Interview: Nicole Audrit     Foto: Slawik

Bei uns Menschen steht mindestens einmal im Jahr der Weg zum Zahnarzt an. Ähnlich oft sollte auch das Gebiss von Pferden kontrolliert und gegebenenfalls behandelt werden. Bei den Vierbeinern ist das Hauptproblem nicht Kariesbefall, sondern Haken, Spitzen und Fehlstellungen machen den meisten Ärger. Dr. Markus Gerlach (www.equinehealthcare.de) ist Experte, wenn es um Pferdezähne geht.

Wie sieht ein Pferdegebiss aus?

Das normale Pferdegebiss besteht aus maximal 44 Zähnen. Es wird in Quadranten eingeteilt und setzt sich aus Schneidezähnen (12), Hengstzähnen (bis zu 4), Wolfszähnen (bis zu 4) und Backenzähnen (24) zusammen. Einige davon haben Milchzahnvorläufer, die gewechselt werden, wenn das Pferd 2,5 bis 4,5 Jahre alt ist. Der Zahnschmelz ist die härteste Substanz im Körper; die Zähne sind dafür gemacht, faserige bis holzige Substanzen zu zerkleinern.

Was sind die häufigsten Zahnprobleme?

Zu den häufigsten Problemen beim Pferd zählen – neben Rittigkeitsproblemen – Schwierigkeiten aufgrund von Abrieb der Zahnsubstanz, die durch Haltung, Fütterung, Nutzung und auch durch Züchtung entstehen. Es bilden sich Schärfen, Kanten oder sogar Höhenunterschiede an den Zähnen. In extremen Fällen resultieren daraus sogar irreparable Zahnschäden wie beispielsweise Zahnfrakturen. Pferde zeigen ihren Zahnschmerz sehr unterschiedlich – oft aber in relativ geringem Maße. Anzeichen für den Besitzer sind unter anderem unangenehmer Geruch aus dem Maul, Probleme bei der Futteraufnahme, Schwellung und Wärme im Kopfbereich sowie eine Wesensveränderung.

Wie häufig sollte eine Zahnkontrolle stattfinden?

Pferde sollten routinemäßig kontrolliert werden, nicht erst beim Auftreten von Problemen. Bei jungen Pferden empfiehlt sich ein halbjährliches Kontrollintervall, nach Beendigung des Zahnwechsels eine jährliche Kontrolle und bei Bedarf eine Behandlung. Die Behandlung muss das Ziel haben, die volle Funktionsfähigkeit und Balance im Pferdemaul wiederherzustellen. Beim Gebiss sollten die drei Punkte Schneidezähne, Backenzähne und dem Kiefergelenk in Balance sein. Hierfür braucht es viel Erfahrung und Routine. Die Qualität der Arbeit weist meiner Erfahrung nach leider ein breites Spektrum auf und ist für den Außenstehenden nicht leicht zu bewerten. Die IGFP (Internationale Gesellschaft zur Funktionsverbesserung von Pferdezähnen) vergibt nach einer Prüfung den geschützten Titel eines Pferde­dentalpraktikers nach IGFP. Geprüfte und zertifizierte Pferdedentalpraktiker können Sie auf der Internetseite der IGFP finden. Andere Bezeichnungen wie Pferdezahnarzt oder Dentist sind nicht geschützt und können ohne weitere Aus- oder Weiterbildung verwendet werden, sodass dadurch nicht sichergestellt ist, dass der Behandelnde über eine geeignete Qualifikation verfügt.

Wie kann man das Alter eines Pferdes an den Zähnen erkennen?

Das Alter eines Pferdes kann man bei einem normalen Gebiss über den Abrieb und Stellung der Schneidezähne bestimmen. Hierzu werden mehrere abnutzungsbedingte Veränderungen der Zähne beobachtet und bewertet. Die Genauigkeit der Schätzung hängt neben der Erfahrung des Behandelnden stark vom Alter des Pferdes ab. Bei jungen Pferden bis ungefähr fünf Jahren kann man bis auf ein halbes Jahr genau schätzen. Bei älteren Pferden ist eine Genauigkeit von ein bis zwei Jahren möglich. Je älter das Pferd ist, desto schwieriger ist die Altersbestimmung, sodass teilweise nur eine grobe Schätzung möglich ist.

In den letzten Jahren ist immer häufiger von EOTRH­ die Rede. Wie zeigt sich diese Krankheit?

Diese Erkrankung begegnet mir zunehmend bei meiner täglichen Arbeit. EOTRH ist die Abkürzung für Equine Odontoclastic Tooth Resorption and Hypercementosis und beschreibt Umbauprozesse an Frontzähnen und Kiefer. Diese können auflösend (Resorption), auftreibend (Hyperzementose) oder eine Kombination aus beidem sein. Äußerlich zeigen sich Veränderungen wie das Hervortreten der Schneidezahnwurzeln, Fistelbildungen, Rötung des Zahnfleisches. Auch kann es zu deutlichen Verhaltensänderungen kommen. Eine Röntgenuntersuchung kann und muss die Diagnose sichern. Die Erkrankung ist nicht heilbar, die Veränderung den Zähnen nicht reversibel. Eine Extraktion der betroffenen Zähne unter klinischer Berücksichtigung ist notwendig. Die genaue Ursache oder der spezifische Auslöser ist unbekannt. Bei einigen Rassen, beispielsweise Islandpferden, und bei älteren Pferden wird EOTRH vermehrt festgestellt. Außerdem werden einige Faktoren als begünstigend angesehen, unter anderem der Druck durch zu lange Frontzähne, aber auch Stoffwechselerkrankungen wie Cushing. Die Häufung der EOTRH-Verdachtsfälle hängt sicherlich von mehreren Faktoren ab: Zum einen, dass nun die meisten Leute die Erkrankung kennen, aber auch durch die zunehmende Rassenvielfalt und dadurch, dass mehr ältere Pferde vorgestellt werden. Insgesamt wird zusammenfassend von einem multifaktoriellen Geschehen ausgegangen, das noch genauer erforscht werden muss.

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