Interview: Inga Dora Schwarzer         Foto: Getty Images/Cavan Images RF

Pferde sind Steppen-, Herden, Flucht- und Beutetiere und zeigen dementsprechende Verhaltensweisen. Für den Reiter ist es wichtig zu verstehen, warum es so und nicht anders reagiert. Je mehr er über die Bedürfnisse weiß, desto eher kann er unerwünschtes Verhalten verhindern und für Wohlbefinden sorgen. In einer achtteiligen Interviewreihe mit Verhaltenstherapeutin Susanne Grun (www.horselearningbysusn.com) schauen wir uns nach und nach verschiedene Verhaltensweisen genauer an – dieses Mal steht Komfortverhalten im Fokus.

 

Welche Verhaltensweisen gehören dazu?

Hierzu zählen alle Verhaltensweisen, die mit der Körperpflege und dem Wohlbefinden zu tun haben. Angefangen vom Wälzen bis hin zum Scheuern und Kratzen an Ästen oder anderen Gegenständen. Auch das Wasserplanschen zählt für viele Pferde zur Befriedigung des Bedürfnisses nach Komfort und Wohlbefinden.

Welche Bedürfnisse muss der Mensch erfüllen?

Eine artgerechte Haltung von Pferden ist schon ein sehr guter Beitrag, um das Pferd in seinem Bedürfnis nach Komfort und Wohlbefinden zu unterstützen. Artgerecht ist die Haltung in der Herde im genügend groß angelegten Auslauf. Auf diesem Auflauf müssen neben ausreichend Fress- und Trinkplätzen auch ausreichend Wälz- und Scheuermöglichkeiten zur Verfügung stehen. Nur dann ist eine Haltungsform verhaltensgerecht, wenn es den Bedürfnissen des Pferdes in jedem Funktionskreis entspricht. So eben auch dem Komfortverhalten.

Ein solcher Wälzplatz sollte etwa 5 x 5 Meter Fläche aufweisen und jederzeit nutzbar sein, was ggf. eine Überdachung fordert. Ein guter Bodenbelag dafür wäre Sand. Das Bedürfnis, sich zu wälzen, ist beim schweißnassen Pferd besonders groß. Deshalb ist es mir wichtig, und das empfehle ich auch immer, die Pferde nach der anstrengenden Arbeit wälzen zu lassen. Lieber in der Halle oder auf dem Platz als dann in kleinen Boxen, wo es dann eventuell festliegt. Das Wälzen selbst hat nicht nur einen positiven, psychischen Effekt, sondern auch den Vorteil, dass sich das Pferd so selbst von Schweiß befreit und „trocknet“.

Auch das Scheuern an einem festen Gegenstand ist ein Bedürfnis des Pferdes. Sie scheuern sich zwar auch an Stallwänden und Zaunlatten, schonender für die Stall-/Weideeinrichtung sind jedoch speziell dafür vorgesehene Scheuervorrichtungen. Das kann ein Baum sein oder ein eigens dafür tief im Boden verankerter Scheuerpfahl aus Holz oder mit Bürsten. Wichtig ist hier (ich sehe es oft anders), dass die Pferde bestenfalls gar kein Halfter, auf gar keinen Fall aber ein zu weit eingestelltes Stallhalfter tragen. Wenn im Auslauf Halfterpflicht besteht, so empfehle ich immer Halfter, die bei Überbelastung reißen. Hier besteht sonst die Gefahr, dass sich das Pferd beim Scheuern festhängt, in Panik gerät und stark verletzt.

Das Bedürfnis der gegenseitigen Fellpflege zwischen Artgenossen dürfen wir auch nicht außer Acht lassen. Diesem Bedürfnis können die Pferde nur dann gerecht werden, wenn sie die Möglichkeit dazu haben – ergo in der Gruppe gehalten werden.

Was passiert, wenn diese Verhaltensweisen nicht ausgelebt werden können?

Hier ist ganz klar zu sagen: Wenn sich das Pferd nicht wohl fühlt und es sein Komfortverhalten nicht vollends ausleben kann, wird das unweigerlich irgendwann zu echten Problemen führen. Das sind dann u.a. die sogenannten Problempferde, die ich zur Therapie bekomme. Ein Pferd, das keine Möglichkeit bekommt, sich nach der Arbeit oder nach einem Regenguss zu wälzen, wird das dann in seiner Box tun – und wahrscheinlich festliegen oder sich verletzen. Ein Pferd, dass sich nicht an der Schweifrübe scheuern kann oder am Bauch kratzen kann, macht das vermutlich beim nächstbesten Gegenstand – ob dieser nun scharfkantig ist oder nicht, kann das Pferd nicht einschätzen. Generell ist ein Pferd, das sich unwohl fühlt, frustriert. Vielleicht möchte es sich dann wälzen, wenn wir im Sattel sitzen – enorm gefährlich! Oder es scheuert sich an uns – auch hier kam es schon zu Verletzungen des Menschen. Zu erwähnen ist übrigens auch: Wenn sich das Pferd nicht wohlfühlt, lernt es auch nicht, kann sich schlecht konzentrieren und hört uns nicht mehr zu. Es ist viel zu viel damit beschäftigt, seinem Bedürfnis nach Wohlfühlen irgendwie nachzukommen, sodass es keinen Sinn macht, mit so einem Pferd zu arbeiten.

Wie kann sich der Mensch dieses Verhalten zu Nutze machen?

Jedes Verhalten, das beim Pferd zu beobachten ist, wurde eigentlich immer durch den Wunsch initiiert und motiviert, den eigenen Zustand zu optimieren, das Wohlbefinden zu steigern, die Komfortzone zu erhalten. Auf Grundlage des dem Pferd ja angeborenen Prinzips von Bedarfsdeckung und Schadensvermeidung funktioniert mein Erziehungselement „Feedback“ (Lob und Tadel). Unsere Pferde tun bestimmte Dinge nicht auf Kommando, weil sie uns so sehr lieben oder weil sie uns als Chef anerkennen. Sie reagieren auf bestimmte Signale, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass es sich für sie ganz individuell lohnt, darauf zu reagieren. Das Pferd ist ein Harmonietier, es sucht keinen Konflikt, sondern möchte seine Aufgabe immer bestmöglich erfüllen.

Auf der anderen Seite muss es wissen, woran es ist, was in der Arbeit mit uns oder im Umgang richtig oder falsch ist. Rempelt es mich an, ignoriere ich das nicht, sondern tadle mit entsprechendem Tonfall ganz klar. Für mich bedeutet das in Sachen Erziehung des Pferdes: Es muss einfach lernen, was im Umgang mit uns Menschen oder bei der Arbeit richtig (erwünscht) und falsch (unerwünscht) ist. Das heißt nicht, dass ich das Pferd für einen  vermeintlichen Fehler in der Ausführung tadle. Pferde machen keine Fehler, sie reagieren ja nur auf meine Frage (Hilfe, Geste). Diese habe ich dann falsch gestellt. Der Fehler liegt also bei mir.

Lobe ich mein Pferd, mache ich mir das Bedürfnis nach Nähe, Berührung und Harmonie zu Nutze. Ich lobe mit meiner Stimme, freue mich unbändig über das Gezeigte, kraule mein Pferd an der Mähne oder am Widerrist. Ich habe in all den Jahren die Erfahrung gemacht, dass die Pferde diesem Gefühl, dem Lob, nacheifern und immer danach streben, es zu erhalten. Echte Harmonietiere eben.

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