Text: Inga Dora Meyer         Foto: www.slawik.com

Bis vor einigen Jahren konnte kaum jemand etwas mit dem Begriff Faszien anfangen, heute ist er in aller Munde. Wie ein dreidimensionales Spinnennetz durchziehen Faszien den Organismus von Mensch und Pferd. „Sie bestehen aus Bindegewebszellen und Fasern, die sie netzartig untereinander bilden und damit eine Art Umhüllung für alle Strukturen im Körper bauen“, erklärt Human-Physiotherapeutin und Pferde-Osteopathin Ulrike Haase aus Mühlenbeck (Brandenburg). Sie stützen, polstern, verbinden, trennen und stabilisieren den Körper, ohne dabei starr zu sein – das macht sie so besonders.

Faszien haben viele Aufgaben

Im Inneren bestehen sie aus Kollagen- und Elastanfasern und einer wässrigen Flüssigkeit (extrazelluläre Matrix). „Je nachdem, ob mehr Festigkeit (z. B. bei Sehnen) oder mehr Elastizität (z. B. Magenwand) benötigt wird, besitzen sie einen höheren Kollagen- oder einen höheren Elastan-Anteil“, ergänzt Stephanie Reineke, Pferde-Physiotherapeutin aus Warburg (Nordrhein-Westfalen). Die Matrix enthält Wasser, Abwehr-, Lymph- und Fettzellen, aber auch Blutgefäße und unzählige freie Nervenenden. Letztere nehmen u. a. Schmerzsignale wahr, registrieren die Lage und Position des Körpers und leiten diese Informationen an das Gehirn weiter, wodurch Faszien zu einem körpereigenen Kommunikationsorgan werden.

Motorisch betrachtet, bilden sie mit der Muskulatur eine Funktionseinheit. „Weil Faszien die Muskulatur nicht nur umhüllen, sondern auch durchdringen, halten sie die Masse zusammen und leiten ihre Kräfte weiter. Faszien funktionieren darüber hinaus als Stoßdämpfer, weil sie Bewegungsenergie speichern und wieder freisetzen können, wie ein Gummiband“, erläutert die Expertin weiter. Sie spielen daher eine wichtige Rolle bei der Kraftübertragung durch die Muskeln.

Verschiedene Bindegewebstypen

Ihre Fähigkeit, Flüssigkeit zu speichern, ist wichtig für die Gleitfähigkeit, die eine Muskelbewegung überhaupt erst möglich macht. Die Kraftübertragung vom Muskel auf den Knochen bzw. die Gelenke gehört zur Aufgabe der Sehnen. Am Übergang von der Sehne zum Knochen sind muskelverlängernde Sehnenanteile angeknüpft, die wiederum mit den Muskelfaszien verbunden sind, sodass alles miteinander eine Muskel-Faszien-Kette bildet.

„Je nach Veranlagung sprechen wir von festen oder lockeren Bindegewebsstypen“, so Ulrike Haase. Die Redewendung „Man kann nicht aus seiner Haut“ gilt hier auch für den Vierbeiner. Bei einem eher lockeren Bindegewebe lässt sich die Stabilität durch Muskelkraft leicht erhöhen. Ist das Bindegewebe sehr fest, wird es schwieriger. „Zwar können solche Pferde energiesparend lange im mittleren Bereich arbeiten – wenn auch mit weniger Tempo und wenig Ausdruck –, aber sollen sie besonders ausdrucksstarke, große Bewegungen machen, arbeiten sie wie in einer zu engen Jacke“, so die Expertin.

Problematisch wird es vor allem dann, wenn die Faszien beschädigt werden, z. B. durch ein einseitiges oder überforderndes Reittraining, eine erzwungene Körperhaltung, Schonhaltungen nach Verletzungen, einen allgemein sehr hohen Muskeltonus, eine Steigerung der psychischen Anspannung (Turnier) oder eine Erhöhung des Alltagsstresses. Auch zu wenig freie Bewegungsmöglichkeiten tun den Faszien nicht gut. Die Flüssigkeit in den Bindegewebszellen wird sauer und zähflüssig. Nährstoffe können nur noch langsam passieren. „Fehlen im Training dann noch die so wichtigen Pausen nach der Anspannung, hat der Organismus keine Möglichkeit, wieder Sauerstoff zu den Zellen zu bringen. Ein Teufelskreis beginnt“, warnt die Physiotherapeutin aus Mühlenbeck.

Bei Stress ist es ähnlich. Hier spannen sich jedoch die Bindegewebszellen der Faszien selbst an (eine relativ neue Erkenntnis aus der Faszienforschung). Damit nimmt die Durchlässigkeit weiter ab, Stoffwechselendprodukte können nicht abtransportiert werden und die Flüssigkeit, in der die Zellen schwimmen, wird ebenfalls zäh wie Honig. Da die Faszien auch die letzte Muskelzelle ummanteln, wirkt sich dieser Mechanismus im gesamten Pferdekörper aus. Was passiert? Das Fasziennetz verliert seine Elastizität und bildet Verdrehungen, Verformungen, Verrenkungen oder Verklebungen mit dem umliegenden Gewebe. Mit der Zeit kann diese stabilisierende Wirkung so groß werden, dass die Bewegungsfreiheit des Pferdes eingeschränkt ist. „Bei manchen Vierbeinern sind Faszienverklebungen sogar direkt auf der Haut erkennbar. Es kommt nicht selten zu einer Faltenbildung im Bereich der Sitzbeinmuskeln und des Gesäßmuskels“, weiß Stephanie Reineke.

… den gesamten Artikel – inklusive Massagetipps und Tricks für lockere Faszien beim Reiter – finden Sie in der Mein Pferd-Ausgabe 8/18.

 

BUCHTIPP

Das Buch „Das Pferd in positiver Spannung – Biomechanik und Reitlehre in Bewegung“ von Stefan Stammer beschäftigt sich damit, auf welche Weise die Bewegungsenergie des Pferdes entsteht und mit welchen Strukturen sie in Bewegung übertragen wird – sei es im Dressurviereck, auf der Rennbahn oder über dem Sprung. Dabei rücken die Fasziensysteme als Strukturen, die in den letzten Jahren mehr und mehr in den Fokus wissenschaftlicher Betrachtung gelangt sind, auch in diesem ins Zentrum der Bewegungsanalyse. Die Antworten, die dieses Buch gibt, sind ebenso einfach wie komplex: Die Entwicklung von positiver Körperspannung ist der Schlüssel zur Gesundheit und Leistungsfähigkeit eines jeden Reitpferdes. Die klassische Reitlehre liest sich unter dieser Prämisse als perfekte Grundlage einer Trainingslehre für den Aufbau und die Steuerung der positiven Spannung. Das Buch ist im FN-Verlag erschienen und hier für 27,90 Euro erhältlich.

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