Text: Redaktion    Foto: www.Slawik.com

Faszinierend, mit welchen Fähigkeiten Pferde von der Natur ausgestattet wurden. Pferde hören Geräusche nicht nur früher als Menschen, sondern können diese auch genau orten. Dabei helfen ihnen in alle Richtungen bewegliche Ohren – die sie bei Bedarf auch einfach ganz verschließen können 

Stellen Sie sich einmal vor, Sie sitzen am Frühstückstisch, trinken Ihren Kaffee und lesen dabei die Zeitung. Das Fenster ist geöffnet, plötzlich knackt draußen ein Zweig. Und? Vermutlich werden Sie das Geräusch nicht einmal registrieren, geschweige denn darauf reagieren. Oder Sie nehmen es nebenbei wahr, haken es aber direkt ab. Bei Pferden ist das komplett anders. Ihr Gehör ist feiner und besser ausgeprägt; selbst beim Fressen oder Dösen nehmen sie jede noch so kleine Veränderung wahr. Sie reagieren deutlich sensibler auf – für uns unhörbare – Schwingungen und ordnen diese in Sekundenschnelle ein. Der Grund liegt einmal mehr darin, dass Pferde Fluchttiere sind, für die es früher in der Steppe darum ging, Raubtiere frühzeitig zu erkennen. So kann das verdächtige Knacken eines Zweiges das erste Anzeichen einer Gefahr sein, vor der sie blitzschnell reißaus nehmen mussten. Dafür können ihre Ohren einiges, was unsere nicht können.

Pferdeohren: Echte Allrounder

Zu den wichtigsten Funktionen gehört dabei ihre Beweglichkeit. Pferde haben ein Rundumhörvermögen von 360 Grad ohne taube Bereiche. Das ist nur möglich, da die Ohren mit 16 Muskeln ausgestattet sind, die es ihnen ermöglichen, sich in fast alle Richtungen zu drehen – und das bis zu 180 Grad und unabhängig voneinander. Wer ein Pferd längere Zeit beobachtet, wird feststellen, dass es die Ohren immer in die Richtung bewegt, aus der ein Geräusch kommt. Dabei ist es egal, ob dieses Geräusch vor, neben, über oder hinter ihm ist. So empfängt es viele verschiedene Tonschwingungen, die es bewertet. Dabei geht es auch darum, wie unterschiedlich die Geräusche in jedem Ohr ankommen und ob es eventuelle zeitliche Unterschiede zwischen beiden Ohren gibt. Das Pferd entscheidet nun, ob das Geräusch gefährlich oder interessant ist; im ersten Fall ergreift es die Flucht oder scheut, im zweiten Fall wird es seinen Kopf oder sogar seinen ganzen Körper in die Richtung der Geräuschquelle drehen. Dieses Phänomen wird als Preyer Reflex bezeichnet. Möchte es das Geräusch nicht hören oder seine Ruhe haben, legt es seine Ohren ganz flach an.

Unhörbare Frequenzen

Die Töne werden in Form von Schall über die Ohrmuschel aufgenommen und anschließend vom Trommelfell zum Mittelohr weitergeleitet. Hier werden sie auf die Gehörknöchelchen übertragen und wiederum weiter zum Innenohr geleitet – zu den  Hörzellen, die die Information über den Hörnerv ans Gehirn senden. Im Vergleich zum Menschen haben Pferde ein deutlich besseres Hörvermögen, sie nehmen bis zu 32.000 Hertz wahr. Zum Vergleich: Der Mensch hört nur 16.000 Hertz, Hunde und Katzen sogar 50.000. Die Spitzenreiter in der Tierwelt sind die Fledermaus (150.000 Hertz) und der Delfin (200.000 Hertz). Der Ultraschallbereich beginnt bereits bei etwa 20.000 Hertz und ist für Menschen somit nicht mehr wahrnehmbar. Mit Ultraschall vertreibt man zum Beispiel Maulwürfe; die extrem hohen Töne können bei Pferden jedoch Ängste auslösen. Tiefe Töne in niedrigen Frequenzen hören Pferde zwar, reagieren allerdings weniger aufmerksam als bei höheren Frequenzen.

Wenn Pferde Geräusche und Töne hören und bewerten, findet im Gehirn unmittelbar ein Filterungsprozess statt. Sie reagieren nur auf Geräusche, die sie als bedeutungsvoll einstufen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Erinnerung und Erfahrung: Stuten können ihre Fohlen an der Stimme erkennen, genauso wie sich Herdenmitglieder anhand der Stimme untereinander identifizieren. Sie verständigen sich über Wiehern, Schnauben und Grunzen – auch über größere Entfernungen. Auch im Umgang mit Menschen speichert das Pferd bestimmte Töne ab. Dazu gehören die Stimmen von Bezugspersonen, bestimmte Kommandos und Clicker. Sie sind in der Lage, Bezugspersonen an ihrem Gang zu erkennen. Beim Clickertraining wird das metallische Geräusch des Clickers mit Futterlob gekoppelt, was Pferde sehr schnell lernen können. Auch an potenziell bedrohliche Geräusche wie das Flattern von Plastikplanen oder Motorengeräusch kann sie mit der Zeit gewöhnen. Pferde können bestimmte Schwingungen nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit den Hufen wahrnehmen. Sie registrieren früh, wenn andere Herdenmitglieder vor einer Gefahr fliehen, und sind auch in der Lage, Erdbeben vorher zu spüren. Das führt auch zu den Reaktionen, von denen man immer wieder liest oder hört: Die Pferde brechen in panischer Angst von der Koppel aus oder treten gegen ihre Boxentür, um zu fliehen. Wenn Menschen so ein Verhalten bei ihrem Pferd beobachten, sollten sie auf jeden Fall aufmerksam sein – die Bedrohung, vor der das Pferd Angst hat, kann auch für sie gefährlich werden.

Weitere Informationen finden Sie in der  Mein Pferd-Ausgabe 01/2021.

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