Text: Aline Müller Foto: imago/Frank Sorge
Wenn Pferde scheinbar ohne Grund scheuen, durchgehen oder sogar aggressiv werden, dann ist es unter Umständen schwer, die Ursache zu finden. Doch wer sich mit dem Thema Angst beschäftigt, wird sein Pferd besser verstehen, einschätzen und somit auch stressfrei ausbilden können.
Der sieht doch wieder Gespenster“, ruft eine junge Reiterin ihrem Trainer zu, der in der Mitte der Halle steht und das Spektakel beobachtet. An einer der langen Seiten befindet sich eine Tribüne, und genau hier scheut der Wallach Runde für Runde. Seine Reiterin verliert langsam die Nerven und wird ungehalten. Sie gibt sowohl deutliche Schenkel- als auch Zügelhilfen. Dabei erhöht sich ihre Körperspannung sichtbar. Die Reaktionen des Pferdes werden heftiger. Der Wallach reißt den Kopf hoch und setzt zum Steigen an. Die Augen weit aufgerissen, zeigt sein Blick nur noch Hilfosigkeit. Der Trainer greift ein und beendet den Kraftakt. Er holt seine Schülerin zu sich und redet ruhig auf sie ein. Diese ist jedoch immer noch aufgebracht und der festen Überzeugung, ihr Pferd wolle sie nur an der Nase herumführen.
Schrecken ohne Grund?
Jeder Reiter kennt Situationen, in denen ein Pferd plötzlich wegspringt, erschrickt oder mal einen Bocksprung macht. Um zu verstehen, warum ein Tier so reagiert, dürfen wir nicht zu menschlich denken. Kein Pferd wird sich vor dem Training vornehmen, seinen Reiter zu ärgern und sich möglichst daneben zu benehmen. Es gibt immer einen Grund für jedes Verhalten. Beispielsweise kann Ungehorsam neben Angst oder Unsicherheit auch von Stress, Schmerzen, Überforderung, Bewegungsmangel oder schlechten Erfahrungen herrühren. Der Begriff allein führt schnell in die Irre, denn würden Sie ein Pferd wirklich als ungehorsam bezeichnen, wenn es aufgrund starker Rückenschmerzen Abwehrreaktionen zeigt? In diesem Artikel wollen wir uns vor allem mit der Angst näher beschäftigen, die ein häufiger Auslöser für unerwünschtes Verhalten ist. Doch viele Reiter haben Probleme, Angst und Furcht richtig zu interpretieren. Werfen wir deshalb zunächst einen genaueren Blick auf die Biologie und das Gehirn des Pferdes.
Lebensnotwendiges Alarmsystem
Es gibt furchtlose Menschen, die sich in gefährliche Situationen begeben, ohne dabei wirklich Angst zu verspüren. Pferde, vor allem in freier Wildbahn, wären ohne Angst schnell dem Tode geweiht. Sie ist ein Wunder der Evolution und ein komplizierter Mechanismus, der über Jahrtausende erprobt ist. Ohne Angst würden sich Pferde Abhänge hinunterstürzen, bei Gefahr nicht fliehen, möglicherweise in fahrende Autos oder durch Zäune rennen. Sie erfüllt also durchaus wichtige Aufgaben. Dabei ist Angst auch wegweisend für die Entwicklung und das Lernen des Pferdes. Sozusagen als Alarmanlage entscheidet sie mit über Flucht oder Angriff. In bedrohlichen Situationen bleibt keine Zeit, neue Strategien zu entwickeln. Dann sind Mensch und Tier auf Empfindungen wie Angst, Furcht, aber auch Stress angewiesen. Im Gegensatz zum Pferd kann der Mensch lernen, dieses Alarmsystem zu umgehen und das Gefühl einfach zu verdrängen. Ist es jedoch einmal angesprungen, dann nehmen eine ganze Reihe chemischer Vorgänge ihren Lauf. So werden zum Beispiel Botenstoffe wie Adrenalin ausgeschüttet. Angst löst also eine Stressreaktion aus, die im Normalfall mit einer bewältigenden Handlung endet. Stresssymptome bauen sich ab, und die Angst verfliegt. Kommt es jedoch zu chronischem Stress oder gerät das ausgewogene Verhältnis von Wohlbefinden, Alarmbereitschaft und Stressreaktion aus dem Gleichgewicht, dann beginnt ein Kreislauf, aus dem das Pferd nicht mehr selbstständig ausbrechen kann.
Von Geräuschen und Gerüchen
In unbekannten oder potenziell gefährlichen Situationen ist Flucht die bevorzugte Strategie des Pferdes. Dazu erhöhen Stressreaktionen die Aufmerksamkeit und mobilisieren alle vorhandenen Kräfte. Der Körper des Pferdes ist für diese Überlebensstrategie optimal ausgestattet. Neben dem Herz-Kreislauf-System und der Atmung helfen auch die Sinnesorgane dem Vierbeiner, schnell auf Bedrohungen zu reagieren. Als Reiter sollten Sie wissen, dass nicht nur visuelle Reize, sondern auch ungewohnte Gerüche oder andere unbekannte Sinneseindrücke eine plötzliche Flucht auslösen können. Oftmals nehmen wir selbst diese Reize gar nicht wahr. Zudem hat jedes Pferd eine gewisse Individualdistanz. Während manche Vierbeiner schon in die Luft gehen, wenn sie aus weiter Ferne ein Geräusch hören oder ein Flatterband sehen, wittern andere die Gefahr erst, wenn sie direkt vor ihr stehen. Einige Pferde stellen ihre Besitzer hingegen immer wieder vor neue Fragen und Herausforderungen. Sie erschrecken sich mal vor Pfützen, mal vor den Artgenossen auf der Weide neben dem Reitplatz. In vielen Fällen kann gar kein Auslöser ausgemacht werden.
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