern, da ihnen die Kraft ausgeht, um das vordere Bewegungszentrum anzuheben. Andere werden schneller, da die Kraft der Muskelketten ausgeht. Wieder andere werden langsamer und bleiben mit den Hinterbeinen an den Stangen hängen. Jedoch sollten wir als Reiter es niemals soweit kommen lassen“, mahnt sie an. Der beste Zeitpunkt, um das Training zu beenden, sei immer der Höhepunkt. Habe das Pferd z. B. eine Stangenreihe, ohne anzustoßen und in einer schönen Manier überwunden, sei es Zeit, die Einheit mit einem guten Gefühl zu beenden. Dann werde das Pferd beim nächsten Mal umso motivierter sein, so die Ausbilderin abschließend.

Text: Inga Dora Schwarzer         Foto: Pferdefotografie Lafrentz

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