Interview: Julia Schay-Beneke Foto: Slawik
Interview mit Conrad Hoyos, 1. Vorsitzender vom Criollo Reit- und Zuchtverein Deutschland e.V. (CRZVD)
Mein Pferd: Seit wann ist das Criollo in Deutschland verbreitet?
Conrad Hoyos: Die ersten reinrassigen Criollos wurden auf der Equitana 1989 gezeigt. Der argentinische Criollozuchtverband brachte zwei Stuten und sechs Wallache mit. 1991 wurden die ersten Zuchthengste aus Uruguay importiert und 1993 die ersten reinrassigen Fohlen in Deutschland geboren. 1994 wurde der „Criollo Reit- und Zuchtverein Deutschland“ (CRZVD) gegründet. Die Zahl der Criollos hat sich seit dieser Zeit kontinuierlich steigend entwickelt. Allein letztes Jahr wurden über 100 Fohlen geboren. Wir schätzen den Bestand auf insgesamt knapp 1.000 Criollos. In Europa gibt es Criollos aber auch in Italien, Frankreich und der Schweiz in größerer Zahl. Bevor reinrassige Criollos mit Pedigrees nach Deutschland kamen, gab es schon seit Beginn der achtziger Jahres des 20. Jahrhunderts Importe per Schiff nach Italien, von denen eine unbekannte Zahl wohl auch den Weg nach Deutschland fanden.
Zum Vergleich: In Südamerika gibt es geschätzt über 700.000 reinrassige Criollos – bei insgesamt mehreren Millionen Pferden, die bis heute in der täglichen Arbeit eingesetzt werden. Criollos gehören zu einer der letzten großen, lebendigen Pferdetraditionen dieser Welt.
Warum kauft jemand ein Criollo? Was zeichnet es ganz besonders aus?
Das ist eine sehr gute Frage und nicht einfach zu beantworten, denn hier gibt es ein Paradox: Criollos zeichnen sich nicht durch eine ganz herausragende Eigenschaft aus, sondern durch ihre ausgewogenen Eigenschaften als Reitpferd. Das Criollo ist ein mittelgroßes, gesundes, robustes, dabei aber leistungsbereites, ausdauerndes, wendiges und rittiges Pferd.
Um das am besten zu verstehen, muss man sich die Nutzung des Criollos bis heute in Südamerika ansehen. Es ist das Pferd der Gauchos, die zehn Stunden am Tag im Sattel sitzen und mit Rindern und Schafen arbeiten. Das Criollo ist das unverzichtbare Arbeitstier auf den großen Estanzien. Daraus leiten sich wiederum die Eigenschaften und Zuchtziele ab: Criollos müssen zuerst gesund und robust, aber auch ausdauernd, schnell und wendig sein. In einer riesigen Rinderherde müssen sie cool bleiben, aber auch mutig sein und Spaß an der Arbeit haben. Zu guter Letzt will auch ein Gaucho bequem sitzen und wenn er abends einmal spät aus der Kneipe kommt, von seinem vierbeinigen Freund gesund zu Hause abgesetzt werden. Criollos und Gauchos sind bis heute der Stolz von Argentinien, Brasilien, Chile und Uruguay.
Criollos sind also sehr ausdauernd und widerstandsfähig. Wofür werden sie in Deutschland hauptsächlich eingesetzt?
Criollo-Interessenten in Deutschland suchen sehr bewusst nach den genannten ausgewogenen Eigenschaften. Ein typischer Criollo-Käufer ist etwas älter, hat früher andere Pferderassen geritten und sucht nun ein unproblematisches Pferd für dick und dünn, viele Jahre Spaß, meist im Gelände. Ein Argument ist oft die mittlere Größe, bei gleichzeitiger Gewichtsträgereigenschaft und der Leistungsfähigkeit eines Großpferdes. Nur wenige Criollos werden bisher im Sport, meist in Westerndisziplinen, eingesetzt. Es gibt aber auch Distanzreiter oder Working Equitation.
Man sieht Criollos auch auf Westernturnieren. Entspricht oder widerspricht das ihrem Exterieur/Interieur?
Criollos wurden ja ursprünglich nicht für den Sport gezüchtet. In Südamerika bilden sich aber trotzdem zunehmend Sportlinien heraus. In Deutschland haben wir diese Linien bisher nur ansatzweise und es gibt auch nur wenige professionelle Trainer, die bisher mit Criollos gearbeitet haben. Criollos haben mit Sicherheit das Potential, um im Westernsport vorne mitzumischen. Bis auf ganz wenige Ausnahmen sind sie aber nur in den Amateurklassen unterwegs. Die professionelle Westernszene kennt Criollos bisher nur als Exoten, die schon gelegentlich gewinnen. Eine unter Criollofreunden und Züchtern immer wieder lebhaft diskutierte Frage ist, wie sich Criollos verändern würden, wenn sie auf Erfolge im Westernsport selektiert würden und ob man sich das für die Rasse wünschen sollte.
Die Schiffstransporte der Criollos von Südamerika nach Europa (s. Frage 1) standen lange Zeit in der Kritik. Wie sehen Sie das? Hat sich die Situation verbessert?
Es gibt seit fast zehn Jahren keine Schiffstransporte mehr. Das war eine sehr umstrittene Periode, die wir zum Glück hinter uns gelassen haben. Oft waren darunter problematische Pferde, die dem Ruf der Criollos geschadet haben, obwohl es meist keine reinrassigen Criollos, sondern Estanzienpferde, sogenannte Mestizos, waren. Trotzdem hatten diese Pferde auch Anhänger, die die typische südamerikanische Reitweise, auf die sie ausgebildet waren, schätzten. Das sind oft Pferde, die sehr leistungsfähig und in Extremsituationen verlässlich sind. Da es keinen Nachschub an Schifftransportpferden gibt, werden es mit der Zeit weniger. Criollos werden heutzutage entweder per Flugzeug importiert, was aber relativ aufwändig ist, oder von etwa 15 Züchtern in Deutschland gezogen. Für die Ausbildung werden auch Trainer aus Südamerika engagiert, um die spezifischen Eigenschaften der Criollos auch durch die Ausbildung zu erhalten.
Der Criollo gilt als freundlich, ruhig und ausgeglichen. Eigentlich ein perfektes Pferd für Kinder, Spät- und Wiedereinsteiger oder für das therapeutische Reiten. Trotzdem sieht man das nicht ganz so oft. Glauben Sie, das wird in den nächsten Jahren mehr werden?
Criollos sind nervenstark, haben aber auch Kraft und Temperament, was sie in ihrer Heimat für die Rinderarbeit brauchen. Es gibt viele Criollos, die wunderbar von Kindern geritten werden und im therapeutischen Reiten eingesetzt werden. Es gibt aber auch die sensiblen und fein zu reitenden Criollos und auch die, mit denen man aus dem Stand einen flotten Distanzritt machen kann. Der Leser hat mittlerweile vielleicht schon gemerkt, dass Criollos eine große Bandbreite an Eigenschaften haben. Das ist gewollt und typisch für eine nicht auf einseitige Ziele durchgezüchtete Arbeitsrasse. Ein Interessent sollte sich über seine Ziele und Erwartungen klar werden und dann zusammen mit dem Züchter zunächst eine geeignete Zuchtlinie auswählen. Dann muss noch das Wunschpferd individuell ausgesucht und ausprobiert werden. In der Regel sind Criollos durch gute Ausbildung noch formbar. Durch ihre gesunden Instinkte sind sie berechenbar und ausgeglichen, aber nicht langweilig.
Ursprünglich stammen die Criollos von Berbern und iberischen Pferden ab. Die Gemeinsamkeiten sind heute nahezu verschwunden…
Die gemeinsamen Ahnen von Criollos und heutigen iberischen Pferden muss man fast 500 Jahre in der Vergangenheit suchen. Die Entwicklung der Rassen hat sich seitdem sehr unterschiedlich entwickelt. Criollos sind zunächst über 300 Jahre verwildert und unterlagen nur der natürlichen Selektion. Riesige Herden haben sich vom Menschen völlig ungestört entwickelt. Die wenigen Gauchos und Indios nutzten sie, züchteten aber nicht systematisch. Am Ende des 19. Jahrhundert waren Criollos durch das Einkreuzen von importierten europäischen Rassen bedroht. Einige weitsichtige Estanzieros beobachteten aber bei ihren Gauchos die besondere Eignung der Criollos für die Rinderarbeit und die perfekte Anpassung an das Klima und die natürlichen Bedingungen. Um 1920 wurde der Rassestandard definiert und die systematische Zucht begann sich langsam zu entwickeln.
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