Text: Lara Wassermann | Foto: Daniel Elke

Eine Berufung – so betitelt Dr.Matthias Bangen seine Arbeit als Pferdefacharzt. 24 Stunden erreichbar sein, anstrengende körperliche Arbeit und wenig Freizeit. All das ist nur machbar, wenn das Herz für Pferde schlägt. Wir haben den Tierarzt einen Tag lang begleitet.

Es ist früh, als der Wecker klingelt und der erste Termin des Tages schon wartet. Etwa 60 Stunden die Woche ist Dr. Matthias Bangen für seine Patienten und deren Besitzer im Einsatz. Sein Telefon ist nie ausgeschaltet, er ist 24 Stunden täglich zu erreichen. Der erste Patient an diesem Morgen ist ein Warmblut eines erfolgreichen Springreiters. Am Hof werden wir von zwei großen Hunden erwartet, die sich über den fremden Besuch freuen. Fremd bin hier jedoch nur ich, nicht Dr. Bangen. Ich erlebe einen Tag lang, was es heißt, Pferdefachtierarzt zu sein. Er ist häufig hier, denn der Reiter hat nicht nur ein Pferd, sondern ein paar Dutzend, die er teilweise bei sich zu Hause eingestallt hat, teils an einem anderen Stall. Während wir noch alle Instrumente und Koffer zusammensuchen, die für das Zähneraspeln benötigt werden, holt der Pferdebesitzer den Neuzugang, einen neunjährigen Fuchs, von der Weide. Dem Wallach scheint es nicht zu gefallen, dass er nun von seinen Weidekollegen getrennt wird, und er versucht, ihnen dies durch Wiehern zu signalisieren. Doch zu hören ist rein gar nichts – nur das aufgesperrte Maul und die angespannten Lippen deuten darauf hin, dass dies wohl ein Wiehern werden sollte. „Ein operierter Kehlkopfpfeifer“, erklärt mir der Pferdefacharzt, der meinen verwunderten Blick gesehen hatte. Normalerweise drehen die Muskeln im Kehlkopf die Stellknorpel beim Einatmen so, dass die Stimmbänder gespannt und nach oben außen gezogen werden. Dadurch wird die Bahn frei für den Luftstrom zur Lunge. Beim Kehlkopfpfeifen ist die Muskulatur, die den Stellknorpel dreht, gelähmt. Das Stimmband bleibt also immer schlaff und fällt nach unten. Damit ist ein Teil des Luftstroms zur Lunge blockiert, was das typische Kehlkopfpfeifen verursacht. Um das Pfeifgeräusch zu eliminieren und einen optimaleren Luftweg zu schaffen, werden Pferde am Kehlkopf operiert

Schöne Beißerchen

Ich schaue ihn verdutzt an: „Warum hat er denn gar keine Stimme und warum atmet es so schwer? Was ist bei der Operation schiefgelaufen?“, will ich wissen. „Um das genau beantworten zu können, müsste ich hineinschauen. Bei der Operation wird ein Faden zwischen Ring- und Stellknorpel eingebracht, welcher die gelähmte Kehlkopfhälfe nach außen zieht. Im weiteren Verlauf wird die Schleimhaut der Stimmtasche der gelähmten Seite des Kehlkopfs entfernt. Dabei wird es zu Komplikationen gekommen sein, welche zu einer Dysphagie, also Schluckstörungen, geführt haben. Die Folgen sind Husten und eine chronische Entzündung der Luftröhre. Ich könnte mir vorstellen, dass dies bei unserem Patient der Fall ist.“ Ich nicke und versuche, bei der Zahnbehandlung des Hannoveraners wenigstens ein wenig behilflich zu sein; Kopf in Position bringen, das Kabel justieren usw. Dabei versuche ich, mir alles zu merken, was mir zur Zahnstellung und der notwendigen Behandlung erklärt wird. Während ich noch fasziniert die Arbeit mit dem Werkzeug auf den Pferdezähnen beobachte, verschluckt sich der sedierte Wallach und zieht viel Luft ein, die er in einem hohen Bogen mit viel Speichel und Grasresten auf mich spuckt. Die Behandlung der Zähne sieht körperlich ziemlich anstrengend aus, weil der Fuchs immer wieder in Position gebracht werden muss. „Das Raspeln der Zähne kann auf Dauer schon ermüdend sein. Wenn ich mehrere Zahnbehandlungen nacheinander hatte, dann bin ich platt“, erklärt der Arzt. Nun etwas verschmutzt, aber doch zufrieden, dem Wallach mit den Haken auf den Zähnen geholfen zu haben, steigen wir wieder in den Van, in dem alle Medikamente und Instrumente verstaut sind, die für den jeweiligen Fall nötig sein könnten. „Ich versuche seit Jahren, es zu schaffen, dass ich mal zwei Tage in Folge die gleiche Jeans tragen kann. Wie du jetzt schon feststellst, klappt es nie“, sagt der Mediziner grinsend. Routiniert lenkt er den großen Wagen in Richtung des nächsten Termins. Wir fahren durch Straßen mit endlos großen Wiesen und Feldern neben uns, durch Wälder und kleine Dörfer. „Ich liebe die Natur und das Land hier“, sagt Dr. Bangen, „ich denke, ohne eine enge Verbundenheit zu Tieren, Natur und vor allem den Pferden kann man den Beruf nicht ausführen.“

Ein steiniger Weg

Schon immer hatte der Tierarzt, der seinen Sitz in Wuppertal hat, einen engen Draht zu Tieren und insbesondere zu Pferden. Als Kind ritt er sehr oft mit seinem Vater aus und liebte die Freiheit, die ihm der Umgang mit dem Pferd ermöglichte. Nach dem Abitur wollte er Tiermedizin studieren, um seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Viele Stunden, die er mit einem befreundeten Tierarzt verbrachte, bestärkten ihn zusätzlich in seinem Wunsch. Fünfeinhalb Jahre lang quälte er sich durch die Prüfungen in Chemie, Physik und Biologie und dann durch das Examen. Im Anschluss an das Studium promovierte er in Giessen um anschließend in der Pferdeklinik Dr. Cronau in Bochum und in der Pferdeklinik auf Boyenstein in Beckum als Assistenztierarzt zu arbeiten. 2015 absolvierte er erfolgreich die Prüfung zum „Fachtierarzt für Pferde“ an der Tierärztekammer Westfalen-Lippe. 2017 machte er sich dann selbständig. Seither steuert er täglich bis zu 15 Pferde und ihre Besitzer an.

Es juckt!

Die nächsten Patienten und ihre Besitzer warten schon an dem 30 Kilometer entfernten Stall: „An das Autofahren muss man sich natürlich gewöhnen. Ich fahre 70.000 Kilometer im Jahr, um vom einen Pferd zum anderen zu gelangen“, erzählt der Tierarzt. Während der Fahrt klingelt dauernd das Telefon und Dr. Bangen muss in kürzester Zeit von der Analyse eines Blutbildes zu einer Ferndiagnose eines schlechten Fellzustands switchen – zwischendurch vergibt er telefonisch noch Termine. Ganz schön stressig, denke ich. „Bis zu 70 Anrufe beantworte ich täglich“, berichtet er lächelnd. „Ich finde es wichtig, dass meine Kunden immer das Gefühl haben, dass sie mich erreichen können, wenn sie Fragen oder natürlich auch Notfälle haben.“ Die Besitzerin des ersten Patienten kommt auf den Van zu und beschreibt gleich, wie schlecht es ihrem Kleinpferd geht: „Er juckt sich den ganzen Tag, hat überall Pickel und außerdem ist er lahm“, klagt die besorgte Besitzerin. Der braune Wallach steht schon angebunden in der Stallgasse und sieht wirklich nicht glücklich aus. Schweifschlagend und mit unruhigem Kopf versucht er, der Insektenplage Herr zu werden. Nach kurzer Untersuchung ist klar, dass Fliegen, Mücken und Bremsen schuld sind. „Die Haut reagiert sehr empfindlich auf die Stiche, und das Pferd hat keine Ruhe vor den Insekten“, erklärt der Facharzt ruhig. Selbst am Schlauch sind schon Fliegeneier abgesetzt worden, so groß ist die Fliegenkonzentration in diesem Stall. Der Wallach wird mit einem Mittel behandelt, das die fliegenden Insekten für ein paar Wochen fernhält, bis die nächste Behandlung erfolgen muss. Außerdem sollen die juckenden Stellen mit einer speziellen Lotion eingerieben werden. Das lahme Bein wird untersucht und schnell ist klar, was die Ursache dafür ist, dass der Braune das Bein nicht belasten kann: „Er hat eine deutliche Pulsation und die Hufzange ist positiv. Er hat ein Hufgeschwür“, erklärt Dr. Bangen der Eigentümerin. Der Arzt schneidet vorsichtig in das Horn neben dem Strahl bis eine unangenehm riechende Wundflüssigkeit herausläuft. „Ich lege jetzt noch einen Hufverband an und dann sollte es dem Wallach bald wieder gut gehen.“ Direkt zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen!

Der nächste „Juckkandidat“ ist eine Kaltblutstute. Sie steht traurig in der Paddockbox, und schnell zeigt sich auch,warum: „Ach, du Kacke“, rutscht es dem Mediziner heraus, als er die handgroßen, offenen Stellen auf der Kruppe entdeckt. „Wie konnte es denn dazu kommen?“, fragt er die Besitzerin. „Sie hat sich so extrem gescheuert, dass sie sich heute diese offenen Wunden zugefügt hat. Die Mähne und der Schweif sind auch angegriffen, aber nicht so blutig“, versucht sich die Dame an einer Erklärung. „Wo stand die Stute denn?“, möchte der Tierarzt weiter wissen. „Sie steht immer auf der Weide und wird dort gestochen.“ Die Ursache des Sommerekzems bei Pferden ist die Überempfindlichkeit auf ein bestimmtes Eiweiß im Speichel der Culicuides Spezies, also Kriebelmücken, Gnitzen oder Stechmücken, welche zu starkem Juckreiz führt. Die Sommermonate bedeuten für Ekzemer bei nicht richtiger Versorgung und geeigneten Vorbeugemaßnamen großes Leid. Dr. Bangen verordnet für die offenen Stellen eine juckreizlindernde Salbe und auch für diese sich scheuernde Patientin ein Präparat, welches die Quälgeister zumindest eine Weile auf Abstand hält. Außerdem soll sie 24 Stunden eine Decke tragen: „Es reicht nicht aus, wenn man nur die schon gescheuerten Stellen versorgt. Die Mücken müssen auf Abstand gehalten werden, damit ihr Speichel gar nicht erst in den Organismus des Pferdes gelangt, und das bedeutet Decke“, klärt er auf. Während wir die Sachen zusammenpacken nimmt die Besitzerin nochmals die Wunden in Augenschein: „Schmerz ist wohl besser auszuhalten als Juckreiz, wenn ich mir das so anschaue.“ Da müssen wir ihr mit finsterer Miene zustimmen. Ich hoffe insgeheim, dass die Ansprache des Arztes gereicht hat, damit es die Ekzemerin nicht noch mal so schlimm trifft .

…den kompletten Artikel finden Sie in der aktuellen Ausgabe.

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