Text: Aline Müller Foto: AdobeStock/vprotastchik
Die „küssenden Dornfortsätze“ betreffen den besonders empfindlichen Teil des Pferderückens: die Wirbelsäule. Auch wenn Kissing Spines von vielen Reitern als Schockdiagnose empfunden werden, kann über ein gezieltes Rücken- und Muskelaufbautraining häufig viel erreicht werden
Die Wirbelsäule des Pferdes besteht aus sieben Hals-, 18 Brust- und sechs Lendenwirbeln. Jeder Wirbel hat einen nach oben hin ausgebildeten Dornfortsatz, im Englischen „Spine“ genannt. Die Dornfortsätze sind im vorderen Bereich der Wirbelsäule leicht nach hinten gewinkelt, im hinteren Bereich hingegen leicht nach vorne. Ungefähr auf Höhe des 14. bis 16. Brustwirbels findet dieser Richtungswechsel statt. In diesem Bereich sitzt der Reiter. Vom Nacken bis zum Kreuzbein erstreckt sich das Nacken-Rücken-Band, welches auf den Dornfortsätzen aufliegt. Zwischen den Dornfortsätzen befindet sich normalerweise ein kleiner Abstand. Als „Kissing Spine Syndrom“ wird die knöcherne Veränderung der Dornfortsätze bezeichnet.
Die Dornfortsätze einzelner Wirbel berühren oder überlagern sich. Das betrifft besonders häufig den Bereich vom zwölften bis zum 18. Brustwirbel, also den Bereich der Sattellage. Die Veränderungen wirken sich besonders stark auf die Mechanik der Wirbelsäule aus, je mehr Dornfortsätze involviert und je hochgradiger die Veränderungen sind. Zudem kann es im weiteren Verlauf zu Veränderungen der Verbindungsgelenke der Wirbel (der kleinen Wirbelgelenke) kommen. Arthrose und Spondylose der Rückenwirbel können die Folge sein.
Mögliche Ursachen
Die Wirbelsäule stellt eine Schwachstelle im Körper des Pferdes dar. Das liegt da- ran, dass die Natur nicht geplant hat, dass ein Reiter auf dem Rücken des Pferdes Platz nimmt. Die Wirbelsäule ist eine Hängekonstruktion. Sie ist lediglich an den Gliedmaßen der Vorder- und Hinterhand aufgehängt und der Reiter sitzt genau auf dem „schwebenden“ Abschnitt. Die meisten Wirbelsäulenerkrankungen entstehen durch falsches Reiten, wobei die meisten Rückenprobleme in der Muskulatur beginnen. Ist das Pferd zum Beispiel nicht in der Lage, seinen Rücken während des Reitens aufzuwölben, weil die Haltevorrichtung des langen Rückenmuskels noch nicht stabil genug ist, dann drückt es den Rücken weg beziehungsweise nach unten durch. Infolgedessen nähern sich die Dornfortsätze mit der Zeit immer weiter einander an. Auch angeborene Fehlstellungen, ein Mangel an Kondition, unpassende Ausrüstung sowie generell Fehl- und Überbelastungen über einen längeren Zeitraum können zu Berührungen der Dornfortsätze führen.
Das Aneinanderreiben verursacht Schmerzen und Entzündungen der Knochenhaut. Das Pferd versucht, durch Anspannen der Rückenmuskulatur diesem Schmerz zu entgehen. Häufig nimmt es dabei eine falsche Kopf- und Halshaltung ein. Manche Vierbeiner werden widersetzlich. Sie sind nicht mehr in der Lage, im Rücken zu schwingen. Es entsteht ein Teufelskreis: Die Falschbeanspruchung des Rückens führt zu einer Verschlimmerung der Veränderungen an den Dornfortsätzen und das Pferd entzieht sich mehr und mehr der Hilfengebung.
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