Text und Foto: Tasja Prentkowski
Es gibt viele Pferde mit Handicaps, die bestens zurechtkommen. Dennoch bedeuten einige dieser Behinderungen nach wie vor Todesurteile durch Unwissenheit der Besitzer.
Im Jahr 2009 bekam ich von meiner Tierärztin die Diagnose gestellt, dass mein Wallach um eine Augenentfernung nicht herumkommt. Mit einer einseitigen Erblindung sei ein Leben für ein Pferd noch lebenswert, mit einer beidseitigen Erblindung nicht, so die damalige Aussage. Meine größte Angst war nun, dass das andere Auge ebenfalls erkrankt und ich mein geliebtes Pferd einschläfern lassen müsste. Ich habe angefangen zu recherchieren, ob es nicht doch andere Möglichkeiten gibt, wie ich ein halbblindes Pferd trainieren kann und wie die Haltung solcher Pferde aussehen kann. Im Hintergrund hatte ich immer im Kopf, dass alles, was ich jetzt tue, auch komplett blind möglich sein muss. Mein Wallach Escalero wurde in der Heilungsphase zusammen mit einem Pony gehalten. Als die Wunden wieder verheilt waren, kam er zurück zu seiner Herde. Ich beobachtete jeden Tag ihr Verhalten. Zu meinem erstaunen waren die Pferde im Umgang mit ihm sehr zuvorkommend, und seine Lieblingsstute zeigte ihm Wasser- und Futterstellen und passte auf ihn auf. Wenn die anderen Pferde kein Problem mit ihm haben, warum dann wir Menschen? Nachdem Escalero wieder vollständig integriert war, wurde er behandelt wie jedes andere Pferd auch. Er schien auch auf der blinden Seite zu merken, wer auf ihn zukam und wann er lieber gehen sollte. Verletzungen durch andere Pferde, aufgrund der Blindheit blieben aus. Pferde tolerieren also ein Handicap, solange es keine Gefahr für die Herde bedeutet. Mittlerweile hat er die Herde gewechselt, und auch das Eingliedern in die neue Herde war problemlos. Ich ging, bevor er in die neue Herde kam, mit ihm Weide, Stall und Paddock ab, sodass er sich orientieren konnte. Er wusste also, wo er Wasser und Futter bekommt und wo er sich zurückziehen kann. Wie er gehalten werden möchte und kann, hat er mir gezeigt. Für eine eventuelle vollständige Erblindung können Hilfsmittel wie Glöckchen oder Flatterband an Zäunen und Pferden befestigt werden, sodass das blinde Pferd mit seinen Ohren sieht.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Man kennt es von Menschen, denen ein Sinnesorgan fehlt, bei denen ein anderes Organ sich ausprägt. Escalero benutzt seine Ohren, um die Umgebung zu analysieren. Er filtert Geräusche viel feiner heraus als vorher und auch oft viel besser als andere Pferde, mit denen wir zu tun haben. Laute Motoren und Maschinen sind für ihn kein Problem, er kann sie zuordnen. Stille Gegenstände oder Menschen, die still stehen, machen ihm im Gegensatz Angst. Er erhält dann ein Stimmkommando von mir, durch das er weiß, dass alles in Ordnung ist. Dies bringt mich zum Punkt Training: Kann man ein halbblindes Pferd normal trainieren? Ja. Zumindest, wenn man sich mit seinem Pferd beschäftigt. Man muss herausfinden, was das Pferd für Hilfen braucht, doch das sollte man bei einem sehenden Pferd ebenso. Escalero hört gut auf Stimmkommandos. Das musste ich erst herausfinden.
Als zweites Hilfsmittel nutzen wir Berührungen. Am Anfang hat er mich auf der blinden Seite mit der Nase angestupst, wenn er unsicher wurde oder nicht mehr wusste, wo ich war. Ich habe ihn berührt, wenn ich es vorher bemerkte. Die Berührungen wurden weniger, doch auch heute stupst er mich an, wenn er besonders aufgeregt oder unsicher ist.
Beim Reiten war es leichter für uns. Er war eingeritten und kannte somit Reiter und Sattel. Alles andere haben wir ihm auf dem gleichen Weg wie sehenden Pferden erklärt. Gewichts-, Schenkel- und Zügelhilfen blieben gleich. Ich musste nur darauf aufpassen, dass er sein Genick nicht verwirft, um das Sehfeld zu vergrößern. Diese Angewohnheit haben viele Halbblinde. Sie wollen natürlich so viel sehen, wie möglich, doch das führt zu Verspannungen und falscher Muskulatur. Es ist daher sehr wichtig, ein Verwerfen zu korrigieren.
Escalero ist vielseitig ausgebildet, er fährt auf Shows, Kurse und Turniere. Kinder können ihn ebenso reiten wie Erwachsene. Es gibt viele einseitig blinde Pferde, die erfolgreich im Sport gehen, und noch mehr, die als Freizeitpartner viel Freude in das Leben ihrer Besitzer bringen. Und es gibt auch ganz blinde Pferde, für die die Blindheit kein Todesurteil war, die geritten werden und die geliebt werden. Aufklärung ist bei Tabuthemen wichtig, damit es nur noch Themen sind. Es gibt viele Möglichkeiten seinem Handicap-Pferd zu helfen. Am Besten hört man aber auf das Pferd selbst.