Text: Kerstin Börß     Foto: The Asahi Shimbun via Getty Images

Kein einziges Rennen konnte Haruurara für sich entscheiden. Trotzdem – oder vielleicht genau deswegen – entwickelte sich die Stute in ihrem pinkfarbenen Rennoutfit zum beliebtesten Pferd Japans.

Wer Berühmtheit erlangt und sogar zum Liebling einer ganzen Nation aufsteigt, der hat meistens große Erfolge vorzuweisen. Das gilt für berühmte Menschen genauso wie für Rennpferde. Doch so ganz pauschal lässt sich das dann doch nicht sagen – das zeigt die Geschichte der Stute Haruurara. Aus dem Japanischen ins Deutsche übersetzt bedeutet ihr Name so viel wie „lieblicher Frühling“. Und kaum ein anderer Name wäre treffender gewesen. Schließlich war das Schicksal des Pferdes so gut wie besiegelt, bevor es seinen zweiten Frühling erlebte. Als Haruurara 1996 auf der nordjapanischen Insel geboren wurde, war sie ein schwaches Fohlen. Somit fand sich landesweit auch kein Käufer für das Pferd. Doch Züchter Nobuta Bokujo glaubte an seine Stute und bildete sie zusammen mit dem ehemaligen Jockey Dai Muneishi einfach selbst aus. Der Karrierestart gestaltete sich dann jedoch – mild ausgedrückt – äußerst holperig. Denn egal, auf welcher Galopprennbahnen Japans das englische Vollblut auch antrat, und ganz egal, wer die gegnerischen Pferde waren, Haruurara konnte einfach nicht gewinnen. Grund dafür soll unter anderem Lampenfieber gewesen sein; so bekam sie vor den Wettkämpfen angeblich nicht einmal eine Möhre herunter. In über 100 Rennen lief die Stute in ihrer Karriere niemals als erstes Pferd über die Ziellinie. Der Weg zum Schlachthof schien vorgezeichnet. Aber es geschah ein Wunder. Möglich wurde dieses durch die Liebe einer ganzen Nation.

In Japan sprach man in dieser Zeit – Anfang des 21. Jahrhunderts – wegen der wirtschaftlichen Situation des Landes vom verlorenen Jahrzehnt – die Arbeitslosenzahlen waren immens hoch, den Menschen fehlte es an Hoffnung. Besonders in den Regionen abseits der Städte war die Stimmung schlecht. Auch für die Veranstalter von Pferderennen in ländlichen Ecken des Landes waren die Zeiten nicht rosig. Doch ausgerechnet Haruurara brachte Hoffnung. Das erfolglose Galopprennpferd, das niemals gewann, aber auch niemals aufgab, traf den Zeitgeist der Nation und wurde zu ihrem Idol. Auf den letzten Sitz gefüllte Reisebusse fuhren zu den Rennbahnen. In dieser Zeit verwandelten sich die Galopprennen in ein Spektakel – das Zentrum des Interesse war dabei jedoch nicht mehr das siegende Pferd, sondern immerzu Haruurara. Das pinke Rennoutfit der Stute mitsamt Hello-Kitty-Motiven wurde dabei schnell zum Wiedererkennungsmerkmal der Stute. Auch Journalisten aus aller Welt interessierten sich schon bald für das Pferd. Es wurden Mangahefte mit Haruurara als Titelheldin gedruckt, und aus ihrem Schweifhaar wurden Glücksbringer geflochten. Der Pferderennveranstalter war vor dem Bankrott bewahrt, und für Haruurara ging es statt auf den Schlachthof direkt auf die Kinoleinwand. In einem Dokumentarfilm wurde Haruurara als der schillernde Star unter den Verlierern gefeiert. Und während die Stute selbst ihr Gnadenbrot in ihrer Heimat Hokkaido bekam, wurde der Film über ihr Leben weltweit auf Filmfestivals gezeigt.

Beim renommierten kanadischen Filmfestival Hot Docs gewann der Film im Jahr 2016 den Preis für den bester Kurzdokumentarfilm. Und so wurde aus Haruurara dann lange nach ihren erfolglosen Rennbahntagen doch noch eine große Siegerin.

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