Der Schritt ist für viel mehr als nur zum Aufwärmen oder Cool-down des Pferdes gut. Gerade weil das Schrittreiten anscheinend bei vielen Reitern an Bedeutung verloren hat, wird es Zeit, mit Vorurteilen aufzuräumen und die Möglichkeiten, die diese Grundgangart bietet, wieder mehr ins rechte Licht zu rücken.
Der Schritt ist die Mutter aller Gangarten“, hat einst der berühmte Reitmeister François Baucher gesagt. Gleichzeitig ist der Schritt aber auch die empfindlichste Gangart und wesentlich störanfälliger als Trab oder Galopp. Durch Schwung beziehungsweise Geschwindigkeit kann hier nichts kaschiert werden. „Schrittreiten ist sehr wichtig – vorausgesetzt, es wird richtig gemacht. Allerdings kann der Reiter dabei auch viel falsch machen, und einmal eingeschlichene Probleme sind schwieriger zu lösen“, betont die Dressurausbilderin Dr. Britta Schöffmann. Im Trab und im Galopp könne durch energisches Vorwärtsreiten Schwung geholt sowie Fleiß, Takt und Anlehnung wieder hergestellt und gefestigt werden. Im Schritt, der ja eine schwunglose Gangart ist, also ohne Moment der freien Schwebe, ginge das nicht. Mangelnde Losgelassenheit und Spannung wirken sich sofort negativ auf die Qualität des Schritts aus, egal ob physisch oder mental bedingt. Besonders deutlich zeigt sich das häufig in Dressurprüfungen auf dem Turnier. Nach Beendigung des Stressfaktors „Aufgabenreiten“ zeigen Pferde plötzlich wieder schreitende Bewegungen am hingegebenen Zügel, ohne anzuzackeln oder sich zu verspannen.
Schritt: Ein wichtiger Indikator
„Ich erlebe häufig, dass Reiter den Schritt unterbewerten“, gibt die klassische Dressurausbilderin Nicole Künzel zu bedenken und fügt hinzu: „Für mich ist diese Gangart allerdings ein wichtiger Indikator für die physische und mentale Losgelassenheit des Pferdes.“ Ein gelassenes Pferd, das sich unter dem Sattel wohlfühlt, bewegt sich im Schritt fleißig, ohne zu eilen, im klaren Viertakt. Viele Reiter nutzen den Schritt vor allem zum Aufwärmen und zum Cool-down des Pferdes nach dem Training. Am hingegebenen Zügel wird zu Beginn Runde um Runde auf dem Viereck gedreht, bis mit dem Antraben das eigentliche Training beginnt. Ein Grund dafür könnte sein, dass so mancher Reiter gelernt hat, das Pferd im Schritt möglichst immer – also nicht nur beim Aufwärmen – in Ruhe zu lassen, um den Takt nicht zu stören. Mit der Befürchtung im Hinterkopf, dass etwas schiefgehen könnte, wird im Schritt nicht wirklich geritten, sondern einfach nur versucht, das Pferd irgendwie in der Gangart zu halten. Dabei beinhaltet jede seriöse Trainingseinheit unvermeidbar mehrere Schrittreprisen, sowohl als Trainingsbausteine als auch als kurze Pausen. Jedoch weist Britta Schöffmann deutlich daraufhin, dass falsches Treiben oder eine unruhige Handeinwirkung tatsächlich schnell zu Problemen führen können. Sie rät zu Beginn einer Trainingseinheit im wahrsten Sinne des Wortes erst einmal die Finger von den Zügeln zu lassen, damit das Pferd am hingegebenen Zügel absolut zwanglos mit entsprechend langem Hals gehen kann. Sei das Pferd jedoch sehr energiegeladen oder schreckhaft, dann sollten diese sicherheitshalber etwas aufgenommen werden.
Takt und Rhythmus erhalten
„Eigentlich beginne ich mit allen Pferden im Schritt mit hingegebenem Zügel, dann nehme ich nach einigen Runden so langsam die Zügel auf, zunächst nur bis zu einer beginnenden Anlehnung mit weitem Rahmen“, erklärt Britta Schöffmann und fügt hinzu: „Wichtig ist mir beim Zügelaufnehmen, dass nicht nur der Takt, sondern auch der Rhythmus erhalten bleibt.“ Das Pferd sollte weder eiliger noch langsamer werden, nicht zackeln und nicht stocken. „Das können Sie üben, denn letztlich liegt es in der Konzentration des Reiters, auf kleinste Veränderungen umgehend mit ein wenig mehr Treiben oder etwas mehr Parieren zu antworten“, so unsere Expertin. Wer darauf achtet, wird merken, dass sich das Pferd so schon beim Annehmen der Zügel willig bei sich leicht wölbendem Hals an das Gebiss herandehnt. „Das ist Voraussetzung für einen guten Mittelschritt und später auch für sämtliche Tempo-Variationen im Schritt“, sagt die Dressurausbilderin. Die ersten Minuten im Schritt sind zudem ideal dazu geeignet, die Tagesform des Pferdes zu erfühlen. Ist es womöglich physisch oder mental angespannt? Ist es konzentriert oder lässt es sich leicht ablenken? Nimmt es die Hilfen an oder reagiert es mit Abwehr? Dehnt es sich vertrauensvoll an das Gebiss oder geht es womöglich gegen die Hand und drückt den Rücken weg
Text: Aline Müller Foto: www.Slawik.com