Text & Foto: Adrienne Friedlaender
Auf der kleinen Insel Change Islands kämpft Netta LeDrew gegen das Aussterben der Neufundland-Ponys.
Die Koppel mit Blick auf den Atlantik, der Wind in der langen dichten Mähne und der Geruch von Salz in den Nüstern sind für Charly, das kleine braune Neufundland-Pony, schon lange nichts Besonderes mehr. Und der Hengst ahnt auch nicht, was für ein Glück es für ihn bedeutet, ausgerechnet im Stall und auf der Koppel bei Netta LeDrew auf Change Islands gelandet zu sein. Auf der kleinen Insel vor Neufundland kämpft die 61-jährige Pferdenärrin mit Leidenschaft und Herzblut gegen das Aussterben der seltenen Neufundland-Ponys.
Neufundland ist die größte Insel Kanadas: tiefblaues Meer, braune Felsen sowie sattgrüne Wiesen und Wälder und sehr wenig Menschen. Die Wahrscheinlichkeit, auf der Straße einem Elch zu begegnen, ist größer, als Menschen zu treffen. Noch ursprünglicher und rauer und einsamer präsentieren sich die oft schwer zugänglichen Outport-Communitys. Change Islands ist eine dieser abgelegenen und ganz besonderen Orte. Ungefähr 450 Kilometer von der neufundländischen Hauptstadt St. John’s entfernt liegt die Insel zwischen Notre Dame Bay und der Labrador Sea.
Vom Fähranleger schlängelt sich eine einzige Hauptstraße bergauf und bergab über die Insel. Entlang sattgrüner Fichtenwälder und arktischer Weiden, vorbei an bunt leuchtenden schiefen Holzhäusern, Fischerbooten, felsigen Buchten – und immer mit Blick auf den wilden Atlantik. Nicht nur Charly lebt auf seiner Wiese in der ersten Reihe – man muss lange suchen, um hier ein Haus ohne Meerblick zu finden. Für die knapp 200 Einwohner gibt es eine Feuerwehr, zwei kleine Supermärkte, in denen man von Gemüse über Gartenscheren bis zu Gummistiefeln alles für das tägliche Leben erhält, eine kleine Inselschule mit neun Kindern und eine Hauptstraße – ohne Ampeln.
„I call them the little ponys that built Newfoundland“
In den Sommermonaten tummeln sich die Wale vor der Küste und wetteifern mit den Eisbergen um den Preis als schönstes Fotomotiv. Und seit ein paar Jahren findet man auf Kalendern und Postkarten auch immer wieder Neufundland-Ponys. Denn seit Netta eine Stiftung für die Ponys gegründet hat, sind sie zur Attraktion geworden und Netta selbst eine Berühmtheit. Die 61-Jährige ist auf der Insel geboren und seit 45 Jahren mit ihrem Mann Ralph, einem Fischer, verheiratet. Auch Netta hat viele Jahre in einer Fischfabrik gearbeitet, bevor sie nun seit ein paar Jahren ihr Leben endlich ganz den Ponys widmen konnte. Ihre drei Kinder sind längst erwachsen und haben wie so viele junge Menschen die Insel verlassen.
Bislang verband ich mit Neufundland eher die massiven kräftigen Hunde, die von den Fischern als Wach- und Wasserrettungshunde eingesetzt wurden und den Fischern als treue Arbeitstiere dienten. Vielleicht, weil das Neufundland-Pony fast schon ausgestorben war. Es ist eine Mischung aus Dartmoor-, New Forest-, Galloway-, Welsh- und Highland Pony. Eine seltene robuste und zähe Rasse, die mit ihren schweren Mähnen, dem dicken Winterpelz und festen Beinen perfekt an die langen kalten Winter in Kanada angepasst ist. Und wie die Hunde spielten die Ponys in der Geschichte Neufundlands eine wichtige Rolle für das Überleben der Menschen. Natürlich auch auf Change Islands.
„I call them the little ponys that built Newfoundland“, sagt Netta LeDrew. „Unsere Ponys haben Neufundland mit aufgebaut. Sie zogen Holz aus den Wäldern für den Hausbau und zum Heizen der Öfen, schleppten Kies für die Straßen, und manche von ihnen arbeiteten sogar in den Minen.“ Die Ponys gehörten zum täglichen Leben auf der Insel, wie der Wind, die Wale und Eisberge auf dem Meer. Mit der Mechanisierung aber verloren die Ponys ihre Arbeit und wurden überflüssig. Die Regierung stoppte die Vermehrung durch Wallachprogramme, viele Ponys wurden sogar geschlachtet. Gab es in den 1960er Jahren noch 13.000 Ponys, waren es in den 90ern weniger als 400.
„Newfoundland Pony Sanctuary“, steht in großen Buchstaben auf dem rot leuchtendem Stallgebäude. Neben der Eingangstür hängt ein kleiner, von Wind und Wetter verwitterter Holzkasten mit einem Schlitz im Deckel. „Support NL Ponies!“, lautet die mit schwarzem Filzstift aufs Holz geschriebene Bitte, „Thank you!“. Ich entdecke Netta auf einer der Weiden hinter dem Stall. Sie trägt ein lässiges Cordhemd, Jeans und Turnschuhe, und die kurzen dunkelblonden Haare sind vom Wind verwuschelt. Netta schleppt in jeder Hand einen Eimer, sie gießt das Wasser in die Tränke und wischt die Hände an der Jeans ab. Sie begrüßt mich herzlich und lädt mich ein, auf die Weide zu kommen. Ich klettere über den Holzzaun. Dann schlendern wir über die Wiese von einem Pony zum anderen. Jedes stellt Netta mir ausführlich vor. Und das tut sie so stolz, wie eine Mutter, die ihre Kinder präsentiert. Sie hat von jedem Pony den Geburtstag im Kopf und kennt seine Lebensgeschichte. Sie strahlt übers ganze Gesicht. Netta umarmt einen hübschen dunkelbraunen Wallach. „Das ist Colby. Ein ganz wunderbares Pony. Es macht ihm riesigen Spaß, im Winter den Schlitten zu ziehen. Mit ihm haben wir viel Freude.“ Netta geht ein paar Schritte weiter. „Und hier, das ist meine Lily. Sie ist das erste Fohlen, das 2006 bei uns in der Stiftung geboren wurde. Und überhaupt das erste Fohlen auf Change Islands seit 35 Jahren.“ Sie lacht und gibt dem Pony einen Kuss auf die Nase. „Das absolute Ebenbild ihres Vaters.“
…den kompletten Artikel finden Sie in der Mein Pferd-Ausgabe 12/2019.