Text: Karin Tillisch Foto: Getty Images/Vetta
Das Reiten zu lernen soll heutzutage schnell und mit wenig Aufwand funktionieren. Trainer werden nicht mehr live besucht, sondern es werden bei jeglichen Fragen „Möchtegern-Profis“ im Internet zu Rate gezogen. Ein kritischer Kommentar von Karin Tillisch.
Als ich mir vor 18 Jahren meinen Lebenstraum – ein eigenes Pferd – erfüllte, gehörte ich damals auch zu den „jungen Wilden“, mit neuen, verrückten Ideen, die so ganz und gar nicht in die damalige Pferdewelt passen wollten. Zirkustricks? Die gehören in den Zirkus und nicht in den Reitstall. Reiten ohne Sattel und Zaumzeug? Das ist gefährlich und schadet Pferd und Mensch. Das Pferd als gleichwertiger Partner? Quatsch, das ist doch nur ein Tier! Wofür wir jungen Wilden zu unserer Zeit lebten und einstanden, was wir auf den Shows und Messen zeigten, ist für die Generation, die nun nach uns kommt, absolute Selbstverständlichkeit. Doch auch die heutigen jungen Wilden haben es nicht leicht, denn die Kluft zwischen den „Altvorderen“, zu denen ich mit meinen jetzt 40 Lebensjahren auch schon gezählt werde, und der Reitergeneration die um die Jahrtausendwende herum das Licht der Welt erblickte, ist enorm. Um ein Vielfaches größer als zwischen den Generationen vor ihnen. Diese Kluft und die oft wirklich völlig anderen Weltansichten und Werte der „Reitergeneration 2.0“ werden die Pferdeszene nachhaltig verändern. Die Frage ist nur: Wohin führt uns diese Reise? Zum Guten oder zum Schlechten?
Anno dazumal, als es bei mir in Sachen Pferd losging
Wenn ich mich an meine Anfänge in Sachen Pferd zurückerinnere, dann war dies eine Zeit ohne Internet, ohne Privatfernsehen und ohne Handy. Wer reiten und den Umgang mit Pferden lernen wollte, der konnte nicht zwischen Hunderten Anbietern wählen. Es gab eine Reitschule, fertig. Klatsch und Tratsch wurde am Reitstall direkt durch das bis heute gebliebene Getuschel an der Bande und Gruppenbildungen in der Stallgasse gepflegt. Es gab Stars und Sternchen im Stall, es gab Sonderlinge, Loser und, und, und. Die Zeit mit den Pferden war das Highlight der Woche. Reitunterricht war gemessen am Wert des Geldes vor 30 Jahren recht teuer. 10 DM für eine Gruppenreitstunde. Rechnet man Inflation und Marktentwicklung drauf, wären das heute gefühlt etwa 20–25 Euro. Wir normalen Dorfkinder wussten den Wert des Reitens durchaus zu schätzen. Die Boxen der Schulpferde ausmisten zu dürfen oder mal ein Pferd eines Privatreiters putzen oder führen – das waren für uns wertvolle Highlights! Pferdemagazine gab es damals in Hülle und Fülle. Das Internet als Informationsquelle war ja noch nicht relevant! Also wurde das spärliche Taschengeld in diese Hefte oder in Pferdefachbücher investiert. Das eigene Pferd war ein Lebenstraum, den ich mir dann mit 22 Jahren erfüllen konnte. Mittlerweile begleitet mich ein Traumpferd Shadow seit 18 Jahren durchs Leben, und bis heute ist jeder Tag, jede Stunde, die ich mit ihm verbringen und von ihm lernen darf, für mich ein wertvolles Highlight in meinem Leben. Meine Vorbilder waren keine sich selbst inszenierenden, perfekten Selbstdarsteller aus dem Internet, es waren ganz normale Pferdetrainer, die tagein, tagaus gute Arbeit leisteten und vor allem eines zeigten: „Zum Erfolg führt kein Fahrstuhl – man muss schon die Treppe benutzen.“ Dieses Zitat schrieb mir eines meiner großen Vorbilder von anno dazumal, Peter Pfister, mit einer persönlichen Widmung in sein Buch. Diesen Spruch sollte man heute eigentlich vor jedes Youtube-Video, jedes gephotoshoppte Pferdetraumfoto und jeden Facebook-Post der Influencer unserer modernen Pferdebranche packen! Ich würde heute den jetzigen jungen Wilden gerne mit dem kompletten Zaun winken und sagen: „Leute, das geht nicht alles binnen zwei Wochen. Mach 20 Jahre draus, dann hast du die Grundidee der Sache verstanden!“ Doch leider scheint dies in unser extrem schnelllebigen, erfolgs- und profitorientierten Welt fast niemand aus der Reitergeneration 2.0 hören zu wollen, weder die jungen Reiter selbst noch deren erfolgsorientierte, zeitgestresste Eltern.
Die kostbaren, hochbegabten, gestressten Teens von heute
Ich habe in meiner Jugend fast all jene Hobbys ausprobiert, die seit jeher für die Entwicklung eines jungen Menschen als förderlich erachtet werden. Zu welcher dieser Aktivitäten haben mich meine Eltern gedrängt? Zu gar keiner! Hab ich einiges davon dann im Erwachsenenalter auch aufgegeben? Ja, natürlich, Interessen ändern sich, und leider fehlt neben dem Beruf dann auch für vieles die Zeit. Dennoch würde ich sagen, ich hatte eine vielseitige und abwechslungsreiche Kindheit und ebensolche Teenagerjahre und hatte vor allem Spaß an den Hobbys, die ich ohne jeglichen Erfolgsdruck von zu Hause ausüben konnte. Heutzutage scheint das leider etwas anders zu sein, wenn ich sehe, wie viele Kinder und Jugendliche regelrechten Freizeitstress haben. Und der Druck ist auch höher, schließlich soll das heute übliche Einzelkind möglichst in allem brillieren, was es tut, damit die Eltern sich mit dem hochbegabten, hübschen und erfolgreichen Sprössling brüsten können. Neben dem – oft unbewussten und auch ungewollten – Erfolgsdruck, der schon von zu Hause auf den Kindern lastet, kommt ein enormer Druck durch die Gesellschaft. Alles und jeder muss in allem perfekt sein. So suggerieren es die Medien. Gut ausschauen, erfolgreich sein, alles können – und dabei muss man immer gut drauf sein. Gleichzeitig ist Kritik am eigenen Sprössling natürlich vollkommen unerwünscht. Während ich früher zu Hause ein ernstes Gespräch mit meinen Eltern hatte, wenn ich mal wieder mit einer schlechten Note aus der Schule nach Hause kam oder irgendetwas angestellt hatte, scheinen die Übereltern von heute dann eher ihren Anwalt anzurufen, um den Lehrer zu verklagen. Der Fehler kann und darf nicht beim Kind liegen, scheint es. Wenn jungen Menschen in ihrer wichtigsten, charakterbildenden Entwicklungsphase natürlich so etwas von ihren Eltern vorgelebt wird, dann wundert es nicht dass diese jungen Menschen später nicht mehr in geringster Weise kritikfähig sind – sie haben ja nie gelernt damit umzugehen.
…den gesamten Kommentar lesen Sie in der Mein Pferd-Ausgabe 1/2019.