Text: Sibylle Luise Binder Foto: Getty Images
Ihr Reich ist ungefähr so groß wie Luxemburg, und es ist für Menschen gesperrt. In der Todeszone rund um Tschernobyl, Schauplatz eines der schlimmsten Atomunfälle in Europa, leben heute nur noch Tiere, darunter ungefähr 75 Przewalski-Wildpferde. Die aber verschaffen uns sensationelle neue Erkenntnisse darüber, wie Pferde gehalten werden wollen.
Es war ein strahlender Frühjahrstag im Jahr 1986, als in der Ukraine das Atomkraftwerk Tschernobyl einen Notfall meldete – und von dem Tag an war in der Gegend nichts mehr wie es vorher gewesen war. Der Atommeiler, der strahlte, kam unter eine Betonhaube, die Menschen aus der Gegend wurden evakuiert, die Städte, Dörfer und Gehöfte aufgegeben. Ungefähr 2.500 Quadratkilometer rund um das ehemalige AKW wurden als „Todeszone“ deklariert, das Betreten ist seitdem strengstens verboten.
Die Tiere übernehmen die Stadt
Die Menschen waren weg, die Tiere übernahmen und für sie entwickelte sich das Gebiet zum Paradies. Sie konnten sich ungestört ausbreiten, sie wurden nicht bejagt, hatten keine Futterkonkurrenz in den Haustieren der Menschen – Tierherz, was willst du mehr?
2004 kamen drei Dutzend Przewalski-Pferde in der Ukraine an. Sie stammten aus einem vor allem in europäischen Zoos laufenden Arterhaltungsprogramm. Die Przewalskis, in ihrer ursprünglichen Heimat Mongolei übrigens „Takhis“ genannt, galten nämlich in der freien Natur als ausgestorben. Aber kurz nach ihrer „Entdeckung“ durch den russischen Offizier Nikolai Michailowitsch Przewalski 1878 waren sie bei Zoos und Wildparks in Mode und wurden en Masse eingefangen und dort zur Besichtigung freigegeben.
Als dann Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts gemeldet wurde, dass die Takhis ausgestorben seien, waren die Nachkommen der Zootiere noch da. Und als man dann in den 70ern ein Zuchtbuch gründete, gab es noch 41 Individuen. Inzwischen sind es rund 1.400 in europäischen Zoos und Tiergärten – und dazu kommen noch an die 3.000, die wild in der Mongolei, in China und sogar in Ungarn leben.
Wildleben will gelernt sein
Die 36, die in der Ukraine aufschlugen, stammten nicht nur aus dem Zoo-Zuchtprogramm, sondern hatten obendrauf ihren „Job“ als Wildpferd regelrecht gelernt. Zum Arterhaltungsprogramm der Takhis gehört nämlich, dass die in Zoos geborenen Fohlen so wenig wie möglich Kontakt zu Menschen haben, dafür aber sehr früh mit ihren künftigen Lebensgefährten zusammen leben. Dazu werden sie in Semi-Reservaten – relativ kleinen, übersichtlichen Gebieten, in denen sie beobachtet und im Notfall versorgt werden – gehalten, bis sie reif zum Auswildern sind.
Dass dabei für drei Dutzend Pferde die „Todeszone“ bei Tschernobyl als neuer Lebensraum ausgesucht wurde, ist übrigens kein Widerspruch in sich. Die Strahlung dort ist bei Menschen krebserregend, wobei es allerdings einige Jahre Aufenthalt in diesem Gebiet braucht. Bei Pferden wirkt sie auch – aber bei einer Lebensdauer, die in der Wildnis selten länger als 25 Jahre beträgt, kommt sie meist nicht zum Tragen.
Doch ihre Situation ist nicht nur bezüglich der Verstrahlung besonders, sondern auch, weil sie in einer ursprünglich dicht besiedelten Gegend leben. Damit eröffnen sich ihnen Möglichkeiten, die ihre Kumpels in anderen Ecken nicht haben. Bei denen hat man nämlich sorgfältig darauf geachtet, dass sie möglichst keine Berührung mit Menschen und ihren Ansiedlungen haben.
… den kompletten Artikel finden Sie in der Ausgabe 2/2020.