Text: Kerstin Börß           Foto: Getty Images

Im 18. Jahrhundert war Whistlejacket ein erfolgreiches Rennpferd in England. Doch erst ein Maler sorgte dafür, dass der Hengst auch heute noch eine Berühmtheit ist.

Vor ein paar Jahren staunten die Besucher des Trafalgar Square in London nicht schlecht. Ein fuchsfarbenes Pferd mit einer weißen Fessel am rechten Hinterbein und einem stolzen, muskulösen Hals zog alle Blicke an Londons geschäftigstem Platz auf sich. Menschen blieben stehen, zückten die Kamera und lichteten den auf den Hinterbeinen stehenden Hengst ab. Normalerweise hat das Pferd sein Zuhause in den Räumen der National Gallery – ein Museum direkt am Trafalgar Square. Doch anlässlich einer Kunst-Aktion wurden im Jahr 2007 Drucke der bekanntesten Gemälde des Museums einfach draußen aufgehängt. Und so schnupperte auch das prächtige Pferd mal wieder die Luft der Freiheit – ungefähr 250 Jahre, nachdem es das letzte Mal über eine Wiese oder vielmehr eine Rennbahn galoppiert war.

Schließlich war der schöne Hengst Mitte des 18. Jahrhunderts in Großbritannien ein durchaus erfolgreiches Rennpferd gewesen. Benannt war Whistlejacket nach einem damals beliebten Getränk aus Gin und Sirup. Noch etwas edler war die Abstammungsgeschichte des Vollbluts. Whistlejacket soll ein Enkel von Darley Arabian gewesen sein – einem Araberhengst, der um 1700 mit einem Schiff wahrscheinlich von Syrien nach England verschifft wurde und neben Godolphin Arabian und Byerley Turk einer von nur drei Gründerhengsten des Englischen Vollblutpferdes gewesen sein soll. Da verwundert es wenig, dass Whistlejacket, nachdem er 1759 furios ein Vier-Meilen-Rennen in York gewonnen hatte, als Zuchthengst eingesetzt wurde.

Doch all das würde uns heute nicht interessieren, wenn sich damals nicht die Wege von George Stubbs und Whistlejacket gekreuzt hätten. Der Engländer Stubbs interessierte sich schon früh für die Malerei und besonders für die Anatomie von Tieren. Als junger Mann verbrachte er Monate damit, tote Pferde zu sezieren und dabei jedes körperliche Detail auf dem Papier festzuhalten. Reiche englische Pferdebesitzer wurden auf seine Pferdeskizzen aufmerksam. So lud ihn der Marquess von Rockingham, der über 200 Pferde besaß, in seinen Stall ein, um ein paar seiner Tiere zu malen. Dort suchte sich der Maler jenes Pferd heraus, dem die nahe Verwandtschaft zu den ersten Araberhengsten auf der Insel an jedem Muskel anzusehen war. Und was er dann anfertigte, war ein Porträt, das die Menschen bis heute fasziniert und das Gemälde zu einem der wichtigsten Werke Englands macht. „Es spricht etwas von diesem Gemälde. Das Pferd hat Charakter, es ist kein idealisiertes Pferd, nicht irgend ein Pferd“, versucht ein Mitarbeiter der National Gallery die Faszination des Bildes zu erklären. Ein weiterer besonderer Aspekt des Gemäldes ist der leere Hintergrund. Eine nicht belegte Geschichte besagt, dass es sich um ein unfertiges Werk handelt. Ein anderer Künstler hätte eine Landschaft und ein weiterer den Reiter – König Georg III. – ergänzen sollen. Doch wer heute einmal in London in der National Gallery vor dem fast drei Meter hohen Gemälde steht und in Whistlejackets Augen blickt, wird keinen Baum im Hintergrund und erst recht keinen königlichen Reiter vermissen und sich sofort in den Bann eines der berühmtesten Pferde der Kunstwelt ziehen lassen.

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