Interview: Nicole Audrit Foto: www.slawik.com
Häufig verbindet man eine geringe Ganaschenfreiheit mit Schwierigkeiten in der Anlehnung. Insbesondere Vertreter von Robustpferderassen, beispielsweise Haflinger und Fjordpferde, scheinen zu engen Ganaschen zu neigen. Pferdewirtschaftsmeisterin Christine Hlauscheck (www.bewegungs-freiheit.de) erklärt, worauf es im Training bei Pferden mit wenig Ganaschenfreiheit ankommt und wie man die Größe der Ganaschen ganz einfach bei seinem eigenen Pferd messen kann.
Was ist die Ganasche des Pferdes?
Die Ganasche ist der Zwischenraum zwischen zwei knöchernen Strukturen am Pferdekopf – und zwar zwischen dem hinteren Rand des Unterkieferasts und dem Flügel des Atlas (siehe Foto links mit der Markierung; Anm. d. Red.). Den hinteren Rand des Unterkieferasts kann man sehr einfach erfühlen. Für den Atlasflügel empfiehlt sich zur ersten Lokalisation ein kleiner Trick: Locken Sie Ihr Pferd mit einem Leckerli nach vorne, sodass dieses den Hals streckt und die Stirn-Nasen-Linie merklich horizontaler wird. In dieser Position ist der Flügel des Atlas leichter zu ertasten. Nachdem man sich mit den knöchernen Strukturen vertraut gemacht hat, kann man ganz einfach die Größe der Ganasche messen. Dafür muss das Pferd allerdings den Kopf in natürlicher, entspannter Position halten, da ansonsten das Ergebnis durch das Strecken des Halses verfälscht wird.
Der Begriff „Ganaschenfreiheit“ taucht häufig in der Literatur auf. Was hat es damit auf sich?
Die Ganaschenfreiheit bezeichnet die Größe der Ganasche: Abhängig vom Exterieur des individuellen Pferdes variiert der Abstand zwischen dem hinteren Rand des Unterkieferasts und dem Atlasflügel – von weit bis sehr eng. Insbesondere bei Dressurpferden ist eine große Ganaschenfreiheit erwünscht, weil dadurch die Beizäumung erleichtert wird. Früher wurde eine zwei Finger breite Ganasche als gut empfunden – meiner Meinung nach ist eine Ganaschengröße von 2,5 bis drei Fingern gut.
Wie beeinflusst eine geringe Ganaschenfreiheit das Training und das Reiten?
Generell haben Pferde, bei denen weniger als zwei Finger in die Vertiefung zwischen Unterkieferknochen und Atlasflügel passen, eine enge Ganasche. Bei einem reinen Geländepferd beeinflusst eine geringe Ganaschenfreiheit das Reiten nicht. Sobald allerdings die Stellung oder die Beizäumung in der Dressur ein Thema sind, kann es zu Problemen kommen. Pferde mit engen Ganaschen können aufgrund der Anatomie im Genick nicht schmerzfrei so stark abwinkeln, dass die Stirn-Nasen-Linie an die Senkrechte kommt – wie es im Lehrbuch gefordert wird. Wenn das Pferd am Zügel in der geforderten Haltung gehen soll, nähert sich die Unterseite des Kopfes der Unterseite des Halses an, wodurch sich auch die beiden knöchernen Strukturen, die die Ganasche umgeben, annähern. Bei einer geringen Ganaschenfreiheit wird dies erschwert – insbesondere da zwischen dem hinteren Rand des Unterkieferasts und dem Atlasflügel die Ohrspeicheldrüse sitzt. Wird ein Pferd mit geringer Ganaschenfreiheit beispielsweise durch eine sehr große Krafteinwirkung am Zügel in eine Position gezwungen, die ihm aufgrund seines Exterieurs nicht ohne Weiteres möglich ist, so kann es zu einer schmerzhaften Quetschung der Ohrspeicheldrüse kommen. Dies führt wiederum zu einem Teufelskreis: Durch eine chronische Quetschung kann es zu einer Entzündung und zu Gewebszunahme kommen, wodurch wiederum die Ganaschenfreiheit erneut eingeschränkt wird. Bei der Stellung nähern sich ebenfalls die beiden knöchernen Strukturen an – allerdings nur einseitig auf der Stellungsseite.
In meinen Augen erkennt man eine solide Dressurausbildung nicht ausschließlich an der Kopf-Hals-Position des Pferdes. Weitere Kriterien spielen eine große Rolle: Unter anderem, ob das Pferd über den Rücken geht und sich vertrauensvoll an die Hand heran dehnt, ebenso ein entspannt pendelnder Schweif. In einem solchen Fall ist eine korrekte Ausbildung gegeben, auch ohne dass sich die Nasenlinie an oder kurz vor der Senkrechten befindet. Generell sollte man kein Pferd in eine Haltung zwingen, die im Lehrbuch vorgegeben ist. Vielmehr sollte die angestrebte Haltung vom individuellen Exterieur – und in diesem Fall von der Ganaschenfreiheit – abhängig gemacht werden. Bei einem Pferd mit sehr geringer Ganaschenfreiheit ist es absolut akzeptabel und erstrebenswert, dass das Pferd die Nasenlinie auch deutlich vor der Senkrechten haben darf. Beachtet man also die Anforderungen durch das Exterieur und geht man auf das individuelle Pferd ein, so schränkt auch eine geringe Ganaschenfreiheit die Dressurarbeit nicht ein.
Welche Pferde neigen zu wenig Ganaschenfreiheit?
Viele Vertreter von Robustpferderassen, beispielsweise Norweger, Haflinger oder Isländer, neigen zu einem Körperbau mit wenig Ganaschenfreiheit. Allerdings kommt dies rasseübergreifend vor – auch bei Warmblütern.